Heute scheint ein Tag der Reminiszenzen zu sein. Ich denke zurück an eine an sich unspektakuläre Berufungsverhandlung, die den damaligen “frischen”, also noch unerfahrenen, Vorsitzenden der Berufungskammer geprägt haben dürfte.
Erstinstanzlich war der damals noch von einem anderen Rechtsanwalt vertretene Angeklagte vom Amtsgericht wegen mehrfachen gewerblichen Diebstahls in besonders schwerem Falle zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr ohne Bewährung verurteilt worden. Daraufhin übernahm ich seine Verteidigung in der Berufungsinstanz. Wie ich den Akten entnehmen konnte, war das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte professionell hochwertige Markenklamotten aus Warenhäusern entwendet hatte. Zur Überlistung der Sicherungsanlagen am Ausgang der Geschäfte habe er das Diebesgut zunächst in eine Aluminiumdecke gewickelt und sei dann mit seiner großen Beuteltasche seelenruhig an den Alarmdetektoren vorbei nach draußen gegangen. Die Alarmsensoren hätten auf die Sicherungsetiketten an der Bekleidung nicht anschlagen und Alarm auslösen können, da die Aluminiumdecke die entsprechende Strahlung der Detektoren abgehalten hätte. Diese Vorgehensweise spreche für die hohe Professionalität des Diebes. Die in der Beweisaufnahme gehörten vier Polizeibeamten, die mit dem Fall befasst waren, bestätigten folgendes unisono: Die sichergestellten Kleidungsstücke seien allesamt hochwertig und neu gewesen. Dies habe man aufgrund der noch an den Kleidungsstücken befestigten Preisetiketten und Sicherungsetiketten eindeutig feststellen können. Die ebenfalls beim Angeklagten sichergestellte Aluminiumdecke sei eine Spezialanfertigung gewesen, wie sie auch von anderen professionellen Dieben benutzt werde. Die Beweislage war also für das Amtsgericht und die Staatsanwaltschaft “rund”.
Um so ungehaltener war der Berufungsrichter, als ich seiner Anregung, die Berufung auf das Strafmaß zu beschränken und auf eine umfassende Beweisaufnahme zu verzichten, nicht nachkam und stattdessen Freispruch als Ziel der Verteidigung formulierte. Der Richter und der anwesende Oberstaatsanwalt schüttelten missbilligend den Kopf. Was will der verrückte Verteidiger denn damit erreichen? Will er uns die Zeit stehlen?
Also hörten wir uns die vier Polizisten an, die wie aus einem Munde ihre Angaben beim Amtsgericht bestätigten. Ja, sie seien 100 %ig sicher, dass die Preisetiketten mit Nylonbändchen noch an jedem der beim Angeklagten sichergestellten Kleidungsstücke befestigt gewesen seien. Auch die Sicherungsetiketten seien durchweg vorhanden gewesen und ja, es habe sich eindeutig um eine speziell angefertigte Aluminiumdecke gehandelt.
Mimik und Gestik des Richters und des Oberstaatsanwaltes waren ebenso eindeutig: `Na, Herr Anwalt. Haben wir doch direkt gesagt – die Beweisaufnahme geht für die Verteidigung nach hinten los. Klarer Schuss ins Knie.´
Ich gestattete mir noch eine Frage an den letzten Polizeizeugen: “Was ist eigentlich aus der Diebesbeute geworden. Ist sie ordnungsgemäß asserviert worden?”
Die Frage wurde mit einem überheblichen Lächeln in meine Richtung und Augenzwinkern in Richtung des Vorsitzenden mit “Selbstverständlich, Herr Rechtsanwalt!” beantwortet. “Wir sind schließlich auch Profis.”
“Na, das höre ich aber gerne”, erwiderte ich. “Wie wär´s, wenn einer mal schnell rüber zur Staatsanwaltschaft rennt und die Asservate holt? Ich will die nämlich sehen!”
Der Vorsitzende wurde blass – wahrscheinlich vor Wut. Das Gesicht des Oberstaatsanwaltes wurde rot. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und polterte mich schräg an: “Wollen Sie behaupten, dass vier Polizeibeamten hier und beim Amtsgericht gelogen haben. Wollen Sie unterstellen, die Ermittlungsakten der Polizei seien manipuliert?!!!!!!!!! Das ist doch die Höhe! Was soll diese unseriöse Art der Verteidigung?”
Auch wenn es mir schwer fiel, ruhig zu bleiben, antwortete ich gelassen: “Aber, aber, Herr Kollege, ich behaupte doch nicht, dass die Beamten gelogen haben. Mein Mandant behauptet das! Ich mache hier meinen Job – genauso wie Sie.”
Eine halbe Stunde später erschien ein Wachmeister mit einem schwarzen Sack, in dem sich die Asservate befanden und kippte diesen ohne großes Federlesen auf dem Richtertisch aus.
Wieder änderten sich die Gesichtsfarben des Richters und des Oberstaatsanwaltes, diesmal aber in umgekehrter Richtung. Der Vorsitzende lief gefährlich rot an und der Oberstaatsanwalt wurde vampirweiß, man nennt das wohl “kalkweiß”.
Auf dem Richtertisch lag ein Haufen T- und Sweatshirts, allerdings ohne Preis- oder Sicherheitsetiketten; daneben eine hellblaue Babywolldecke – ohne Aluminiumbeschichtung.
Der Vorsitzende entschuldigte sich bei mir, während der Oberstaatsanwalt noch um Fassung rang. Natürlich gab es für meinen Mandanten einen Freispruch. Die Frage, ob der Oberstaatsanwalt gegen seine Polizeibeamte ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen falscher uneidlicher Aussage und Freiheitsberaubung im Amt eingeleitet hat, können Sie sich selbst beantworten. Denken Sie dabei an Krähen.
Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach