Sven R. hatte ein System. Keine echten Namen, keine Fotos, keine offenen Gespräche. Alles lief über ein EncroChat-Handy – ein Spezialgerät, das in seiner Welt als nahezu „unknackbar“ galt. Die Kommunikation mit seinen Partnern bestand aus kurzen, verschlüsselten Nachrichten. Mengen, Preise, Treffpunkte. Sven handelte mit Cannabis – nicht im kleinen Stil, sondern mit Kilos. Für ihn war das Alltag.
Was er nicht wusste: Französische Ermittlungsbehörden hatten längst Zugriff auf das Netzwerk. Unbemerkt zapften sie die Kommunikation direkt an der Quelle ab, speicherten Millionen von Nachrichten – auch seine. Die Daten wurden im Rahmen europäischer Zusammenarbeit an deutsche Behörden weitergegeben. Für die Polizei war das wie ein Lottogewinn.
Sven wurde schließlich vor dem Landgericht Berlin angeklagt. Die Beweislage schien erdrückend – doch das Gericht sprach ihn teilweise frei. Der Grund: Die EncroChat-Daten seien unverwertbar. Das neue Cannabisgesetz (KCanG)hatte den Handel mit Cannabis inzwischen entschärft – aus einem Verbrechen war ein Vergehen geworden (§ 34 I, III KCanG). Und bei einem Vergehen, so das Gericht, sei eine Online-Durchsuchung wie in seinem Fall nicht mehr zulässig (§ 100b StPO).
Also: Freispruch für die Taten, die auf den Chatdaten beruhten.
Doch die Sache ging weiter: Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein – und der BGH entschied am 30.01.2025 (Az.: 5 StR 528/24) ganz anders.
Der BGH hob den Freispruch auf. Begründung: Es stimme zwar, dass bei Gesetzesänderungen grundsätzlich das mildere Gesetz gilt (§ 2 III StGB). Aber nicht in diesem Fall.
Denn: Die EncroChat-Daten stammten nicht aus einer deutschen Maßnahme, sondern aus Frankreich – und wurden über eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) an Deutschland übermittelt. Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, 30.04.2024 – C-670/22) kommt es dann darauf an, ob eine solche Maßnahme nach deutschem Recht zum Zeitpunkt der Datenanforderung zulässig gewesen wäre.
Und zu diesem Zeitpunkt galt noch das alte Betäubungsmittelgesetz: § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – also ein Verbrechen. Damit war die Online-Durchsuchung rechtmäßig.
Auch die zusätzliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit (§ 100e VI StPO) ergab laut BGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Sven hatte Glück vorm Landgericht – aber nur kurz. Der BGH machte klar: Wer in Zeiten des alten BtMG mit großen Mengen Cannabis handelte, kann sich heute nicht auf das neue Cannabisgesetz berufen, wenn die Beweise über EncroChat kamen.
Das Verfahren gegen ihn wird weitergehen – mit verwertbaren Beweisen.
Geschichte beruht auf BGH, Urteil v. 30.01.2025 – 5 StR 528/24
Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter