Jetzt werden wir mal persönlich. Über die Leidenschaft, in fremden Schlafzimmern rumzuwühlen.

Wenn man sehr verärgert ist, sollte man vorsichtig sein, was man schreibt! Erst mal bis 10 zählen und tief durchatmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen im nachfolgenden Artikel sind rein zufällig. Auch gibt es kein Landgericht Lochum.Als ich den Zellentrakt des Landgerichts Lochum betrat und auf den Haftvorführraum zuging, hörte ich bereits die bedächtige, monotone Stimme von Staatsanwalt Chaplin. Er stand vornübergebeugt am Richtertisch und redete auf die Haftrichterin ein – die Köpfe nur 30 cm auseinander. Jetzt bemerkten sie mich, ein letzter geflüsterter Satz und Charly richtete sich auf. Mit seiner grauen Bügelfaltenhose, gelbem Hemd und einem schreiend unpassenden braunen Jackett aus den 50iger Jahren kam er mit wenigen Schritten auf mich zu. Ich meinte ein „guten Tag“ gehört zu haben, als sich der kleine Mann auf seinen Stuhl neben der Türe setzte. Den Gedanken, die beiden bei einem flüchtigen Kuss erwischt zu haben, verwarf ich schnell und dennoch fiel mir die nun schwindende Gesichtsröte der Richterin auf. Auch sie verweigerte eine auch nur halbwegs freundliche Begrüßung. „Sie sind Rechtsanwalt Meister? Den Sinn ihres Haftprüfungsantrages müssen sie mir erklären. Wo ist ihr Mandant?“, schnippte sie mich an. Während ich mir noch Gedanken machte, ob das Jackett des Staatsanwalts passend zu dessen Brille geschneidert oder umgekehrt, die Brille nach dem Jackett ausgesucht worden war, antwortete ich: „Erst einmal einen wunderschönen Tag allerseits. Ich könnte mir denken, dass mein Mandant anlässlich seiner Haftprüfung in einer der vielen Zellen da draußen sitzt? Geben Sie mir den Schlüssel, und ich hole ihn. Über den Sinn von Haftprüfungsanträgen im Allgemeinen und Speziellen können wir ja dann in seiner Anwesenheit sprechen?“ Ich setzte mich und wollte gerade zu einem Kompliment für die Brille ansetzen, als Charly mich ohne eine Schwankung in der Tonhöhe und ohne jede Gesichtsregung leise ansprach: „Mir erklären Sie, wieso sie mir die Ermittlungsakte erst zwei Tage nach Fristsetzung zurückgesandt haben. “ Ich war baff und fing an in der Akte nach dem Rücksendungsschreiben zu suchen. Einem Aktenvermerk meiner Sekretärin konnte ich entnehmen, dass die Akte rechtzeitig in den Postlauf kam und es diverse Telefonate mit der Geschäftsstelle der StA gegeben hatte. Die Akte war dort wohl untergegangen und dann wieder aufgetaucht. Der Sachbearbeiter hatte sich für seine Nachfragen bei meiner Sekretärin freundlich entschuldigt. Ohne Charly anzusehen las ich in dem stillen Zimmer- wie für mich selbst,  leise aber  gut hörbar – den Aktenvermerk vor und beendete ihn mit dem gedankenverlorenen Satz: „Das sind ja Zustände bei der Staatsanwaltschaft Lochum, tsss, tsss. tsss.“ Endlich wurde der Mandant vorgeführt. Er nahm neben mir Platz und ich legte los: „Okay, Herrn Alibidi wird ein bandenmäßiger Betrug vorgeworfen. Die Schadenssumme von knapp 100.000 € ist auch nicht allzu gering. Auf der anderen Seite ist Herr Alibidi bereit, sich konstruktiv einzulassen und eine Kaution i.H.v. 15.000 € zu stellen. Er lebt mit zwei kleinen Kindern und seiner Ehefrau in ansonsten geordneten Verhältnissen und wird sich dem Verfahren stellen. Ich denke, dass unter diesen Voraussetzungen durchaus eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls in Frage kommt.“ Die mutige Haftrichterin schielte rüber zu Charly, der immer noch regungslos auf seinem Stuhl saß. Er lebte noch, denn nach einigen langen Sekunden fing er sinuston-gleich an zu sprechen. Ich beobachtete fasziniert seine Augen. Kein einziger Wimpernschlag, keine Mimik. Wie schaffte der das nur? Charly machte klar, dass er ein Geständnis begrüßen würde und die Kaution von der Höhe her in Ordnung sei. Eine Haftverschonung komme heute aber nicht in Frage, erst müsse der Mandant von ihm persönlich vernommen werden. Zwar gehe auch er nicht von Fluchtgefahr aus, aber im Moment bestehe noch Verdunklungsgefahr, weil erstens, das „ertrogene“ Geld noch nicht sichergestellt sei und zweitens, Mittäter, die noch nicht ermittelt werden konnten, gewarnt werden könnten. Um keine Zeit zu verlieren, könnten wir sofort mit der Vernehmung beginnen. Ein Blick zur Haftrichterin bestätigte meine Vermutung, dass  zumindest in Lochum der Staatsanwalt über Haftfragen entscheidet. Die Richterin fragte ohne weiteren Kommentar, ob ich den Haftprüfungsantrag für heute zurücknehmen wolle. Ich schluckte meinen Ärger herunter und wenig später fand die Vernehmung in erstaunlich harmonischer Stimmung statt. Alibidi räumte seinen Tatbeitrag ein. Er habe Hilfe geleistet und dafür 4.000 € erhalten. Hintermänner kenne er nicht, die Schadenssumme sei seinem Mittäter zugutegekommen. Wenn dieser genau das Gegenteil behaupte, sei das gelogen. Charly war mit der Vernehmung zufrieden und menschliche Züge blitzten für kurze Augenblicke auf, als wir gemeinsam Herrn Alibidi zurück in seine Zelle begleiteten. Stolz erzählte er, dass er jeden Tag mit dem Fahrrad zum Dienst fahre und in seiner Freizeit ein begeisteter Bergsteiger sei. Er sei einer der wenigen Staatsanwälte, die noch selbst ermittelten. Für ihn sei es spannend, früh morgens mit Polizeibeamten in Wohnungen zu stürmen und die Schlafzimmer von Beschuldigten zu durchsuchen.  Er verabschiedete sich freundlich und versprach in Kürze wegen eines neuen Haftprüfungstermins zurückzurufen. Nach ein paar Metern drehte er sich noch einmal kurz zu mir um: „Ich will nicht nur die Kaution, sondern auch die Pässe ihres Mandanten. Sie liegen in der Schlafzimmerkonsole rechts, oberste Schublade.“ Hierbei huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Nach drei Tagen rief ich Charly an und fragte, was los sei. „Warum sind Sie so ungeduldig? Ihr Mandant sitzt doch erst 6 Wochen in Haft.“ „Jeder überflüssige Tag Haft, ist einer zu viel. Sagt Ihnen der Begriff  „Ultima Ratio“  in dem Zusammenhang etwas?“ „Ich werde nächste Wochen noch einmal den Mittäter vernehmen. Solange muss sich ihr Mandant gedulden.“ In dem Telefonat in der Woche danach teilte er mir mit, dass der Mittäter bei seiner Aussage bleibe. „Oh, wundersame Überraschung!“ entfuhr es mir. „Solange die Schadenssumme nicht auf dem Tisch liegt und die Hinterleute nicht benannt werden, stimme ich einer Haftverschonung nicht zu. Im Übrigen ist die Anklage fertig und liegt bereits beim Schöffengericht.“ Klack, Ende  des Telefonats. ‚Was für ein arrogantes A ……, na warte! Die können in Lochum doch nicht alle vom anderen Stern sein‘, – dachte ich. Mit einer am Telefon freundlich wirkenden Vorsitzenden vereinbarte ich am gleichen Tage einen neuen Haftprüfungstermin nur wenige Tage später und erlebte ein Déjà-vu. Wieder war Charly vor mir im Richterzimmer,

