„Mosaiktheorie“ – Wann Zeugen schweigen dürfen

Wer als Zeuge in einem Strafverfahren aussagen soll, fragt sich oft: Muss ich wirklich alles sagen – auch wenn es mir selbst schaden könnte?

Die Antwort lautet: Nein – nicht immer. Genau hier greift die sogenannte Mosaiktheorie. Sie wurde von der Rechtsprechung entwickelt und schützt Zeugen davor, sich durch ihre eigene Aussage unfreiwillig selbst zu belasten.

Was bedeutet das konkret?

Eine Aussage, die harmlos wirkt, kann unter Umständen Teil eines größeren Beweisbildes werden. Genau hier greift die Mosaiktheorie, entwickelt durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH).

Stellen Sie sich vor, Ihre Aussage ist ein kleines Steinchen in einem Mosaik. Für sich allein ist es wenig aussagekräftig – aber gemeinsam mit anderen Informationen kann daraus ein belastendes Gesamtbild entstehen. Dann gilt: Sie müssen nicht aussagen, wenn Ihre Antwort zur Bildung eines Verdachts gegen Sie selbst beitragen könnte.

Rechtsgrundlage: § 55 Strafprozessordnung (StPO)

Die rechtliche Basis für dieses Schweigerecht ist § 55 Absatz 1 StPO. Dort heißt es:

„Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.“

Wichtig ist dabei: Nicht nur direkte Belastungen zählen. Auch wenn Ihre Aussage nur mittelbar zur Erhärtung eines Verdachts beiträgt – also ein „Mosaikstein“ ist – darf die Aussage verweigert werden. Das wurde mehrfach vom BGH höchstrichterlich bestätigt (vgl. beispielsweise BGH, 1 BJs 46/86-5 I BGs 286/87).

Wann darf ich wirklich schweigen?

Ein pauschales Schweigen ist nicht erlaubt. Es müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

✅ Es besteht eine konkrete Gefahr der Strafverfolgung – keine bloße Theorie.
✅ Die Aussage würde ein relevantes „Teilstück“ in einem strafrechtlich verwertbaren Gesamtbild liefern.
✅ Es ist bekannt oder erkennbar, dass der Ermittlungsbehörde bereits belastende Informationen vorliegen, mit denen Ihre Aussage kombiniert werden könnte.

Auch nach Verurteilung kann Schweigen erlaubt sein

Selbst wenn Sie wegen einer bestimmten Tat bereits verurteilt wurden, dürfen Sie weiterhin die Aussage verweigern, wenn zwischen dieser und anderen möglichen Straftaten ein enger Zusammenhang besteht. Denn Ihre neue Aussage könnte Hinweise auf noch nicht abgeurteilte Taten liefern – und damit erneut eine Strafverfolgung auslösen.


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Fabian Kremers, Wissenschaftlicher Mitarbeiter

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