Der Staatsschutz schnüffelt hinter Rechtsanwalt Meister her?

Strafmaß und Bewährungsauflagen waren in einem Vorgespräch einvernehmlich ausgehandelt worden, und dennoch saßen wir in einer rudimentär durchgeführten Beweisaufnahme bereits zweieinhalb Stunden rum und hörten uns Zeugen an. Ich fragte mich gerade, ob die andern Prozessbeteiligten an diesem Tag nichts anderes zu tun hatten und irgendwie sinnvolle Beschäftigung bis zur Mittagspause simulieren wollten, als ich eine E-Mail meiner Sekretärin erhielt. „Lieber Gerd, Ermittlungsverfahren gegen dich! Rufe dringend Herrn KOK Spitzer, Abteilung Terrorismus-Bekämpfung, Tel. xxxx-xxxxx, an.“ „Mmh …?“, instinktiv überlegte ich, welches Verbrechen ich in den letzten Monaten im Zusammenhang mit Terrorismus begangen haben könnte, mir fiel aber spontan nichts Gescheites ein, das zu einem Ermittlungsverfahren hätte führen können. Ich durchkämmte in Gedanken meine letzten Blog-Artikel. Hatte ich da etwas Böses geschrieben? Fühlten sich vielleicht jüdische oder muslimische Mitbürger wegen meiner Kritik an rituellen Beschneidungen terrorisiert? Hatte sich die iranische oder israelische Botschaft beschwert? Nach Verkündung des erwarteten Urteils tigerte ich rüber zur Kanzlei und rief Herrn Spitzer an. „Gut, dass Sie zurückrufen. Ich hatte es schon auf Ihrem Handy versucht und mangels Rückrufes vermutetet, Sie wollten sich meiner Befragung entziehen. Als Rechtsanwalt wissen Sie ja, dass das keinen Sinn macht! Wir haben ermittelt, dass ein weißer Audi A1 mit dem amtlichen Kennzeichen yy- aa1234 auf Sie zugelassen ist. Ihren Wohnort habe ich auch schon inspiziert. Sie wohnen doch auf der Kirchstraße 12 in Neuss?“. „Mmh. Als Rechtsanwalt weiß ich aber auch, dass man gegenüber der Polizei zunächst einmal keine Angaben machen sollte. Worum geht es denn? Meine letzte SDAJ – Sitzung ist ungefähr 50 Jahre her, und ich war nie Mitglied! Und gegen religiöse Beschneidungen habe ich nur humanitäre und medizinische Einwände geäußert!“, versuchte ich es mit einem Scherz. „Aha, warten Sie! Das notiere ich mir direkt. Sie geben also zu, mit der …, wie war das noch gleich …, SDAJ Kontakt gehabt zu haben. Ich vermute, das ist die Abkürzung für Salafisitsche Deutsche Abteilung Jemens? Oder vielleicht Salafistischer Djihad … Allah? … Wofür steht das J?“ „Hallo, Herr Spitzer! Vermerken Sie, was Sie wollen. Ohne Belehrung ist das soweiso nicht verwertbar!“, stammelte ich in zunehmender Verwirrung. Durch den Hörer vernahm ich das Rascheln von Papieren, und nach einer kurzen Pause sagte Herr Spitzer: „Warten Sie, ich lese Ihnen meinen Vermerk vor: Noch ehe der Unterzeichner den Beschuldigten belehren konnte, äüßerte dieser in einem informellen Vorgespräch spontan …“. „Herr Spitzer, jetzt machen Sie mal halblang. Das ist ja gehirnschädlich, was Sie da von sich geben. Jetzt sagten Sie mir endlich, worum es in Dreiteufels Namen geht?“ Ungerührt fuhr Herr Spitzer fort: „Kennen Sie die Dönerbude schräg gegenüber Ihres Hauses?“ „Ach, Sie meinen die von Ali und Mustafa?“. „Sie geben also zu, die Betreiber der Imbissbude persönlich zu kennen?“. „Herr Gott nochmal! Klar kenne ich die. Die machen einen fantastischen Döner und der Thunfischsalat ist auch nicht zu verachten. Wenn ich mal keinen Bock habe zu kochen, hole ich mir da was zum Essen. Aber, was wollen Sie von mir?“, fragte ich nun völlig aus dem Konzept gebracht. Durch die Leitung hörte ich, wie der Beamte leise mitsprach, während er notierte: ´Der … Beschuuuldigte … beruuft … sich … aahuf … Gott …`. Herr Spitzer räusperte sich und legte seinen Eifer für einen Moment ab. Sehr förmlich sagte er: „Gegen Sie liegt eine anonyme Anzeige einer Bürgerin vor, die sehr interessante Beobachtungen gemacht hat! In die Dönerbude gegenüber von Ihrem Wohnhaus – Ich habe mich persönlich davon überzeugt … Sie können von Ihrem Küchenfenster da reinschauen – sind während des diesjährigen Schützenfestes verdächtige und – nach Überzeugung der Anzeigenerstatterin – gefährliche Personen konspirativ ein- und ausgegangen!“. „Langsam gewinne ich den Eindruck, Sie wollen mich verarschen, Herr Spitzer? Ich muss zugeben, dass die Schützen meistens ziemlich besoffen wirken und der eine oder andere mir auch verdächtig vorkommt, wenn er sich da seinen Döner holt. Aber gefährlich? Meinen Sie wegen der albernen Holzgewehre oder den Säbeln? Die sind doch nur zur Dekoration da!“. „Ich rede nicht von den Schützen!“, unterbrach er mich unwirsch. „Ich rede von verdächtigen, bärtigen Männern in Schlafanzügen und Nachthemden, die eindeutig der salafistischen Szene zuzuordnen sind!“. Unwillkürlich strich ich mir über meinen Wochenbart und dachte, dass ich mich doch besser regelmäßig rasieren sollte. Verunsichert fragte ich: „Ja, selbst wenn! Was hat das mit mir zu tun?“. Herr Spitzer legte eine beängstigende, künstliche Pause ein, ehe er fortfuhr: „Jetzt kommt ihr Auto ins Spiel. Es wurde beobachtet, dass diese Verdächtigen mit Ihrem Fahrzeug dorthin anreisen. Und Sie haben sich öffentlich zu den Salafisten bekannt?“. „Wie bitte? Ich habe was? Da muss eine Verwechslung vorliegen!“, äußerte ich empört. „Ich habe es selbst im Internet recherchiert. Sie haben einen Text darüber veröffentlicht, oder stammt der Artikel „ Zeugen Jehovas, Salafisten, Buddha und meine goldene Zündapp“ nicht von Ihnen?“. Als ich das hörte, fing ich laut an zu lachen. „Herr Spitzer, jetzt klär ich Sie mal auf: Der Artikel ist reiner Humbug, eine Art Satire, und Sie haben die Geschichte bestimmt nicht gelesen, sonst würden Sie nicht so einen Quatsch erzählen. Und den Audi fährt ausschließlich meine Frau. Sie ist Christin und stammt aus Armenien, das heißt, sie hat ein historisch begründetes Vorurteil gegen so ziemlich alles, was mit dem Islam zu tun hat. Schon mal was vom armenischen Genozid durch die Türken gehört. Bergkarabach, der Krieg mit den Aserbaidschanern? Meine Frau hat zwar manchmal Haare auf den Zähnen, aber selbst im Bademantel kann man sie kaum mit einem Salafisten verwechseln. Im Übrigen ist ihr Auto mit absoluter Sicherheit die salifistestenfreie Zone in ganz Europa. Und nun zur Dönerbude: Ich kann zwar nicht die Hand für Ali und Mustafa ins Feuer legen, aber auf mich machen die einen ganz normalen, westlich angepassten Eindruck, oder warum meinen Sie, dass selbst die Schützen dort regelmäßig einkaufen. Die beiden nehmen sogar die Schützenparade mit ab. Bei der EM hatten sie eine Deutschlandfahne rausgehängt. Sie tragen weder Bart noch Gespensterverkleidung. Ich wohne direkt gegenüber, und Sie haben Recht. Ich kann in die Imbissbude reinschauen und ich versichere Ihnen, dass ich dort noch nie irgendein Salafistengespenst gesehen habe! Ihre Zeugin hat offenbar einen Dachschaden!“. Schon viel freundlicher

Zeugen Jehovas, Salafisten, Buddha und meine goldene Zündapp

Als es am Sonntag um 14 h klingelte, ahnte ich, wer da draußen vor der Haustüre stand. Ich zurrte meinen Morgenmantel fest und strich mir durch die stubbeligen Haare, was zu keiner Verbesserung führte. Mit nackten Füßen schlich ich zur Haustüre und spähte durch die verzierte Scheibe, wobei mir der Unsinn des heimlichen Vorgehens sofort bewusst wurde. Von draußen konnten sie mich ebenso gut sehen wie ich sie. Es blieben nur zwei Möglichkeiten, aber ein beobachtetes Zurückschleichen wäre mir peinlich gewesen, also öffnete ich entschlossen die Haustüre. Die beiden Herren blickten in ihren schwarzen Anzügen so freundlich die zwei Stufen zu mir herauf, dass mir der spontane Satz „Sie schon wieder!“ auf der glatten Zunge ins Straucheln geriet und so von einem griffigen „Guten Morgen!“ rechts des Gaumenzäpfchens überholt wurde. „Sie hatten gesagt, wir könnten wiederkommen. Passt es Ihnen heute?“, fragte der Ältere und brachte seine große Nase durch vorsichtiges Zurücklegen des Kopfes in Sicherheit, als erwarte er erneut ein bissiges „Nein!“, das nach ihm hätte schnappen können. Ich zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, was ihnen Mut machte. Sie traten einen Schritt näher und blickten mich hoffnungsfroh an. „Nun ja, ich bin ein wenig derangiert. Bitte entschuldigen Sie. Es war hart. Die ganze Zeit im Gefängnis, das macht einen müde.“ Ihre Blicke glitten von meinen zerzausten Haaren an mir herunter, streiften das von meinem unartigen Bademantel geöffnete Dreieck mit der spärlichen, grauen Brustbehaarung, verweilten einen Moment an meinen stacheligen Beinen und prüften meine Fußnägel. Mit einem verzagten Gleichschritt zurück, versuchten sie Sicherheitsabstand zu gewinnen, und um ganz sicher zu gehen, klemmten sie sich ihre braunen Lederkladden schützend vor die Brust. „Oh, das tut uns leid …, wir wollten nicht stören …, aber …. Wir dachten …, weil sie ja die letzten Wochen auch immer geöffnet haben …, Gefängnis?“ „Nein, nein! Sie stören nicht.“ Um Vertrauen zu gewinnen, öffnete ich den Gürtel meines Bademantels und gewährte ihnen einen Blick auf meine Unterhose. Dann zog ich mir den Mantel dicht um die Schultern und band den Gürtel wieder fest zu. „Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Das geht nun schon 20 Jahre so. Rein in den Knast, raus aus dem Knast. Man gewöhnt sich daran. Glauben Sie mir, so schlimm ist das nicht!“ Der Jüngere musterte mich mitleidig. „Aber dann würde Ihnen ein Gespräch mit uns vielleicht helfen. Glauben Sie an Gott?“ Ein leichtes Nieseln kündigte ein von Süden schnell aufziehendes Gewitter an. Ich rückte meine Lesebrille zu Recht und schaute ihn über den Brillenrand hinweg an. „Gott? Ich dachte Sie seien vom Finanzamt! Ich hab mich schon gewundert, dass Beamte sonntags arbeiten. Nun ja, … Gott? Ich weiß nicht. Ich habe mich noch nicht entschieden …“ Ich spürte, wie die Hoffnung auf missionarischen Erfolg in ihnen aufkeimte und beendete meinen Satz: „…, ich meine, ich habe mich noch nicht entschieden, für welchen Gott. Da gibt es ja so einige?“ Draußen hatte sich der immer zorniger werdende Niesel zu einem heftigen Regenfall gesteigert. Dicke Tropfen prasselten auf den Bürgersteig und tanzten um die Schuhe der beiden Männer. Ein von dumpfem Donnergrollen gefolgter Blitz zuckte aus der dunklen Wolkendecke. Ich hob meine Stimme, um gegen das Unwetter anzusprechen: „Also, bitte erklären Sie mir, welcher Gott Sie schickt – und Sie glauben, er könne mir helfen?“ „Wir sind Zeugen Jehovas. Gott hilft den verlorenen Seelen, die bereit sind, sich zu öffnen und zuzuhören!“, sagte der Jüngere und sein älterer Jünger nickte weise und tapfer, mit einem irgendwie verschwommenen, beinahe spirituellen Blick, während der Regen von seinen mittlerweile klitschnassen Haaren aus den kürzesten Weg zwischen Hemdkragen und Nacken zum Hosenbund suchte. Ich versuchte, ihm in die Augen zu blicken, aber da war dieses vielleicht göttlich Verschleierte, nach außen begrenzt nur durch ein schwarzes Fielmann-Gestell, das mich irritierte, bis mir schlagartig klar wurde, dass die Brille des Mannes beschlagen und mit verschieden großen Wassertropfen übersät war, die punktuell – wie durch eine Lupe – kleinste Stellen seiner hinter dem Glas gelegene Iris vergrößerten und ihm ein unheimliches Aussehen verliehen. „Das ist vielleicht ein Scheißwetter! Wenn ich Millionär wäre, würde ich hier abhauen und mein Glück in Südamerika oder sonst wo suchen!“, brüllte ich gegen den zunehmenden Regen an. „Wollen Sie nicht lieber rein kommen?“ Die beiden drückten sich an mir vorbei in den Flur und schüttelten sich den Regen von den Schultern. Ich glaube, nur ihr eiserner Glaube hinderte sie daran das Wetter und mich, der so spät auf die rettende Idee gekommen war, ihnen Obdach zu gewähren, zu verfluchen. Sie sagten jedenfalls kein böses Wort, als ich ihnen die aus der Form geratenen, triefenden Jacketts abnahm und ordentlich auf einen Bügel an die Garderobe hing. „Wirklich ein Sauwetter! Da kriegt man ja Depressionen!“, versuchte ich sie zu trösten und schob sie dabei sanft in die Küche. „Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“ „Nein, danke“, sagte der Jüngere. „Wenn Sie vielleicht ein Mineralwasser für uns hätten?!“ Ich unterdrückte die Frage, ob sie für heute nicht schon genug Wasser gehabt hätten, schenkte ihnen ein Mineralwasser und mir einen wunderbar heißen Kaffee ein. Wir setzten uns an den Küchentisch und schwiegen, während ich an meinem dampfenden Kaffee nippte und mir eine Zigarette anzündete. „Wenn Ihr Gott es schafft, mich von meiner Nikotinsucht zu heilen, dann schafft er alles!“, durchbrach ich, mit dem Willen eine Diskussion anzuzetteln, die Stille. „Gott hilft denjenigen, die sich selber helfen!“, murmelte der Ältere und putzte dabei seine Brille trocken. Der Jüngere holte aus seiner durchweichten Kladde eine Zeitschrift heraus und überreichte sie mir feierlich. „Da steht alles drin – unsere Zeitung, der Wachtturm.“ „In dem dünnen Heft soll ALLES stehen?“ Ich schaute ihn skeptisch an. „Das hätten Sie mir einfach in den Briefkasten werfen können! … Ich meine, ich lese das Käseblättchen, die Metrowerbung …, das Ding hätte ich in 5 Minuten durchgehabt. Ich dachte, sie wollten mit mir ernsthaft über Glaubensfragen diskutieren?“ Der Ältere setzte seine Brille auf und hob beschwichtigend die Hände: „Wir gehen von Tür zu Tür und freuen uns über jedes offene Ohr, das die Botschaft des Herren vernehmen möchte.