Der Maskenmann und das Zimmermädchen

Es ist ein Erfahrungssatz, den leidgeprüfte Verteidiger, Staatsanwälte und Haftrichter bestätigen können: Verhaftungen finden meistens Freitags nach Dienstschluss statt und bescheren den Beteiligten Arbeit am Samstag, wenn die Vorführung beim Haftrichter ansteht. Und so erhielt ich Freitagabend gegen 19 h den Notruf eines Herrn xy, der mir aufgeregt und in offensichtlicher Panik von seiner Verhaftung berichtete, um dann übergangslos in einem einzigen Wortschwall seine Lebens- und Ehegeschichte zu erzählen. Ich ließ ihn ein paar Minuten seinen Druck von der Seele reden und unterbrach ihn dann – vielleicht etwas zu barsch: “Ich versteh kein Wort. Geben Sie mir mal den zuständigen Polizeibeamten an den Apparat!” Im Hintergrund hörte ich weiteres Stimmengewirr bis sich schließlich ein freundlicher Kripobeamte meldete und mir in knappen Sätzen den juristischen Sachverhalt erläuterte. Herr xy solle am morgigen Samstag dem Haftrichter vorgeführt werden. Seine Exfrau habe ihn heute angezeigt, da er sie am Mittwochmorgen vergewaltigt habe. Gegen 11 Uhr habe es an ihrer Wohnungstüre geklingelt. Sie habe arglos die Türe geöffnet und ein maskierte Mann sei hereingestürmt, habe sie zu Boden geworfen und versucht ihr eine Plastiktüte über den Kopf zu stülpen. Sie habe sich in Todesangst gewehrt und dem Mann die Maske vom Kopf gerissen. Zum Vorschein sei das Gesicht ihres Exmannes gekommen, der sie mit wahnsinnigen und hasserfüllten Augen angeschaut habe. Vor lauter Angst habe sie dann eine halbstündige, mehrfache und äußerst brutale Vergewaltigung u.a. mit einem Dildo über sich ergehen lassen. Der zuständige Staatsanwalt und der Haftrichter seien informiert und Herr xy gehe morgen mit Sicherheit in U-Haft. Ich ließ mir noch mal den “neuen” Mandanten geben und riet ihm eindringlich dazu, ab sofort die Klappe zu halten, sich auf keine Diskussion mit den Polizeibeamten einzulassen und cool zu bleiben. Die Nacht müsse er so oder so im Polizeigewahrsam bleiben und morgen hätten wir vor der Haftvorführung Gelegenheit im Einzelnen über die Sache zu sprechen. Am Samstagmorgen fuhr ich frühzeitig zum Amtsgericht, ließ mir einen leeren Sitzungsaal als Besprechungszimmer zuteilen und lernte einen immer noch panischen Herrn xy kennen, der wieder sofort damit begann, mir seine Ehegeschichte erzählen zu wollen. Ich bremste ihn sofort aus: “Stopp! Jetzt hören Sie mir mal für einen Moment gut zu. Wir haben max. eine halbe Stunde Zeit, in der wir systematisch und effektiv vorgehen müssen. Ich hatte noch keine Gelegenheit in die Ermittlungsakte zu schauen. Was ich weiß, ist das, was mir gestern der Polizeibeamte erzählt hat – mehr nicht. Sie kennen mich nicht, aber wenn Sie eine Chance haben wollen, nicht in Haft zu gehen, müssen Sie mir vertrauen. Ich verlange, dass Sie mir ohne Ausschweifungen, meine folgende Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Wenn Sie mir Unsinn erzählen, denke ich in die falsche Richtung und mache möglicherweise Fehler, die Sie alleine ausbaden werden. Ich unterliege der Schweigepflicht. Alles, was wir hier besprechen, bleibt unter