In Memoriam an Bastian Dörper

Ich meide kirchliche Zeremonien im Allgemeinen wie der Teufel das Weihwasser. An der Beerdigung von Bastian Dörper teilzunehmen aber war mir ein tiefes Bedürfnis. Nicht, dass er mir besonders nahe gestanden hätte; er war ein langjähriger Mandant, den ich zuletzt vor ca. 2 Wochen verteidigt hatte, aber  er war erst  19 Jahre alt, als er sich in einer Arrestzelle der Jugendvollzugsanstalt Heinsberg erhängte. Das macht betroffen.

In der Friedhofskapelle ist es eiskalt. Mein Kollege Felix Menke und ich sitzen in einer der hintersten Reihen und betrachteten traurig das Geschehen. Hinter uns zwei freundliche Damen von der Jugendgerichtshilfe, die Basti seit Jahren kannten. Etwas weiter vorne ein Kripobeamter, der Basti schon mehrfach festgenommen hat und nun stumm auf den Altar mit dem blumengeschmückten Sarg starrt. Bastis Freunde, von denen ich viele kenne, seine Brüder und Schwestern und schließlich seine Mutter, gestützt von Bastis Freundin, defilieren langsam an uns vorbei, den Mittelgang hinauf,  nach vorne zum Sarg, an dem ein gerahmtes Foto von Basti lehnt. Ernst blickt er darauf in die Kamera, und er sieht jung und frisch und optimistisch aus auf dem Bild.

Sein jüngerer Bruder verteilt mit Tränen in den Augen rote Rosen an die Trauergäste, und ich sehe, wie schwer es ihm fällt, gefasst zu bleiben. Mit hängendem Kopf geht er wieder nach vorne und setzt sich in die erste Reihe neben die engsten Angehörigen. Vereinzelt höre ich Schluchzen in der ansonsten stillen Kirche. Seltsam eindringlich durchbrechen plötzlich Glockentöne die Stille.  Als ihr letzter dumpfer Klang verebbt, erklingt eine Orgel, die ein mir unbekanntes Kirchenlied spielt und die Melodie und der Satz gefallen mir. Mit dem letzten Ton öffnet sich eine schmale Türe neben dem Altar und der Pastor betritt feierlich die Kapelle. Mit wenigen Schritten steht er vor der seitlich gelegenen Kanzel und schaut ernst in sein Publikum.

Der Stimme des Pastors fehlt der einstudierte heilige Singsang, und nach wenigen Sekunden ertappe ich mich beim ernsthaften Zuhören. Ohne Pathos erinnert der Pastor an einen einschneidenden Zeitpunkt vor ziemlich genau einem Jahr, als die ersten Sitzreihen der Kapelle beinahe gleich besetzt gewesen waren wie heute. Nur das auch Basti da vorne zwischen seinen Angehörigen gesessen und den plötzlich verstorbenen Vater beweint hatte. Und nun liege er selbst da vorne im Sarg, auf dem Weg, dem Vater in den Himmel zu folgen, sagt der Pastor. Und das werde er. Basti sei trotz seiner Verfehlungen im Grunde ein guter Mensch gewesen, der sich Mühe gegeben habe, sich zu bessern, und darauf komme es an.

Der Pastor steigt von seinem Podest hinab in den Kirchenraum, blickt Bastis Mutter in die Augen und fragt, wie man angesichts einer solchen Tragödie an einen guten Gott glauben könne. Dann geht er weiter zur Schwester und sagt, er wisse es nicht. Seit Menschengedenken trügen Angehörige ihre Liebsten zu Grabe und irgendwie gehöre der Tod zum Leben. Dass aber ein so junger Mensch wie Basti keinen anderen Ausweg mehr gesehen habe, das erschüttere ihn und alle Anwesenden. Dann geht er weiter zu Bastis Bruder, schaut auch ihm freundlich in die Augen und erzählt von Basti, seinen Vorlieben, seinen Stärken – wie gerne er für seine Familie gekocht habe, wie er sich gekümmert habe, und dass er, wenn es darauf ankam, immer für sie alle dagewesen sei. So solle man sich an Basti erinnern. Und weil er es mit ihnen allen gut gemeint habe und noch immer meint, schaue er nun auf sie herab und wünsche ihnen die Stärke, auch in verzweifelten Momenten noch stärker zu sein als er es war. Das sei nun Bastis Botschaft: Habt Mut und Gottvertrauen. Dabei schaut der Pastor insbesondere die Jugendlichen an – einen nach dem anderen – und nickt dabei.

Ich beobachte, wie die Predigt Wirkung zeigt und bewundere die tröstende Rhetorik des Kirchenmannes. Nicht schlecht, denke ich, auch wenn damit letztlich nichts beantwortet ist. Aber vielleicht hat der Pastor Recht, und es gibt eben auf manches keine befriedigende Antwort. Basti hatte eine sehr überschaubare Jugendstrafe vor sich. Er hatte eine Freundin, eine Familie, die zu ihm stand. Seine Freundin hatte mir erzählt, dass er sehr an dem Vater gehangen habe, dass er ungewaschene Kleidungsstücke des Vaters aufbewahrt hatte, an denen er immer wieder roch, um sich an den Vater zu erinnern. Was mag ihn geritten haben, dass er versuchte aus dem Jugendgefängnis auszubrechen und sich damit eine Sonderzelle einhandelte, in der er sich in den frühen Morgenstunden des 30.11.2012 mit seinem weißen Gürtel erhängte? Aber auch wenn es keine befriedigende Antwort gibt, ist die Frage, ob man Bastis Freitod hätte verhindern können, nicht müßig. Noch am Morgen seines Todes hatte er einen Besuch der Anstaltspsychologin erbeten, die ihn dann drei Stunden später tot in seiner Zelle fand. Die Anstalt wusste von einem vorangegangenen Selbsttötungsversuch im Gefängnis. Niemand scheint erkannt zu haben, wie sensibel Basti wohl offensichtlich war. Es ist leicht, die Schuld bei anderen zu suchen – ich weiß. Trotzdem, sein Tod sollte uns nachdenklich machen.

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

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