Was gibt es da zu grinsen, Frau Alice Schwarzer? Ein kurzer Einblick in die politisch unkorrekte Gefühlswelt eines Strafverteidigers.
Da sitzt sie wieder hinten im Zuschauerraum. Eine etwas jüngere Ausgabe von Alice Schwarzer – nicht ganz so gut aussehend, aber mit diesem schmallippigen, selbstzufriedenen Grinsen, das mich an den berühmten Werbespruch für Romika Schuhe erinnert. Ich betrete vor meinem Mandanten den kleinen Gerichtssaal und schleudere ihr freundlich lächelnd – und natürlich aus purer Boshaftigkeit – einen kleinen Scherz an den Kopf. Nein, sie hat mir unser letztes Scharmützel ebensowenig verziehen, wie die Tatsache, dass ich ein Mann bin. Ohne das Dauergrinsen abzustellen streicht sie sich in einer langsamen Armbewegung ihr hennarotes Haar aus der Stirn, schlägt die Beine übereinander und wendet sich demonstrativ ihrem Schützling zu. Ja, was ist sie doch für ein guter Mensch, diese Dame vom Opferschutzverein „Wutdöschen“ (Name der Opferschutzorganisation geändert). Die Geschichte ist schnell erzählt: Auf der Anklagebank sitzt kerzengerade der 31-jährige Ex-Leichtathletiktrainer. Sein gestählter Körper passt nicht zu seinem jungenhaften Gesicht. Mit sanfter, brüchiger Stimme trägt er sein umfassendes Geständnis vor. Durch seine Stahlbrille sucht er dabei den Blick „seiner“ 13-jährigen Athletin, in die er soviel Hoffnung auf eine künftige Teilnahme an den Olympischen Spielen gesteckt hatte. Das Mädchen sitzt ihm mit einem streng nach hinten gebunden Pferdeschwanz gegenüber, neben der Staatsanwältin, da wo die Opfer bei Nebenklageverfahren Platz zu nehmen pflegen. Ihr Mund ist ein Strich. Sie meidet jeden Blickkontakt, schüttelt nur hin und wieder langsam ihren Kopf in tatsächlicher oder gespielter Empörung. Synchron schwenkt der Kopf der Opferschützerin – jede Erklärung des Angeklagten verneinend. Ihr Dauergrinsen wirkt wie eine Fratze. Ja, ihm sei bewusst gewesen, dass Sex mit einer 13-jährigen verboten sei. Kopfschütteln der Opferdame. Er habe versucht, seine Gefühle für das Mädchen zu unterdrücken. Kopfschütteln. Sie habe ihn unter Tränen gebeten, sie nicht zu ignorieren. Kopfschütteln. Sie habe ihm gestanden, dass sie auch in ihn verliebt sei. Kopfschütteln. Sie hätten sich heimlich auch bei ihm in der Wohnung getroffen. Kopfschütteln. Er habe sich selbst bei der Polizei angezeigt, nachdem die Eltern des Mädchens den Emailverkehr entdeckt hätten, um dem Mädchen eine Aussage zu ersparen. Kopfschütteln. Er habe sich in Therapie begeben, dreimal wöchentlich gehe er dahin, um sich selber zu verstehen. Kopfschütteln. Er biete dem Mädchen ein Schmerzensgeld an; er bedauere aufrichtig, ihr solche Probleme bereitet zu haben. Er werde aus der Stadt fortziehen, damit das Kind keine Angst vor einer Begegnung mit ihm haben müsse. Kopfschütteln. Als ich die junge Athletin befrage, räumt sie eine einvernehmliche Liebesbeziehung ein. Sie sei nur so enttäuscht. Ihre Eltern und die Dame vom Opferschutz hätten sie überzeugt, dass der Angeklagte, den sie mit Vornamen nennt, sie nicht wirklich geliebt habe. Sie fühle sich nun ausgenutzt. Bei diesen Worten nickt die Opferschutzdame heftig. Natürlich – so führe ich in meinem Plädoyer aus – sind die Taten des Angeklagten strafbar, aber bei der beschriebenen Konstellation, komme ein minderschwerer Fall des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und damit eine Bewährungsstrafe in Frage. Ein minderschwerer Fall liege schon deshalb nach der Rechtsprechung des BGH nahe, weil das Mädchen zu den Tatzeitpunkten kurz vor Erreichen des 14. Lebensjahres gewesen sei. Heftiges Kopfschütteln der Opferdame. Das Gericht verkündet nach langer Beratung – sehr zu meiner Enttäuschung – eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und sechs Monaten. Triumphierend erhebt sich die Dame vom Opferschutz, schreitet an mir vorbei zur Richterbank und schüttelt dem verdutzten Vorsitzenden mit ihrem Dauergrinsen die Hand. Sie beugt sich über den Tisch und flüstert dem – so mein Eindruck – peinlich berührten Vorsitzenden etwas Schmeichelhaftes ins Ohr. Ich meine zu hören „ das haben Sie ganz toll gemacht!“ Naja, wer zuletzt lacht, lacht am besten. Ich hoffe, das Berufungsgericht wird die Sache anders beurteilen und sei es nur, um diese Dauergrinsen wenigstens für ein paar Sekunden auszuknipsen. Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach