BGH: Spontanäußerung statt Vernehmung – Zum Beweisverwertungsverbot bei Aussagen im Krankenhaus

In einem Strafverfahren wegen eines mutmaßlichen Tötungsdelikts hatte der Angeklagte nach einem Autounfall im Krankenhaus spontan Angaben zum Tatgeschehen gemacht. Die Polizei hatte zuvor auf eine förmliche Vernehmung verzichtet – unter Verweis auf den Gesundheitszustand des Beschuldigten. Fraglich war, ob diese Äußerungen in der Hauptverhandlung verwertet werden durften oder ein Beweisverwertungsverbot nach § 136a StPO eingreift. Der Sachverhalt: Nach einer Messerattacke auf seine Ex-Partnerin wurde der Beschuldigte selbst verletzt und kam ins Krankenhaus. Dort erhielt er leichte Schmerz- und Beruhigungsmittel. Ein Polizeibeamter eröffnete ihm, dass er als Beschuldigter gelte, belehrte ihn ordnungsgemäß, erklärte aber, dass keine Vernehmung stattfinden werde. Dennoch äußerte sich der Beschuldigte im Rahmen der Spurensicherung ungefragt zur Tat. Die Entscheidung des BGH: Der Bundesgerichtshof verneinte ein Beweisverwertungsverbot: 🔹 Keine Vernehmung im prozessualen Sinn:Da der Polizeibeamte ausdrücklich mitteilte, keine Vernehmung durchführen zu wollen, lag keine „Aussageverlangen“ im Sinne von § 136a StPO vor. Die Äußerungen erfolgten ungefragt im Kontext anderer Maßnahmen und sind damit nicht durch § 136a Abs. 3 StPO geschützt. 🔹 Keine vernehmungsähnliche Situation:Auch unter dem Gesichtspunkt der Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur-Grundsatz) greift kein Schutz. Es gab keine Täuschung, keinen Zwang, keine Umgehung des Schweigerechts – der Beschuldigte hatte sich nicht auf sein Schweigerecht berufen und sprach von sich aus. 🔹 Spontanäußerungen sind verwertbar:Der BGH stellt klar: Spontan gemachte Angaben, die nicht auf Vernehmungsdruck oder polizeiliche List zurückgehen, unterliegen grundsätzlich keiner Verwertungsbeschränkung. Bedeutung für die Praxis: Diese Entscheidung verdeutlicht, dass der Schutz des Beschuldigten nach § 136a StPO nicht überspannt werden darf. Spontanäußerungen bleiben – trotz kritischer Gesamtsituation – verwertbar, solange keine vernehmungsähnliche Konstellation oder aktive Umgehung des Schweigerechts vorliegt. [BGH, Urt. v. 24.04.2025 – 5 StR 729/24] Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter

BGH: Gewerbsmäßigkeit beim Betrug – Konkretisierung der Anforderungen an Eigennützigkeit und Gehilfenvorsatz

Die Angeklagte war an mehreren sogenannten Schockanrufen beteiligt, mit denen ältere Menschen durch vorgetäuschte Notlagen zur Übergabe von Bargeld und Wertsachen bewegt werden sollten. Sie hielt Kontakt zu den Mittätern, unterstützte die Organisation der Taten und erhielt im Gegenzug von ihrem Lebensgefährten regelmäßige Geldleistungen, darunter Mietzahlungen, Taschengeld und Cannabis. Das Landgericht hatte die Angeklagte u.a. wegen gewerbsmäßigen Betrugs (§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB) verurteilt, lehnte jedoch den Qualifikationstatbestand des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs (§ 263 Abs. 5 StGB) ab – ebenso wie eine Strafbarkeit wegen Diebstahls mangels Gehilfenvorsatzes. Der BGH beanstandete beides. Zur Gewerbsmäßigkeit: Der BGH stellt klar: Gewerbsmäßiges Handeln liegt bereits dann vor, wenn sich der Täter – auch mittelbar – eine nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Einnahmequelle aus der Tatbegehung verschaffen will. Es genügt, wenn der Vorteil – wie hier – nicht unmittelbar aus der Beute, sondern über regelmäßige Leistungen Dritter (z.B. durch einen Tatbeteiligten) erwartet wird. Dass die Angeklagte keine unmittelbare Beteiligung an der Beute hatte, steht der Gewerbsmäßigkeit nicht entgegen. Entscheidend ist, ob sie nach ihrer Vorstellung die Vorteile auch wegen ihrer Mitwirkung an den Taten erhielt – das war nach Ansicht des BGH der Fall. Zum Gehilfenvorsatz: Auch die Annahme fehlenden Vorsatzes in Bezug auf einen eigenmächtigen Diebstahl des Mitangeklagten wurde vom BGH verworfen. Es genügt beim Gehilfen ein bedingter Vorsatz, der sich auf den wesentlichen Unrechtsgehalt und die Angriffsrichtung der Tat bezieht. Im Kontext von Schockanrufen liegt es nahe, dass Dritte die Situation ausnutzen könnten, um zusätzlich durch Wegnahme von Wertgegenständen Vermögensschäden zu verursachen – diese Möglichkeit hätte das Landgericht prüfen müssen. Die Entscheidung schärft die Anforderungen an die strafrechtliche Bewertung arbeitsteilig begangener Vermögensdelikte – insbesondere in Bezug auf die mittelbare Vorteilserlangung und die Kenntnisgrenzen von Gehilfen. [BGH, Urt. v. 26.02.2025 – 2 StR 480/24] Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter

BGH: Täuschung oder Drohung? – Zur Abgrenzung von Betrug und Erpressung

In einem bemerkenswerten Fall hat der Bundesgerichtshof zur Abgrenzung zwischen Betrug (§ 263 StGB) und Erpressung (§ 253 StGB) Stellung genommen. Der Angeklagte hatte sich gegenüber den Geschädigten als Mitglied eines Rockerclubs ausgegeben, unter dem Pseudonym „Ö.“, und Geldzahlungen gefordert. Dabei drohte er mit einem „netten Gespräch“, falls nicht gezahlt werde – ein Begriff, den er unter seiner wahren Identität als Freund des angeblichen Rockers erklärte: Das solle heißen „Zusammenschlagen und Vergewaltigen“. Zur Untermauerung der Drohkulisse schilderte der Angeklagte, dass er selbst von „Ö.“ bereits bedroht worden sei, dass dieser gewalttätig sei und sogar die Bremsleitungen seines Fahrzeugs habe durchtrennen lassen. Aus Angst um seine Tochter habe er angeblich selbst bereits hohe Summen gezahlt. Das Landgericht hatte zunächst wegen Betrugs verurteilt. Der BGH stellte jedoch klar: In Wahrheit lag eine Erpressung vor. Die angebliche Person „Ö.“ diente allein dazu, eine bedrohliche Scheinrealität zu erzeugen – also eine Drohung, nicht eine Täuschung über Tatsachen. Der Täter gab sich zudem als jemand aus, der Einfluss auf das Gewaltpotenzial dieser fiktiven Figur habe – das genügt für eine Drohung im Sinne des § 253 StGB. Entscheidend ist dabei: Wenn eine Täuschung lediglich dazu dient, eine Drohung realistischer oder einschüchternder wirken zu lassen, geht sie in der Drohung auf. In solchen Fällen liegt keine Täuschung im Sinne des Betrugs vor, sondern eine Drohung – mit der Folge, dass die Tat als Erpressung zu werten ist. [BGH, Beschl. v. 25.02.2025 – 5 StR 739/24] Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter

BGH: Unmittelbares Ansetzen beim Betrug – Konkretisierung der Schwelle zum Versuch

In einer aktuellen Entscheidung hat sich der Bundesgerichtshof mit der Frage beschäftigt, wann beim Betrug der Versuch beginnt – also wann das sogenannte „unmittelbare Ansetzen“ vorliegt. Die Angeklagten hatten hochbetagte Geschädigte angerufen und sich als Bankmitarbeiter, Polizisten oder Staatsanwälte ausgegeben. Ziel war es, durch eine komplex angelegte Täuschung über angebliche Falschgeldauszahlungen und angebliche Auslandsüberweisungen eine Geldübergabe an Abholer zu erwirken. In einigen Fällen wurde das Gespräch jedoch vorzeitig abgebrochen, bevor der konkrete Bezug zu „Falschgeld“ thematisiert werden konnte. Trotzdem sah der BGH hierin bereits ein unmittelbares Ansetzen zum Betrug: Auch vorbereitende Täuschungshandlungen können ausreichen, wenn sie – wie hier – Teil eines durchdachten Tatplans sind, der ohne wesentliche Zwischenschritte in die Vermögensverfügung münden soll. Das bloße Erwecken eines allgemeinen Vertrauens reicht dabei zwar regelmäßig nicht aus – wohl aber dann, wenn die Täuschung bereits gezielt auf den Schaden des Opfers gerichtet ist. Besonders relevant ist die Klarstellung des BGH: Auch bei einer mehrstufigen Täuschung, die innerhalb eines zusammenhängenden Telefongesprächs erfolgt, kann bereits der erste irreführende Kontakt ein strafbarer Versuch sein – sofern nach Tätervorstellung eine natürliche Einheit mit der Vermögensverfügung besteht. Diese Entscheidung präzisiert die Schwelle vom straflosen Vorbereitungsstadium hin zum strafbaren Versuch bei sogenannten Callcenter-Betrugsfällen entscheidend. [BGH, Beschl. v. 14.01.2025 – 5 StR 583/24] Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter

BGH: Gefährliche Körperverletzung und Rücktritt vom Versuch – Abgrenzung bei § 224 I Nr. 3 StGB und § 24 StGB

Nach einem eskalierten Streit begab sich der Angeklagte mit einem ausgeklappten Einhandmesser zur Wohnung des Geschädigten. Unter dem Vorwand einer Entschuldigung täuschte er Friedfertigkeit vor, stach dann jedoch überraschend mit dem Messer in den Halsbereich des Opfers. Dieses überlebte schwer verletzt. Der Bundesgerichtshof hatte sich mit zwei zentralen strafrechtlichen Fragen zu befassen: Erstens, ob ein hinterlistiger Überfall im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB vorlag, und zweitens, ob ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch eines Tötungsdelikts (§ 24 Abs. 1 StGB) angenommen werden konnte. Der BGH stellte klar, dass ein hinterlistiger Überfall regelmäßig bereits dann vorliegt, wenn der Täter – wie hier – in friedfertiger Weise auftritt, seine wahre Absicht verbirgt und das Opfer dadurch überraschend und ohne Verteidigungsmöglichkeit angegriffen wird. Zugleich betonte der BGH die maßgebliche Bedeutung des sog. Rücktrittshorizonts bei der Frage, ob ein Versuch beendet oder unbeendet ist. Hält der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Erfolg nicht für möglich, kann ein strafbefreiender Rücktritt durch bloßes Aufgeben der weiteren Tatausführung vorliegen – selbst bei gefährlichen Gewalthandlungen. Im vorliegenden Fall hielt der Angeklagte nach der Stichbewegung offenbar den tödlichen Erfolg nicht mehr für wahrscheinlich und ließ von weiteren Angriffen ab. Damit war ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch anzunehmen. [BGH, Urteil vom 30.01.2025 – 4 StR 243/24] Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter

KG Berlin: Cannabis in der Zelle erlaubt

Sachverhalt: Ein Strafgefangener, der eine mehrjährige Freiheitsstrafe verbüßt, wurde vom Amtsgericht Tiergarten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt. Nicht strafbar sei jedoch – so das Amtsgericht – der Besitz von rund 45 Gramm Cannabisharz, das der Mann in seiner Gefängniszelle aufbewahrte. Dieser Teil der Anklage wurde unter Verweis auf das neue Konsumcannabisgesetz (KCanG) vom Vorwurf ausgenommen. Die Staatsanwaltschaft akzeptierte das nicht und legte gegen das Urteil sofort Sprungrevision zum Kammergericht Berlin ein. Dort scheiterte sie: Das Kammergericht bestätigte, dass der Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis auch in einer Gefängniszelle grundsätzlich erlaubt sein kann – wenn die Zelle als „gewöhnlicher Aufenthalt“ im Sinne des § 3 KCanG gilt. Rechtslage: Das Konsumcannabisgesetz erlaubt seit dem 01. April 2024 volljährigen Personen unter anderem den Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis am Ort ihres „gewöhnlichen Aufenthalts“ (§ 3 Abs. 1 KCanG). Die Staatsanwaltschaft war der Ansicht, der Gefängnisaufenthalt könne nicht als „gewöhnlicher Aufenthalt“ gelten, weil dieser unfreiwillig erfolge. Zudem seien Sicherheit und Ordnung des Vollzugs durch Drogenbesitz gefährdet. Das Kammergericht widersprach dieser Sichtweise. Es stellte klar: Auch eine Gefängniszelle kann rechtlich als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des KCanG gelten. Entscheidend sei nicht die Freiwilligkeit des Aufenthalts, sondern allein die tatsächlichen Lebensumstände. Der Haftraum eines Strafgefangenen sei über Monate oder Jahre hinweg sein Lebensmittelpunkt – dort schlafe er, nehme Besuch, pflege soziale Kontakte und verbringe den überwiegenden Teil seiner Zeit. Zu beachten bleibt dennoch: Das Urteil entzieht nur der Strafbarkeit die Grundlage – es bedeutet nicht, dass der Konsum oder Besitz in der JVA automatisch erlaubt ist. Justizvollzugsanstalten dürfen weiterhin per Hausordnung oder Allgemeinverfügung eigene Regelungen treffen, die den Besitz und Konsum untersagen. [KG Berlin, Beschluss v. 28.05.2025, 5 ORs 17/25 – 121 SRs 31/25] Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter

BGH: Smartphone-Zwangsentsperrung rechtmäßig

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Ermittlungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen das Smartphone eines Beschuldigten auch zwangsweise per Fingerabdruck entsperren lassen dürfen. Voraussetzung ist, dass zuvor eine richterlich angeordnete Durchsuchung erfolgt ist und der Zugriff auf die Daten verhältnismäßig ist. Sachverhalt: Der Angeklagte A. war wegen kinderpornografischer Straftaten verurteilt worden. Bei einer Wohnungsdurchsuchung hatte er sich geweigert, sein Smartphone freiwillig zu entsperren. Die Polizei legte daraufhin seinen Finger gegen seinen Willen auf den Sensor, wodurch der Zugriff auf die gespeicherten Dateien gelang – darunter belastendes Material, das später zur Verurteilung führte. Die Verteidigung hatte argumentiert, eine solche Maßnahme verletze das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit und sei ohne gesetzliche Grundlage erfolgt. Der BGH folgte dieser Argumentation nicht. Rechtslage: Laut dem BGH ist § 81b Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 94 ff. StPO eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Maßnahme – insbesondere dann, wenn: Die Selbstbelastungsfreiheit des Beschuldigten sei nicht verletzt, so der Senat, da sie nur vor einer aktiven Mitwirkung schützt – nicht jedoch vor dem Dulden polizeilicher Zwangsmaßnahmen wie dem Auflegen des Fingers. Der 2. Strafsenat hält die Maßnahme auch mit europäischem Datenschutzrecht für vereinbar, insbesondere mit der Datenschutzrichtlinie 2016/680/EU. Die Maßnahme diene einem legitimen Ziel im Sinne des Gemeinwohls und sei datenschutzrechtlich nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Entscheidung stärkt die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden beim Datenzugriff auf Mobilgeräte – auch gegen den Willen des Beschuldigten. Sollten Sie betroffen sein, wenden Sie sich an uns. [BGH, Beschl. v. 13.03.2025, Az. 2 StR 232/24] Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Im Schatten verschlüsselter Chats – EncroChat und der falsche Freispruch

