Die Catilinarischen Reden des Anwalts Cicero
Der um 108 v. Chr. geborene Lucius Sergius Catilina entstammte einer der alten römischen Patrizierfamilien, die seit jeher entscheidenden Einfluss auf die römische Regierung hatten. Wie viele andere Aristokraten seiner Zeit (dürfte heute nicht viel anders sein!), führte er den Ehrenkodex der römischen Aristokratie “gloria und dignitas” im Munde, wie ein verfaultes Gebiss. Catalina war zunächst Scherge des Feldherrn und Politikers Lucius Cornelius Sulla und soll in dessen Auftrag mehrere Morde auch innerhalb der eigenen Familie begangen haben. 67 und 68 v. Chr. war er Statthalter in der Provinz Afrika, wo er sich – skrupellos und korrupt wie er war – bereicherte und sich schnell den Ruf eines Hasardeurs eintrug. Vielleicht war das der Grund, warum er bei seiner Rückkehr nach Rom im Jahre 65 v. Chr. bei seiner Kandidatur zum höchsten römischen Amt des Konsuls gar nicht erst zugelassen wurde. Seine Kandidatur im nächsten Jahr scheiterte, weil er sich einem Prozess wegen Erpressung stellen musste. Stattdessen fiel das Amt ausgerechnet an zwei Männer, die Catilina nicht wohlgesonnen waren und sich das Amt des Konsuls teilten: An Gaius Antonius und – für Catilina viel schlimmer – den eloquenten Anwalt Cicero, der sich aus kleinsten Verhältnissen bis ganz nach oben gearbeitet hatte, was die standesbewusste Oberschicht selten zuließ. Als Catilina sich schließlich 63 v. Chr. wiederum für das höchste Staatsamt bewarb, ging bereits im Senat das Gerücht um, Catilina wolle die allgemeine Unzufriedenheit des teilweise verarmten Volkes für einen gewaltsamen Umsturz nutzen. Catilina erkannte, dass das einst für einen Stadtstaat entworfene Regierungssystem, sich als unfähig erwies, das zum Weltreich gewordene Rom zusammenzuhalten. Wie Politiker heute, versprach er seinen Anhängern das Blaue vom Himmel, um an die Macht zu kommen. Schnell zeigte sich, dass an dem Verschwörungsgerücht was dran war. Der Senat beschloss daher das “senatus consultum ultimum”, eine Art Ermächtigungsgesetz, mit dem sich der Senat selbst erlaubte, alles zu tun, um einen Volksaufstand niederzuwerfen. Als Cicero dann noch nur knapp einem von Catilina angestiftetem Mordanschlag entging, ergriff er die Initiative und hielt am 7. November des Jahres 63 v. Chr. die erste von den in die Geschichte eingegangenen Catilinarischen Reden vor dem Senat. Sie beginnt mit den Worten: ” Wie lange, Catalina, willst du unsere Geduld noch missbrauchen? Wie lange soll diese deine Raserei ihr Gespött mit uns treiben? Bis zu welchem Ende soll die zügellose Frechheit ihr Haupt erheben?… Was für Zeiten, was für Sitten!” Die zweite “Catilinarische Rede” am nächsten Tag überzeugte schließlich den Senat, der Catilina noch im gleichen Monat zum “hostis populi Romani”, also zum Staatsfeind erklärte. Damit verlor Catilina seine Bürgerrechte und durfte von jedem ungestraft getötet werden. Die enttarnten Mitglieder der Verschwörung wurden umgehend verhaftet, und Catilina floh zu seinen ihm immer noch treu ergebenen Truppen. Mit seiner dritten Rede über die Verhaftung der Catilianer löste Cicero im Senat eine leidenschaftliche, kontroverse Debatte aus. Was sollte mit den catilinarischen Verschwörern passieren? Cicero plädierte für Härte. Nach dem Gesetz hatte aber das Volk über Kapitalverbrechen zu entscheiden und nicht der Senat, dem keine Rechtsprechungsgewalt zukam. Der damals noch junge Caesar warnte davor, das Gesetz zu missachten und quasi per Notstandsgesetzgebung die staatliche Ordnung zu umgehen. Damit würde auch für die Zukunft staatlicher Willkür Tür und Tor geöffnet. Caesar sprach sich für Milde gegenüber den gefangenen Verschwörern aus. Sie sollten lediglich verbannt und ihr Vermögen eingezogen werden. Nach seiner vierten Catilinarischen Rede erhielt Cicero unerwartete Stützenhilfe von dem mächtigen Senator Cato, der darauf hinwies, dass geständige Verbrecher auch ohne Prozess hingerichtet werden konnten. Deshalb seien die Hochverräter mit dem sofortigen Tode zu bestrafen. Ob die Verschwörer damals tatsächlich geständig waren oder nicht: Cato und Cicero setzten sich durch, und die Catilianer wurden im Rahmen des Notstandsgesetzes auf Anordnung des Senats erdrosselt. Wenig später starb auch Catilina im Kampf gegen die nach ihm ausgessandten Truppen des Senats. Der damit begangene Verstoß gegen die römische Verfassung blieb allerdings auch für Cicero nicht folgenlos. Er wurde wegen der juristisch zweifelhaften Todesurteile gegen die Catilianer im Jahre 58 v. Chr. aus Rom verbannt. Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach Die Informationen zu diesem Artikel stammen u.a. aus dem Buch „50 Klassiker – Prozesse“ von Marie Sagenschneider, Gerstenberg Verlag