uns. Für eine Verteidigungsstrategie muss ich wissen, was Sache ist. Das Dümmste was Beschuldigte tun können, ist es, ihren Verteidiger zu belügen. Haben Sie das verstanden?” Und als der Mandant nickte, legte ich ohne weitere Umschweife los: “Haben Sie Ihre Ehefrau am Mittwoch zur angegebenen Tatzeit vergewaltigt?” Herr xy schüttelte den Kopf und sprudelte wieder los. Ich zeigte auf die Uhr und ermahnte ihn, sich kurz zu fassen. “Nein, ich schwöre Ihnen, ich habe meine Frau nicht vergewaltigt.” “Wo waren Sie um 11 Uhr am vergangenen Mittwoch?” “Im Hotel, da bin ich ganz sicher!” “Welches Motiv könnte Ihre Frau haben, sie derart zu belasten?” Herr xy überlegte und schüttelte wieder den Kopf. “Ich kann mir das einfach nicht erklären.” “Erzählen Sie mir kurz, wie ihr Verhältnis zu Ihrer Frau ist. Haben Sie gemeinsame Kinder?” “Ich bin erst Februar aus dem Knast gekommen. Ich saß drei Jahre im Knast – wegen Betruges und Fahren ohne Fahrerlaubnis. Ich bin noch nie wegen Gewaltdelikten in Erscheinung getreten. Wir haben zwei gemeinsame Kinder – 13 und 16 Jahre alt. Nach meiner Knastentlassung hat sich die Beziehung zu meiner Ex wieder verbessert. Ich habe sie und die Kinder täglich besucht und hatte auch wieder regelmäßigen Sex mit meiner Frau. Ich wollte aber nicht wieder da einziehen. Das hätte auf Dauer nicht funktioniert. Ich lebte bis zu meiner gestrigen Verhaftung im Hotel und wollte mir von da aus eine Wohnung in Düsseldorf suchen. Meine Frau war in den letzten Tagen sauer auf mich, da die älteste Tochter mit mir nach Düsseldorf ziehen wollte und ich auch eine neue Frau kennengelernt hatte, auf die meine Frau sehr eifersüchtig reagierte.” “Okay – und jetzt überlegen Sie mal genau, ob Sie für Mittwoch 11 Uhr ein Alibi haben.” Herr xy dachte angestrengt nach. “Ich war im Hotel. So gegen 8 – 8.30 h habe ich gefrühstückt. Ich bin dann wieder auf´s Zimmer, um mich nochmal hinzulegen. Gegen 13 h bin ich dann in die Stadt gegangen. Ich war in einem Internetcafé, habe aber niemanden bestimmtes getroffen. Vielleicht erinnern sich die Frühstücksgäste im Hotel und der Cafébesitzer an mich.” “Wie weit ist es von dem Hotel zu der Wohnung Ihrer Exfrau?” “Ca. eine halbe Stunde zu Fuß. Mit dem Taxi, vielleicht 10 Minuten?” “Na, dann merken Sie ja selber, dass uns Zeugen im Café oder am Frühstückstisch nicht helfen. Sie hätten theoretisch immer noch genug Zeit gehabt, zu der Wohnung zu fahren, um die Tat zu verüben. Denken Sie nach. Haben Sie gegen 11 h mit irgendjemanden im Hotel gesprochen? Haben Sie vielleicht mit jemandem telefoniert? Bitte überprüfen Sie das anhand Ihres Handys.” Während der Mandant seinen Telefonspreicher durch ging, checkte ich mit meinem Karten-App die genaue Entfernung zwischen Hotel und Wohnung der Exfrau. Herr xy fand aber keinen zeitlich passenden ein- oder ausgehenden Telefonate, und ich ermittelte die Strecke mit 2,3 km, also ca. eine halbe Stunde Fußweg. Ich zwang ihn zur Konzentration, versuchte jede Minute von seinem Aufstehen am Mittwoch bis um die Mittagszeit zu rekonstruieren, und während wir zum x-ten Male gedanklich vom Frühstückstisch zurück in sein Zimmer gingen und versuchten nachzuvollziehen, was dann geschah, fiel Herrn xy plötzlich ein, dass er irgendwann – als er sich nach dem Frühstück schon wieder ins Bett gelegt hatte –