§ 102 StPO
Sind Tatsachen vorhanden, welche den Verdacht begründen, dass jemand eine Straftat begangen hat, so kann gegen den Beschuldigten eine Durchsuchung seiner Wohnung und seiner sonstigen Räume sowie seiner ihm gehörenden Sachen zum Zwecke seiner Ergreifung oder zur Auffindung von Beweismitteln angeordnet werden.
1. Was regelt § 102 StPO?
§ 102 StPO stellt die Rechtsgrundlage für die Durchsuchung beim Beschuldigten und Verdächtigen dar.
Bezeichnungen im Laufe des Strafverfahrens:
- Verdächtigter: jemand, der nach kriminalistischer Erfahrung als Täter oder Teilnehmer einer verfolgbaren Straftat in Betracht kommt
- Beschuldigter: jemand, gegen den ein Anfangsverdacht besteht.
- Angeschuldigter: der Beschuldigte, gegen den die öffentliche Klage erhoben ist
- Angeklagter: der Beschuldigte oder Angeschuldigte, gegen den die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist
2. Welcher Verdachtsgrad ist erforderlich?
Da die Durchsuchung gemäß § 102 StPO bereits gegen den Beschuldigten betrieben werden darf, genügt ein Anfangsverdacht.
Alle wichtigen Verdachtsgrade:
- Anfangsverdacht: Hinweise auf eine mögliche Straftat
- Hinreichender Tatverdacht: Es ist wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte verurteilt wird
- Dringender Tatverdacht: Hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte die Straftat begangen hat
3. Wer darf eine Durchsuchung anordnen?
Vor Erhebung der öffentlichen Klage muss ein Ermittlungsrichter (§ 162 Abs. 1 S. 1 StPO) die Durchsuchung anordnen (§ 105 Abs. 1 StPO), ab Erhebung der öffentlichen Klage (§ 170 Abs. 1 StPO) ist das befasste Gericht für Durchsuchungsanordnungen für das laufende Strafverfahren zuständig (§ 160 Abs. 3 StPO).
In dringenden Fällen, etwa bei Gefahr im Verzug, können auch Staatsanwälte oder deren Ermittlungspersonen (z. B. Polizeibeamte gem. § 152 GVG) eine Durchsuchung anordnen.
- Gefahr im Verzug: Wahrscheinlichkeit, dass die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung aufgrund der damit verbundenen zeitlichen Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet (konkrete Einzelfallprüfung)
- Prüfung durch den Richter dauert so lange, dass die Gefahr der Beweisbeseitigung besteht
- Richter nicht rechtzeitig erreichbar (Erreichbarkeit zu Nachtzeiten nur nach Bedarf eingerichtet)
Die zur Annahme der Eilbedürftigkeit führenden Gründe sind allerdings zu dokumentieren.
4. Welche Einschränkungen gibt es?
Für die Durchsuchung gilt eine tagzeitliche Beschränkung. Zur Nachtzeit darf eine Durchsuchung damit nur bei Verfolgung auf frischer Tat, bei Gefahr im Verzug oder zum Zweck der Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen durchgeführt werden (§ 104 Abs. 1, Abs. 3 StPO).
- Nachtzeit (BVerfG, Beschluss v. 12.02.2004).: 21.00 Uhr bis 6.00 Uhr
- Ausschluss der Nachtzeit für Örtlichkeiten gemäß § 104 Abs. 2 StPO:
- Örtlichkeiten, die zur Nachtzeit jedem zugängliche sind (z. B. Diskothek)
- Örtlichkeiten, die der Polizei als Herbergen und Versammlungsorte bestrafter Personen dienen (z. B. Rockerclub)
Zudem muss die Durchsuchungsanordnung auch verhältnismäßig sein:
- Legitimer Zweck = Auffinden zweckdienlicher Beweismittel für das laufende Strafverfahren
- Geeignetheit = Durchsuchung muss geeignet sein, den legitimen Zweck zu fördern oder zu erreichen
- Erforderlichkeit = Durchsuchung muss das mildeste und gleichzeitig gleichwirksamste Mittel darstellen, um den legitimen Zweck zu erreichen
- Angemessenheit = insb. Grundrechtseingriff in Art. 13 Abs. 1 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) steht in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Zweck
- u. a. Schwere der verfolgten Straftat
- u. a. Durchsuchungsperson / -ort hat besondere Grundrechtsrelevanz
5. Was muss die Durchsuchungsanordnung beinhalten?
Aufgrund der Verletzung des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG sind inhaltlich an den Durchsuchungsbeschluss einige Anforderungen zu stellen:
- Tatvorwurf = aufzuklärende Tat (keine pauschale Angabe ausreichend)
- Knappe, aussagekräftige Tatsachenangaben
- Art und vorgestellten Inhalt der zu suchenden Beweismittel
- Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit
6. Was tun, wenn keine Durchsuchungsanordnung vorliegt?
§ 105 StPO schreibt keine bestimmte Form der Durchsuchungsanordnung vor. Regelmäßig ergeht die Anordnung schriftlich, kann jedoch auch mündlich (z. B. telefonisch) ergehen.
7. Was darf durchsucht werden?
Bei einer Durchsuchungsanordnung gem. § 102 StPO dürfen die Wohnungen und sonstige Räume des Beschuldigten sowie die ihm gehörenden Sachen durchsucht werden. Dabei muss der Beschuldigte nicht Eigentümer der Wohnung oder Sachen sein.
- Eigentümer: Verfügungsbefugnis über eine Sache
- Besitzer: tatsächliche Herrschaft über eine Sache
Auch darf der Beschuldigte selbst durchsucht werden. Dazu gehört die Durchsuchung seiner Kleidung sowie seiner Körperoberfläche und -öffnungen, soweit diese ohne medizinische Hilfsmittel einsehbar sind. Dazu müssen Personen gleichen Geschlechts eingesetzt werden (Rechtsgedanke des § 81d StPO).
8. Welche Rechte habe ich als Beschuldigter?
Als Beschuldigter haben Sie mehrere Rechte:
- Anwesenheitsrecht (§ 106 Abs. 1 StPO): Sie können die Durchsuchung begleiten, oder ein Vertreter kann hinzugezogen werden.
- Rechtsbeistand: Sie dürfen einen Anwalt hinzuziehen, wobei die Beamten nicht auf dessen Ankunft warten müssen.
- Durchsuchungsanordnung: Sie haben das Recht, den Beschluss einzusehen und sich eine Kopie des Protokolls auszuhändigen zu lassen.
Eine Haus- oder Wohnungsdurchsuchung bei einem Beschuldigten ist eine erhebliche Maßnahme, die nicht ohne gründliche rechtliche Grundlage durchgeführt werden darf. Wenn Sie betroffen sind, ist es wichtig, Ihre Rechte zu kennen und gegebenenfalls rechtliche Schritte einzuleiten. Bei Fragen oder zur rechtlichen Unterstützung stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.
Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter