Privatschnüffler im Auftrag der Polizei; zur Anmerkung v. Claus Roxin zum Beschluss BGH 3 StR 400/11

Eine Ehefrau will ihren wegen eines BtM-Verbrechens beschuldigten Ehemann in den Genuss der Kronzeugenregelung des § 31 BtMG bringen. Sie bietet der Polizei an, den noch nicht ins Visier geratenen Mittäter zu einer ihn überführenden Aussage zu veranlassen. Das zuständige Amtsgericht erlässt einen Beschluss nach § 100 f StPO, der es ihr erlaubt, das nicht öffentliche Gespräch mit dem Mittäter aufzunehmen. Ausgestattet mit polizeilichen Abhörgeräten besucht sie unter einem Vorwand den Mittäter, schleicht sich in sein Vertrauen ein und bringt ihn unter Zusicherung der Vertraulichkeit des Gesprächs zum Reden.

Der so Überführte wird vom Landgericht Düsseldorf zu 7 J. 6 M verurteilt, wobei sich das Gericht maßgelblich auf die heimliche Tonbandaufnahme der Ehefrau stützt.

In seinem Beschluss vom 31.3.2011 (3 StR 400/11) verwirft der 3. Strafsenat des BGH die Rüge des Verurteilten, es liege ein Verstoß gegen §§ 136, 136 a I,2, 163 IV StPO sowie eine Verletzung des Gebots des fairen Verfahrens vor. Das heimlich gewonnene Beweismittel unterliege – trotz rechtzeitigen Widerspruchs – keinem Verwertungsverbot.

Die Argumente des BGH stichwortartig zusammengefasst lauten:

Kein Verstoß gegen Belehrungspflichten, da keine Vernehmung durch Auskunftsperson in amtlicher Funktion;

Keine Täuschung, da die heimliche Vernehmung durch eine Privatperson trotz Zusicherung von Vertraulichkeit nicht mit den in § 136 a I StPO genannten Willensbeeinträchtigungen zu vergleichen sei;

Kein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit, die zwar zum Kern des Art. 6 I EMRK (Gebot des fairen Verfahrens) gehöre, hier aber nicht tangiert sei, weil Verurteilter zur Zeit der „Privatbefragung“ weder in Haft, noch bereits von der Polizei vernommen war. Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden wiege deshalb weniger schwer, weil sich die Ehefrau von sich aus als Informantin zur Verfügung gestellt habe. Sie sei weder von der Polizei instruiert noch angeleitet, sondern nur mit technischen Mitteln ausgestattet worden.

Die glänzende Anmerkung von Claus Roxin im aktuellen Strafverteidiger beginnt mit einem Zitat aus der Allan – Entscheidung des EGMR (StV 2003, 257) aus dem Jahre 2002 (die auch vom BGH gesehen wurde):

„Der Anwendungsbereich des Schweigerechts und des Schutzes vor Selbstbelastung ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Beschuldigte Zwang widerstehen musste. “ Zum Kernbereich des fairen Verfahrens gehöre „die Freiheit einer verdächtigen Person zu entscheiden, ob sie … aussagen oder schweigen will. Eine solche freie Entscheidung wird effektiv unterlaufen, wenn die Behörden … eine Täuschung anwenden, um dem Beschuldigten belastende Eingeständnisse zu entlocken, die sie in der Vernehmung nicht erlangen konnten und die so erlangten Geständnisse in den Prozess einführen.“

Sodann zitiert Roxin die Bykov – Entscheidung des EGMR (NJW 2010, 213), mit dem der Gerichtshof später zurückgerudert ist. Dort heißt es zu einem ganz unserem Fall ähnelnden Sachverhalt einer im Auftrag der Polizei aushorchenden Privatperson:

Es sei „gegenüber dem Beschwerdeführer in keiner Weise Druck ausgeübt worden, V. in seinem Gästehaus zu empfangen, mit ihm zu sprechen oder sich zu der von ihm angesprochenen Angelegenheit zu äußern … Aus diesen Gründen ist der Gerichtshof nicht davon überzeugt, dass die Beweise durch Zwang oder Druck erlangt worden sind, die er im Fall Allan als Verletzung des Rechts des BF. zu schweigen angesehen hatte.“

Roxin zeigt, wie der BGH versucht diese gegensätzlichen Entscheidungen des EGMR zu dem Einsatz von „Schnüffel-Privatpersonen“ mit dem üblichen Griff in die juristische Werkzeugkiste in Einklang zu bringen.

„Ob die Anwendung einer Täuschung das Schweigerecht in einem solchen Maße beeinträchtigt, dass eine Verletzung des Art. 6 I EMRK vorliegt, hängt … (Überraschung!) von den Umständen des Einzelfalles ab …“

Im Folgenden kritisiert Roxin die hierdurch geschaffene Rechtsunsicherheit. Eine Antastung dieses Kernbereichs von Art. 6 EMRK dürfe nicht zur Disposition des jeweiligen Gerichts gestellt werden, sondern müsse zu einem Verwertungsverbot führen. Das Aushorchen durch die  Ehefrau als Agentin des Staates sei ein funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung und stelle auch eine Umgehung des § 136 StPO dar. Dieser beschränke sich spätestens seit der Allen – Entscheidung nicht darauf eine irrtümliche Annahme einer Aussagepflicht zu verhindern, sondern habe den Sinn, eine autonome Entscheidung des Beschuldigten sicherzustellen, ob er sich verwertbar überhaupt äußern wolle. Dies liege auf der Linie des BVerfG (BVerfGE 56, 37 (43)), wonach „die Menschenwürde gebiete, dass der Beschuldigte frei darüber entscheiden könne, ob er als Werkzeug zur Überführung seiner selbst benutzt werden dürfe.“

Wie leicht § 136 StPO auszuhebeln wäre, folgte man dem BGH, macht Roxin an einem schönen Beispiel klar:

„Es kann doch wohl ein Polizist sich seiner Belehrungspflicht nicht dadurch entziehen, dass er sich als Privatmann verkleidet und als scheinbarer Sympathisant dem Beschuldigten selbstbelastende Äußerungen entlockt.“

Sodann greift Roxin auf die Untersuchung von Mahlstedt (Die verdeckte Befragung des Beschuldigten im Auftrag der Polizei, 2011) zurück, den er zitiert: Bei einer „durch Täuschung provozierten Äußerung“ sei „ die Autonomie des Betroffenen nicht minder untergraben als bei einer abgenötigten … Einen Beschuldigten deshalb für weniger schützenswert zu erachten, weil ihm nicht bewusst ist, dass er von der Polizei zur Abgabe strafverfahrensrelevanter Informationen veranlasst wird, ist unverständlich. Auch wenn infolge gezielt belassener Unkenntnis die Ausübung eines Rechts faktisch ausgeschlossen wird, bleibt das Recht selbst bestehen, da mit seiner Einräumung zugleich die Freiheit vorausgesetzt ist, darüber zu disponieren, unter welchen Bedingungen es aufgeben wird.“

Die weiteren stichhaltigen roxinischen Argumente erspar ich Ihnen. Man kann sie im Strafverteidiger 3, S. 131 ff. nachlesen.

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach


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