Grabräuber vor Gericht

Vor 2200 Jahren ließ ein König der Meni sein Grab bei den Pyramiden von Gise mit der deutlich sichtbaren Aufschrift vor potentiellen Grabräubern schützen: “Das Krokodil gegen den im Wasser, die Schlange gegen den auf der Erde, der etwas gegen dieses Grab tun wird. Niemals habe ich etwas gegen ihn getan. Gott ist es, der richten wird.” Wen der König dabei besonders im Auge hatte geht aus der Fortsetzung der Inschrift hervor: “Keiner von denen, die mir dieses Grab gemacht haben, hatte Grund sich zu ärgern. Sei er ein Bildhauer oder Steinmetz, ich habe ihn zu seiner Zufriedenheit entlohnt.” Ein netter Versuch, der aber wohl nicht viel gebracht hat. Welcher Dieb konnte damals schon lesen und so ist es kein Wunder, dass seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. schon häufig die Grabkammern der Pharaonen geplündert wurden – auch wenn die Handwerkerrechnung für´s Grab vollständig bezahlt war. Als im 13. Jahrhundert v. Chr. der Regierungssitz nach Norden ins Niltal verlegt wurde, blieb das thebanische Tal der Könige der traditionelle Bestattungsort der Pharaonen. Die Handwerker und Künstler, die sich mit dem Grabbau beschäftigten, stellten eine kleine Gruppe von vielleicht 200 priviligierten Spezialisten dar, die in strenger Familientradition ihre Fertigkeiten weiter vererbten und in sich in dem heutigen Deir-el-Medina niedergelassen hatten. Über ein halbes Jahrtausend lebten sie hier, so dass begeisterte Archäologen eine umfassende und kontinuierliche Hinterlassenschaft sichern konnten. Hierzu gehören zahlreiche Papyri, auf denen Experten die Gerichtsprotokolle verschiedenster Verfahren fanden, von denen hier nur die Grabräuberprozesse interessieren. Von den etwa dreißig Königsgräbern im Tal der Könige blieb nur das von Howard Carter 1922 entdeckte Grab des Tutanchamun nahezu unversehrt. Auch die aufwendigsten architektonischen Sicherungsmaßnahmen in Form von Schächten, toten Gängen und Fallen änderten nichts daran, dass die Gräber fast alle ausgeplündert wurden. Um 1100 v. Chr. berichtete der Bürgermeister von Theben-West seinem Vorgesetzten Wesir von einer von ihm eingesetzten Untersuchungskommission zum Zustand der alten Königsgräber und der Gräber der einfachen Bürger in der Nekropole, um sodann die Namen der geständigen und ins Gefängnis verbrachten Diebe zu nennen. Die damaligen Verhörmethoden der Polizei finden sich in Grab-Wandmalereien wieder. Es ist die Rede von Schlägen auf Hände und Füsse mit spitzen Gegenständen und von Daumenschrauben. Ein gefasster Steinmetz gab zu Protokoll, dass er seit Jahren mit einer festen Bande, die sich auf Gold, Silber und Edelsteine spezialisiert hätten, systematisch Gräber ausgeraubt habe. Sein Prozess endete glimpflich. Er wurde – nachdem er den zuständigen Untersuchungsbeamten mit Gold bestochen hatte – entlassen und setzte seine lukrative Tätigkeit fort. Das Ergebnis dieser Grabräuberprozesse spiegelt eine Kapitulation der Staatsgewalt vor einem damals perfekt funktionierenden Netz organisierter Kriminalität wieder. Die ramessidische Zentralverwaltung, die fern von Theben in der Deltaresidenz saß, hatte die Staatsausgaben, insbesondere die Militärausgaben für den Kampf gegen das verfeindete Libyen und Hethiterreich, so erhöht und damit den Lebensstandard der Bevölkerung gesenkt, dass die Handwerker oft monatelang auf ihren Lohn warten mussten. Nun hielten sie sich mit einer gewissen moralischen Legitimation an den Kostbarkeiten der Toten schadlos. Das altägyptische Rechtssystem, das überwiegend mit Laienrichtern arbeitete und kein detailliertes kodifiziertes Recht kannte, war der Situation nicht gewachsen und es wäre wahrscheinlich auch politisch unklug gewesen, gegen diese Grabräuber hart durchzugreifen.Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach Der Artikel basiert auf Informationen aus dem Artikel „Grabräuber vor Gericht“ von Dietrich Wilding in dem Buch „Große Prozesse“, C.H. Beck, 3. Aufl. 2001

Mein Gott – Pontius Pilatus macht kurzen Prozess mit Jesus

Die wichtigsten Quellen für das Leben Jesu sind bekanntlich die zwischen 65 und 100 n. Chr. verfassten Evangelien des Neuen Testaments, die sich auf mündliche Überlieferungen stützen. Danach wurde Jesus 4 v. Chr., vielleicht auch etwas früher, vermutlich im galiläischen Nazareth in Palästina geboren. Er gehörte als Zimmermann zur Unterschicht. Mit etwa 30 Jahren wurde er von dem Bußprediger Johannes im Jordan getauft und zog danach als prophetischer Wanderlehrer durch Galiläa. Die Zeit seines öffentlich bekannt gewordenen Handelns soll nicht mehr als 2 – 3 Jahre gedauert haben und endete mit seiner Kreuzigung vermutlich im Jahre 30 n. Chr. Der kurze Prozess, der seinem Tod vorausging, erwies sich als einer der folgenreichsten Prozesse der Weltgeschichte.Über Jahrhunderte hinweg hat das Christentum unter Berufung auf die Evangelien das jüdische Volk für den Tod Jesu verantwortlich gemacht und seinen Richter, den römischen Präfekten Judäas, Pontius Pilatus, versucht zu entlasten. Am deutlichsten zeigt sich das in einer Szene aus dem Matthäus-Evangelium, der einen Dialog zwischen Pilatus und einer mordlustigen jüdischen Volksmenge beschreibt: “Pilatus spricht zu ihnen: `Was soll ich denn mit Jesus tun, der Messias genannt wir?` Sie sagen alle: `Er werde gekreuzigt!´ Er aber sagte:´Was hat er denn Böses getan?´ Sie aber schrien übermäßig und sagten: ´Er werde gekreuzigt!´ Aber als Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern vielmehr ein Tumult entstand, nahm er Wasser, wusch seine Hände vor der Volksmenge und sprach: ´Ich bin schuldlos an dem Blut dieses Gerechten. Seht ihr zu!´ Und das ganze Volk antwortete und sprach: ´Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!´ Wie tief sich diese Szene in das kollektive christliche Bewusstsein eingeprägt hat, zeigt das Sprichwort: “Seine Hände in Unschuld waschen.” Die hierin enthaltene Geschichtsverzerrung stellt eine im historischen Gewand gekleidete religiöse These dar und ist eine Ursache für den christlichen Antisemitismus und letztlich auch für die Progrome der nachfolgenden Jahrhunderte. Claude Montefiore, einer der bedeutendsten Vertreter des modernen Judentums, hat diesen Dialog so kommentiert: “Dies ist eines jener Sätze, die schuldig sind an Meeren von Menschenblut, und an einem ununterbrochenen Strom von Elend und Verzweiflung.” Und in der Tat – die Darstellung im Matthäus-Evangelium entbehrt jeder historischen Glaubwürdigkeit, was freilich nichts daran änderte, dass sich die Entlastungstendenz bezüglich Pilatus in der Kirchengeschichte unaufhaltsam fortsetzte. So erklärte der lateinische Kirchenvater Tertullian Pilatus Anfang des 3. Jahrhunderts sogar zum heimlichen Christen und die koptische Kirche verehrte ihn sogar später als Heiligen. Dem jüdischen Hohenrat und anderen jüdischen Gruppen – wie etwa den Pharisäern – wird die böse Absicht unterstellt, sie hätten Jesus aus religiösen Gründen beseitigen wollen. Nach den sich z.T. widersprechenden Evangelien wurde Jesus in einem zweistufigen Prozess zum Tode verurteilt. So schildert das älteste Markus-Evangelium, dass Jesus am Donnerstagabend vor dem jüdischen Passahfest von einer jüdischen Polizeitruppe verhaftet und dem höchsten Selbstverwaltungsgremium Jerusalems – dem Sanhedrin, das sich im Hause des Hohepriesters versammelt hatte, vorgeführt wurde. Falsche Zeugen sollen Jesus mit dem Satz zitiert haben: “Ich will diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen und in 3 Tagen einen anderen bauen, der nicht mit Händen gemacht ist.” Da Jesus zu den Vorwürfen schweigt, verleitet ihn der Hohepriester, sich als Sohn Gottes zu offenbaren, was Grund genug ist, Jesus wegen Gotteslästerung zum Tode zu verurteilen. Der Sanhedrin liefert daraufhin Jesus am frühen Freitagmorgen an den römischen Statthalter Pilatus aus, der Jesus mit einem 2. Prozess überzieht, in dessen Verlauf das aufgebrachte jüdische Volk, einen tatsächlichen Mörder namens Barabbas freipresst und für Jesus die Kreuzigung fordert. Nach dem Lukas-Evangelium soll Pilatus Jesus vor der endgültigen Verurteilung noch an den Landesherren Herodes Antipas überstellt haben, der ihn dann an Pilatus zurückverwies. Daher das Sprichwort – “Von Pontius nach Pilatus”. Die Darstellung eines gewissermaßen vorgeschalteten Verfahrens gegen Jesus vor dem jüdischen Hohenrat ist schon wegen der erheblichen Widersprüche im Einzelnen innerhalb der Evangelien historisch nicht zu beweisen. Weder der Sanhedrin noch der Hohepriester verfügte nach der damalige Rechtslage über die Kapitalgerichtsbarkeit, die in allen römischen Provinzen allein in der Hand der römischen Besatzer lag. Dem entsprechend findet sich in den zu Beginn des 2. Jahrhunderts von dem römischen Historiker Tacitus verfassten Annalen kein einziges Wort über eine Beteiligung jüdischer Instanzen am Todesurteil gegen Jesus. Lapidar wird festgehalten, dass “Christus” unter Tiberius von dessen Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet wurde. Denkbar ist allenfalls, dass einige Denunzianten aus dem Kreis der damaligen jüdischen Oberschicht, Jesus als Unruhestifter bei Pilatus anschwärzten, der gerade vor dem jüdischen Passahfest, zu dem tausende Auswärtige nach Jerusalem strömten, besonders auf Ruhe und Ordnung bedacht war, um Rebellionen gegen Rom von vorneherein im Keim zu ersticken. Und dass die Römer in Jesus einen solchen Rebellen gesehen haben könnten, ergibt sich aus dem überlieferten Dialog zwischen Jesus und Pilatus, in dem Pilatus Jesus fragt, ob er sich als König der Juden bezeichne, worauf Jesus zweideutige geantwortet haben soll: “Du sagst es!” Die Beanspruchung der Königswürde über die Juden in einem römischen Protektorat konnte aber aus Sicht der römischen Besatzer nur als Hochverrat und Rebellion gedeutet werden. Für diese Deutung spricht auch die gewählte Hinrichtungsart der Kreuzigung. Jesus wurde mit zwei weiteren “Räubern” hingerichtet. Sprachforscher konnten inzwischen belegen, dass dieser Begriff ein terminus technicus für antirömische Rebellen war. Heute würde man Jesus wohl als Terroristen bezeichnen. Hierfür spricht auch, dass es historisch als erwiesen gilt, dass alle von den Römern vorgenommenen Kreuzigungen in Israel zu dieser Zeit aus politischen Gründen erfolgten. Das brutale Vorgehen der Statthalter Judäas hängt zweifellos mit den damaligen Schwierigkeiten, ihre Herrschaft in der Provinz durchzusetzen, zusammen. So berichtet der römische Historiker Josephus von ersten Massenkeuzigungen 4 v.Chr., bei denen 2.000 Aufständische nach vorangegangenen Unruhen auf diese Weise hingerichtet worden sein sollen. Josephus schrieb: “Judäa war voller Räuberbanden. Und überall dort, wo sich eine Schar von Aufrührern zusammenfand, wählten sie einen König, der den Untergang der staatlichen Ordnung herbeiführen sollte. Sie fügten zwar nur wenigen Römern einen – und dazu noch unerheblichen – Schaden zu, bereiteten aber ihrem eigenen Volke ein ungeheuerliches Blutbad.” Auch hier waren es soziale Hintergründe, die zur Aufruhr in der Bevölkerung führten – nämlich die erdrückende römische Steuerlast, die mit