Der Firmenbestatter – Die Geschichte von Viktor „Vito“ Berlinger

Viktor „Vito“ Berlinger war in den schattigen Ecken der Wirtschaft ein bekannter Name. Nicht etwa, weil er ehrliche Firmen aus dem Sumpf zog – sondern weil er sanierungsbedürftige Unternehmen mit einem Händchen für Tricks und Täuschung endgültig ins Aus beförderte. Seine Methoden waren ausgefuchst, seine Kontakte in ganz Europa verteilt, sein Lieblingswerkzeug: die Ein-Mann-GmbH aus Bulgarien, mit der er wie ein Geier über die letzten Reste dahinsiechender Betriebe herfiel. Sobald ein Unternehmen schwächelte, schlug Vito zu. Mit seiner bulgarischen Briefkastenfirma kaufte er die Gesellschaftsanteile auf. Doch damit nicht genug – die wahren Meisterstücke kamen erst danach. Kaum war der Laden in seiner Hand, fegte er die alten Geschäftsführer vom Hof. Wer stattdessen auf dem Chefsessel Platz nahm? Immer derselbe: Rudi Voss, ein eigentlich ganz netter Krankenpflegehelfer mit wenig Ahnung von Wirtschaft, aber großer Bereitschaft, für kleine Belohnungen und Essenseinladungen brav alles zu unterschreiben, was man ihm hinhielt. Rudi war ein perfekter Strohmann. Während er offiziell die Geschäfte führte, stopfte sich Vito im Hintergrund die Taschen voll. Bankkonten wurden geplündert, selbst Autos verschwanden plötzlich auf Nimmerwiedersehen. Rudi, der nichts anderes tat als auf Anweisung Unterschriften zu leisten und sich gelegentlich von der Buchhalterin mit dem Auftrag wegschicken ließ, belegte Brötchen zu holen, war als Chef praktisch unsichtbar. Er hatte keinerlei Entscheidungsfreiheit – und das war genauso gewollt. Die übernommenen Firmen stürzten reihenweise in die Insolvenz. Was Rudi hätte tun müssen – einen Insolvenzantrag stellen, damit die Gläubiger wenigstens noch einen Teil ihres Geldes bekommen – das unterließ er. Und warum? Weil Vito ihn bewusst im Dunkeln ließ und das Heft des Handelns komplett in der Hand behielt. Als die Sache aufflog, war Vito natürlich schnell dabei, seine Rolle kleinzureden. „Ich hab doch gar nicht offiziell das Sagen gehabt! Ich hab nur geholfen, das war alles Rudi!“ Das Landgericht fand das sogar nachvollziehbar: Vito sei ja gar nicht als Geschäftsführer bestellt worden, habe auch nicht all die typischen Chefsachen gemacht – niemanden eingestellt, keine Gehälter festgelegt, keine großen Verträge abgeschlossen. Also könne er höchstens als Gehilfe zur Verantwortung gezogen werden, nicht aber als Haupttäter. Doch damit war die Geschichte für Vito noch lange nicht vorbei – denn der Fall landete vor dem Bundesgerichtshof. Und dort hatte man kein Verständnis für diese Taktik. Die Richter sagten sinngemäß: Es kommt nicht darauf an, wer auf dem Papier Geschäftsführer ist, sondern darauf, wer im Hintergrund tatsächlich die Fäden zieht. Wer bestimmt, was im Unternehmen passiert – gerade, wenn es darum geht, das letzte Vermögen rauszuschaffen – ist verantwortlich, egal ob er Mitarbeiter einstellt oder offiziell Verträge unterschreibt. Wer so gezielt einen Strohmann installiert, damit die Geschäfte nur scheinbar von jemand anderem geführt werden, der trägt die Verantwortung – und kann sich nicht mehr hinter der Fassade eines braven Helfers verstecken. Für Vito bedeutete das: Seine ganze Masche, mit der er die Verantwortung abschieben wollte, zog vor Gericht nicht mehr. Die Richter machten klar, dass es auch auf die tatsächlichen Abläufe im Unternehmen ankommt. Wenn einer wie Vito alles steuert und organisiert, dann hilft auch keine bulgarische Briefkastenfirma mehr, um sich der Verantwortung zu entziehen. Die Zeiten, in denen man sich einfach einen willigen Strohmann besorgte und sich dann die Hände in Unschuld wusch, sind vorbei. So wurde aus Vito Berlinger, dem cleveren Firmen-Bestatter, am Ende ein ganz normaler Angeklagter – und für alle Wirtschaftskriminellen gilt nun: Wer die Strippen zieht, haftet auch. Ganz egal, wer vorne am Briefkasten steht. Geschichte basiert auf der Entscheidung BGH 5 StR 287/24 – Urteil vom 27. Februar 2025 (LG Leipzig) Rechtsanwalt Gerd Meister