Sven R. hatte ein System. Keine echten Namen, keine Fotos, keine offenen Gespräche. Alles lief über ein EncroChat-Handy – ein Spezialgerät, das in seiner Welt als nahezu „unknackbar“ galt. Die Kommunikation mit seinen Partnern bestand aus kurzen, verschlüsselten Nachrichten. Mengen, Preise, Treffpunkte. Sven handelte mit Cannabis – nicht im kleinen Stil, sondern mit Kilos. Für ihn war das Alltag. Was er nicht wusste: Französische Ermittlungsbehörden hatten längst Zugriff auf das Netzwerk. Unbemerkt zapften sie die Kommunikation direkt an der Quelle ab, speicherten Millionen von Nachrichten – auch seine. Die Daten wurden im Rahmen europäischer Zusammenarbeit an deutsche Behörden weitergegeben. Für die Polizei war das wie ein Lottogewinn. Sven wurde schließlich vor dem Landgericht Berlin angeklagt. Die Beweislage schien erdrückend – doch das Gericht sprach ihn teilweise frei. Der Grund: Die EncroChat-Daten seien unverwertbar. Das neue Cannabisgesetz (KCanG)hatte den Handel mit Cannabis inzwischen entschärft – aus einem Verbrechen war ein Vergehen geworden (§ 34 I, III KCanG). Und bei einem Vergehen, so das Gericht, sei eine Online-Durchsuchung wie in seinem Fall nicht mehr zulässig (§ 100b StPO). Also: Freispruch für die Taten, die auf den Chatdaten beruhten. Doch die Sache ging weiter: Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein – und der BGH entschied am 30.01.2025 (Az.: 5 StR 528/24) ganz anders. Der BGH hob den Freispruch auf. Begründung: Es stimme zwar, dass bei Gesetzesänderungen grundsätzlich das mildere Gesetz gilt (§ 2 III StGB). Aber nicht in diesem Fall. Denn: Die EncroChat-Daten stammten nicht aus einer deutschen Maßnahme, sondern aus Frankreich – und wurden über eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) an Deutschland übermittelt. Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, 30.04.2024 – C-670/22) kommt es dann darauf an, ob eine solche Maßnahme nach deutschem Recht zum Zeitpunkt der Datenanforderung zulässig gewesen wäre. Und zu diesem Zeitpunkt galt noch das alte Betäubungsmittelgesetz: § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – also ein Verbrechen. Damit war die Online-Durchsuchung rechtmäßig. Auch die zusätzliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit (§ 100e VI StPO) ergab laut BGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Sven hatte Glück vorm Landgericht – aber nur kurz. Der BGH machte klar: Wer in Zeiten des alten BtMG mit großen Mengen Cannabis handelte, kann sich heute nicht auf das neue Cannabisgesetz berufen, wenn die Beweise über EncroChat kamen. Das Verfahren gegen ihn wird weitergehen – mit verwertbaren Beweisen. Geschichte beruht auf BGH, Urteil v. 30.01.2025 – 5 StR 528/24 Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter

„Mosaiktheorie“ – Wann Zeugen schweigen dürfen

Wer als Zeuge in einem Strafverfahren aussagen soll, fragt sich oft: Muss ich wirklich alles sagen – auch wenn es mir selbst schaden könnte? Die Antwort lautet: Nein – nicht immer. Genau hier greift die sogenannte Mosaiktheorie. Sie wurde von der Rechtsprechung entwickelt und schützt Zeugen davor, sich durch ihre eigene Aussage unfreiwillig selbst zu belasten. Was bedeutet das konkret? Eine Aussage, die harmlos wirkt, kann unter Umständen Teil eines größeren Beweisbildes werden. Genau hier greift die Mosaiktheorie, entwickelt durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Stellen Sie sich vor, Ihre Aussage ist ein kleines Steinchen in einem Mosaik. Für sich allein ist es wenig aussagekräftig – aber gemeinsam mit anderen Informationen kann daraus ein belastendes Gesamtbild entstehen. Dann gilt: Sie müssen nicht aussagen, wenn Ihre Antwort zur Bildung eines Verdachts gegen Sie selbst beitragen könnte. Rechtsgrundlage: § 55 Strafprozessordnung (StPO) Die rechtliche Basis für dieses Schweigerecht ist § 55 Absatz 1 StPO. Dort heißt es: „Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.“ Wichtig ist dabei: Nicht nur direkte Belastungen zählen. Auch wenn Ihre Aussage nur mittelbar zur Erhärtung eines Verdachts beiträgt – also ein „Mosaikstein“ ist – darf die Aussage verweigert werden. Das wurde mehrfach vom BGH höchstrichterlich bestätigt (vgl. beispielsweise BGH, 1 BJs 46/86-5 I BGs 286/87). Wann darf ich wirklich schweigen? Ein pauschales Schweigen ist nicht erlaubt. Es müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: ✅ Es besteht eine konkrete Gefahr der Strafverfolgung – keine bloße Theorie.✅ Die Aussage würde ein relevantes „Teilstück“ in einem strafrechtlich verwertbaren Gesamtbild liefern.✅ Es ist bekannt oder erkennbar, dass der Ermittlungsbehörde bereits belastende Informationen vorliegen, mit denen Ihre Aussage kombiniert werden könnte. Auch nach Verurteilung kann Schweigen erlaubt sein Selbst wenn Sie wegen einer bestimmten Tat bereits verurteilt wurden, dürfen Sie weiterhin die Aussage verweigern, wenn zwischen dieser und anderen möglichen Straftaten ein enger Zusammenhang besteht. Denn Ihre neue Aussage könnte Hinweise auf noch nicht abgeurteilte Taten liefern – und damit erneut eine Strafverfolgung auslösen. Sie sind als Zeuge geladen und unsicher, was Sie sagen dürfen oder müssen?Vereinbaren Sie jetzt ein Beratungsgespräch. Ich helfe Ihnen, Ihre Rechte sicher und klar wahrzunehmen. Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter

BGH: Bestätigung der Verurteilung im Frankfurter Korruptionsfall

Der BGH bestätigt die Verurteilung im Frankfurter Korruptionsfall. Ein ehemaliger Oberstaatsanwalt aus Frankfurt, einst Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung von Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen, wurde wegen Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung verurteilt. Über einen Zeitraum von 13 Jahren (2007–2020) nahm er von einem befreundeten Unternehmer Bestechungsgelder in Höhe von fast 459.000 € an. Im Gegenzug vergab er Gutachteraufträge an dessen Firma. Zusätzlich erhielt er rund 74.000 € von einem weiteren Unternehmen für die technische Aufbereitung sichergestellter ärztlicher Abrechnungsdaten. Der entstandene Schaden für die Staatskasse wird auf etwa 556.000 € beziffert. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Verurteilung durch das Landgericht Frankfurt am Main, das eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verhängt hatte. Zudem wurde die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 532.906,77 € angeordnet. Lediglich in zwei Punkten – der Steuerverkürzung des Oberstaatsanwalts und einem Subventionsbetrug des Mitangeklagten – sah der BGH Verfahrensfehler, die jedoch keinen Einfluss auf das Strafmaß hatten. BGH, Beschluss vom 08.04.2025 – 1 StR 475/23 Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter