Herr der Ringe oder die Psychologie der Großzügigkeit

Auf dem Weg zur Champs Elysee, irgendwo am Place de la Concorde, trafen ich den Herrn der Ringe. Ich schaute gerade in die Karte, als ich aus dem Augenwinkel einen Mann bemerkte, der sich zu meinen Füßen bückte und mir im nächsten Moment einen schweren goldenen Ring freundlich unter die Nase hielt. In gebrochenem Französisch sagte er: “Ich glaube, den hier haben Sie gerade verloren?” Irritiert schaute ich instinktiv auf meine linke Hand. Mein Ring war noch da, und bei etwas mehr Geistesgegenwart, wäre mir auch sofort aufgefallen, dass der Mann einen anderen Ring gefunden hatte. Ich bedankte mich freundlich. “Nein, der gehört mir nicht. Den muss  jemand anderes verloren haben.” Wir schauten uns um, aber niemand schien etwas zu suchen. Der Mann zuckte die Schultern, lächelte und versuchte den Ring auf einen seiner viel zu dicken Finger zu schieben, zog ihn wieder ab und hielt ihn prüfend gegen das Licht. “Ein sehr wertvoller Ring”, sagte er und verwies auf einen Karatstempel im Ringinneren. Dann nahm er meine Hand und schob mir den Ring auf den Ringfinger. “Sehen Sie: Ihnen passt er, wie angegossen! Behalten Sie ihn ruhig. Was soll ich damit anfangen?” Und noch während ich den Ring, als unverdiente Trophäe an meiner Hand betrachtete, verabschiedete der Mann sich mit einem freundlichen Nicken, hob die Hand zum Gruße und ging. Ich zog den Ring ab und rief ihm hinter her. “Warten Sie. Stopp, das kann ich nicht annehmen!” Nach einigen Schritten drehte sich der Mann um, kam schüchtern einige Schritte wieder auf mich zu und fragte nach ein paar Euro, um sich etwas zu Essen kaufen zu können. Eine noch unbewusste Ahnung durchlief mich, so ein ungutes aber noch vages Gefühl, und ehe ich mir dessen bewusst war, hatte ich schon mein Portemonnaie gezogen, um nach einigen Münzen zu schauen. Jetzt stand der Mann vor mir und schüttelte missbilligend den Kopf. Nein, für die paar Groschen bekäme man in Paris nichts Anständiges zu essen. Irgendwie widerwillig, aber unfähig richtig zu reagieren, hielt ich plötzlich einen Zehner in der Hand, den mir der Mann frech grinsend wegschnappte, um sich mit einem “Merci” schnell aus dem Staub zu machen. Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

Kunstraub im Louvre! Stahl Picasso die Mona Lisa? Eine nahezu wahre Geschichte!

Der Kommissar war klein und dünn, von überschäumendem Temperament und fest entschlossen, diesen Fall von nationaler Bedeutung aufzuklären. Er lehnte sich in seinem ausgesessenen Lederstuhl quietschend zurück und sah den spanischen Delinquenten – über seinen mit verstaubten Akten überquellenden Schreibtisch hinweg – mit Widerwillen an. Der Delinquent war ebenfalls klein aber drahtig, soweit man das unter seinem mit noch frischer Farbe besprenkelten Mechaniker-Outfit* beurteilen konnte. Seine Augen waren tiefbraun, und normalerweise beobachtete er damit die Welt mit unersättlicher Neugierde. Nun aber hatte er die Beine übereinandergeschlagen und saß zusammengesunken auf einem morschen Holzstuhl vor dem Tisch des Kommissars. Nachdenklich betrachtete er –  wie Barack Obama beim 1. Fernsehduell mit Mitt Romney – seinen rechten Schuh, mit dem er nervös wippte. Der Kommissar überlegte, wie dieser Gnom aus der schäbigen Holzbaracke „Bateau Lavoir“ am Momartre an dies schöne Frau kam, die nun vor seinem Dienstzimmer mit ihrem Stöckelschuh-Stakkato auf und ab ging und auf ihren Liebsten wartete. Und wie verachtend sie ihn angesehen hatte, als er sie für das Verhör nach draußen auf den Gang des Polizeireviers komplementiert hatte – diese Schlampe. Wie hieß sie noch gleich? Der Kommissar beugte sich vor und blätterte in seinen Notizen. Fernande Olivier – von Beruf „Modell“. Na, was das für ein Beruf war, konnte sich der Kommissar lebhaft vorstellen und dennoch: Diese Beine, der knackige kleine Hintern … und jetzt stolzierte sie da draußen vor seiner dünnen Pinientür hin und her und erzeugte mit ihren Stöckelabsätzen bei jedem Schritt kleine Dellen im grünen Linoliumboden. Der Kommissar spürte wie ihm die Hose langsam zu eng wurde und eine gewisse Hitze ihn plötzlich von unten nach oben überflutete. Er nahm seinen Notizen, lehnte sich wieder zurück und legte sich die Papiere in Verdeckungsabsicht auf seinen Schoß, aber schon war der Anfall vorbei. Er warf die Notizen mit einem bedrohlichen Knall zurück auf den Schreibtisch. „Also, Monsieur Picasso – oder soll ich sie lieber mit ihrem vollständigen Namen anreden?“ Wieder griff sich der Kommissar einen Zettel vom Schreibtisch und las mit höhnischem Tonfall vor: „Pablo Diego Jose Francisco de Paula Juan Nepomuceno Maria de los Remedios Crispin Crispriano Santisima Trinidad Ruiz Picasso, geboren am 25.10.1881 in Malaga, Spanien?“ Der Kommissar runzelte die Stirn. „Das erinnert mich irgendwie an Karl May. Sie wissen schon – Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Irgendwie seid ihr alle ein wenig durchgedreht, ihr Künstler! Sie bezeichnen sich doch als Künstler, wie ich gehört habe?“ Der kleine Mann vor ihm hörte auf mit dem Fuß zu wippen und schaute ihn freundlich, ja fast neugierig, an. Dann erwiderte er in einer kaum verständlichen Mischung aus Spanisch und Französisch. „Herr Kommissar, ein Künstler namens Hadschi … ist mir noch nicht begegnet. Selbst Karl May würde ich allenfalls als Lebenskünstler bezeichnen. Aber vielleicht wird irgendjemand in ferner Zukunft Ihre These stützen und behaupten, jeder Mensch sei ein Künstler *.  Das Durchgedrehte macht den Künstler aus, und tatsächlich sind wir Menschen – jeder auf seine Art – alle ein wenig durchgedreht, wobei ich Ihnen natürlich nicht zu Nahe treten möchte. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich bin ein verarmter Maler, auch wenn ich mich in einem Selbstportrait mal als „Yo- el rey“ (Ich bin der König) bezeichnet habe. Davon dürfen Sie sich nicht irritieren lassen. Das war nach meinem Debüt auf der Weltausstellung 1900 in Paris. Ich war damals erst 19 und kam gerade von der Kunstakademie „La Lonja“ in Barcelona nach Paris. Der Ruhm ist mir damals zu Kopf gestiegen. Seither ging es ein wenig bergab. Selbst an den Farben musste ich sparen, Herr Kommissar. So malte ich in der Zeit von 1901-1904 fast nur mit blau*, weil ich günstig an die Farbe kam und sie – die Gunst der Stunde aufgreifend – direkt eimerweise erstand. Die zwei Jahre danach kam ich günstig an rosa*. Sie können es meinen Bildern ansehen. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Und zurzeit, naja. Sagt Ihnen der Name Cézanne etwas? Ein teuflisches Genie, das in seinen Bildern die Natur in Kugeln, Kegeln und Zylinder zerlegt. Mein Freund Georges, Georges Braque, falls Sie schon mal was von ihm gehört haben, wir experimentieren mit seinem künstlerischen Ansatz. Leider ohne allzu großen Erfolg. Man hält mich demzufolge für einen irren Salonkubisten. Aber, die Leute werden sich noch wundern, das verspreche ich Ihnen, Herr Kommissar. Dürfte ich bei der Gelegenheit fragen, warum Sie mich eigentlich vorgeladen haben?“ Der Kommissar zündete sich gemütlich eine Zigarette an. Dann nahm er erneut die Gauloises-Packung vom Tisch, schnippte routiniert mit dem Zeigefinger gegen den Boden der Schachtel und beförderte damit geschickt eine einzelne, filterlose Zigarette zu einem Drittel hervor. Diese bot er mit einem ironischen Lächeln großzügig seinem Gegenüber an. „Entspannen Sie sich! Welchen Tag haben wir heute, Herr Picasso, oder wie auch immer Sie richtig heißen?“ „Nun, ich würde sagen der 9. September 1911, Herr Kommissar? Oder verwechsele ich das Datum?“ „Nein, nein, genau richtig, Herr Künstler! Was haben Sie am 21. August gemacht? Das will ich von Ihnen wissen!“ „Am 21. August – mmh? Keine Ahnung. Was für ein Wochentag war das?“ „Das war ein Montag. Und bitte, ich will jedes Detail wissen!“ Pablo dachte angestrengt nach: „Bestimmt stand ich morgens oder gegen Mittag auf, putzte mir die Zähne und wusch mir das Gesicht. Danach Frühstück. Croissants, Butter, Café au lait. Hierdurch gestärkt fiel ich wahrscheinlich wieder über meine Freundin Fernande her. Ich vermute, dass ich ihr die Zeitung abnahm, die sie morgens immer liest, ihr die gerade erst frisch angezogenen Klamotten vom Leib riss und sie wieder ins Bett zog. Sie müssen wissen, dass unsere Beziehung gerade irgendwie in der Krise ist. Da muss ich mir eben besondere Mühe geben. Sie verstehen … Wollen Sie wirklich jedes Detail wissen?“ Eigentlich hätten den Kommissar genau diese Details viel mehr interessiert als den Kunstraub, den es aufzuklären galt – wenn er ehrlich zu sich gewesen wäre. Er öffnete seinen obersten Hemdknopf, stand von seinem Sessel auf und stützte sich schweratmend mit beiden Händen auf seinen Schreibtisch. In dieser Sekunde war ihm noch nicht klar, was in ihm vorging, und von Sigmund Freud, der