Ich war so schön auf Krieg gebürstet

In meinem Beitrag „Jetzt werden wir mal persönlich. Über die Leidenschaft, in fremden Schlafzimmern rumzuwühlen“ hatte ich meiner Wut  über einen gewissen Staatsanwalt und zwei Haftrichterinnen in Lochum (Namensähnlichkeiten sind rein zufällig) Luft gemacht. Gestern war die Hauptverhandlung, bei der ich mit dem Schlimmsten rechnete. Dementsprechend war ich auf Krieg gebürstet und ordentlich bewaffnet. In meiner Aktentasche befanden sich diverse bösartige Befangenheits- und Beweisanträge, ein Antrag auf Ablösung des Staatsanwalts „Charly“ als Sitzungsvertreter und – für alle Fälle – der noch bösartigere Beweisantrag eben diesen Staatsanwalt als Vernehmungsbeamten der beiden Angeklagten in den Zeugenstand zu rufen. Auf der einstündigen Fahrt nach Lochum spielte ich mehrere Schlachtpläne und Fantasiestreitgespräche durch und steigerte mich zur Einstimmung auf den zu erwartetenden Krawall so richtig  in Rage. Mit einem 180iger-Adrenalinwert und dazu passendem „Will-hier-einer-was-auf-die-Fresse-Gesichtausdruck“ betrat ich pünktlich den Gerichtssaal und noch ehe ich richtig verstand, kam Staatsanwalt Charly versöhnlich, ja geradezu freundlich, auf mich zu und schüttelte mir die soeben noch zur Faust geballte Hand. Die Richterin und die Schöffen nickten mir so freundlich zu, dass ich instinktiv meine Aktentasche verschämt mit dem Fuß unter den Tisch schob,  als befürchtete ich, man könne wegen der Ausbeulungen das dort versteckte Waffenarsenal vermuten. Jede etwaige Anfeindung hatte ich in meinen fiktiven Dialogen durchgespielt, aber auf einen solchen gemeinen Hinterhalt war ich gänzlich unvorbereitet.  „Verdammt, was ist hier los?“, durchfuhr es mich. Ich schielte unsicher rüber zu den Justizbeamten, die mir aufmunternd zunickten. Fieberhaft überlegte ich und begann Daten feierlicher Anlässe in Gedanken durchzurattern: „Internationaler Weltfrauentag, der ja auch für den Weltfrieden steht (?) … war am 8.März … nee … Weltmännertag … nee, ist erst wieder am 19.11.2012 … mein Geburtstag (?), woher sollen die den kennen und im Übrigen ist es erst im Mai wieder soweit. Ich war ratlos und so formte sich als Übersprunghandlung in meinem Unterbewusstsein ein Satz, und ich hörte mich sagen: „Schicken Anzug haben Sie an, Herr Charly!“ und  „Liegt hier eine Verwechslung vor? Ich bin´s Rechtsanwalt Meister. Erinnern Sie sich nicht? Vor 14 Tagen – die Haftprüfung. Mann war ich da sauer auf Sie!“ Aber auch hiermit gelang es mir nicht, die einträchtige Harmonie zu zerstören, um endlich wieder festen Kampfesboden unter die Füße zu kriegen. „Schwamm drüber“, hörte ich Charly sagen. „Ich rege ein Rechtsgespräch im Richterzimmer an.“ Der Vorschlag wurde von der Vorsitzenden mit begeistertem Nicken aufgegriffen und noch ehe ich „Mucks“ sagen konnte, verschwand der Tross aus Vorsitzender, Schöffen, Charly und Mitverteidiger im Gänsemarsch durch die Tür ins Beratungszimmer. Ich lächelte meinen Mandanten mit einer schiefen Grimasse an, zuckte die Achseln und trottete mit rasant in den Keller gehendem Adrenalinspiegel hinterher. Nach einer kurzen, verbrüdernden Diskussion und meinem verzagten Hinweis auf mögliche, griffbereite Waffenarsenale in unmittelbarer Reichweite,  zerplatzte  auch das letzte Adrenalinmolekül mit einem kaum hörbaren „Plopp“ und das von mir gewünschte Ergebnis stand fest:  Zwei Jahre mit Bewährung und – natürlich – sofortige Aufhebung des Haftbefehl. Nein, wir sind uns danach nicht in die Arme gefallen und es schmatzten auch keine Breschnew´schen Bruderküsse, aber irgendwie bin ich mit Charly und dem Amtsgericht Lochum für den Moment wieder versöhnt. Also, sorry.  Nichts gegen deinen Anzug und deine Brille, Charly!  Und auch den Begriff „Typ mollige Mutti“ aus meinem obengenannten Artikel nehme ich hiermit bis auf Weiteres zurück. Mann, wie kann ein so gut durchgeplanter Tag nur so entgleisen?!!! Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

In den Medien wird immer Zivilcourage gefordert – und jetzt sitze ich hier auf der Anklagebank

In einem „opening statement“  verweise ich auf gewisse typische Auffälligkeiten in der Ermittlungsakte: Die gleichlautenden, drehbuchähnlichen, übereinstimmenden und sehr ausführlichen polizeilichen Aussagen. Die sich aus der Ermittlungsakte nicht erschließende Notwendigkeit detailreicher Aktenvermerke, die den Eindruck hinterlassen, hier solle Vorwürfen entgegengetreten werden, die bei Abfassung des Vermerks offiziell noch nicht erhoben waren.  Dann reiche ich das Wort weiter an meinen Mandanten. Nachdenklichkeit erzeugt keine Geräusche. Im Gerichtssaal ist es ganz still geworden, nachdem der Angeklagte mit unterdrückter,  bebender Stimme seine ersten Sätze gesagt hatte: „Ich höre aus den Medien immer, die Bürger sollten bei Gewalt nicht wegschauen. Sie sollten eingreifen, Zivilcourage zeigen. Das habe ich gemacht. Was dann aber über mich kam …, ich bin immer noch schockiert. … Dass ich jetzt hier auf der Anklagebank sitze, macht mich fassungslos.“ Diese Sätze und Pausen sind wohl gesetzt. Sie erzeugen unmittelbare Glaubwürdigkeit. Man spürt, bei dem nicht vorbestraften 40jährigen Angeklagten handelt es sich um keinen Rowdy, keinen Schläger, dem man auch nur im Entferntesten Gewalt gegen Polizeibeamte zutrauen würde.  Auch der Staatsanwalt hört aufmerksam zu und erscheint betroffen. Hier sitzt ein  Bürger, der distinguiert von einem schlimmen Erlebnis mit der Staatsgewalt berichtet.  Der Richter lässt ihn ohne Unterbrechung erzählen, wie er in der Tatnacht auf dem Nachhauseweg versucht hatte, zwei sich streitende Jugendliche zu beruhigen, wie einer der Jugendlichen dem anderen plötzlich eine Kopfnuss verpasste und wie er nun eingeschritten sei, um Schlimmeres zu verhindern. Er habe es schließlich geschafft, den Angreifer in die Flucht zu schlagen und habe den blutüberströmten Verletzten aus der Gefahrenzone  in das Kiosk bugsiert, vor dem der Streit eskaliert war. Die türkische Kioskbesitzerin war durch den vor Schmerz und Wut schreienden Jugendlichen verängstigt und weigerte sich Tempo-Taschentücher zur Stillung der Blutung  zur Verfügung zu stellen. Offenbar schätzte sie die Situation falsch ein und verständigte die Polizei, die in nur wenigen Minuten mit mehreren Beamten im Kiosk erschien. Während er weiter versuchte, den Verletzten zu beruhigen, hatte dieser nichts Besseres zu tun, als die Polizisten anzupöbeln. Sie sollten sich verziehen, er brauche ihre Hilfe nicht. Er wolle jetzt nur noch nach Hause. Ohne Vorwarnung seien Polizeifäuste geflogen, mitten in das verletzte Gesicht. Der Jugendliche wurde brutal auf den Boden geworfen, ein Knie in seinen Rücken gerammt, Handschellen angelegt.  Er habe „Halt, was machen Sie denn da? Er ist das Opfer!“ gerufen und sei dabei einen Schritt auf die Beamten zugegangen. „Kümmern Sie sich lieber um seine Verletzungen, rufen Sie bitte einen Krankenwag…“ In diesem Moment habe er selbst einen kräftigen Schlag ins Gesicht erhalten, wurde zu Boden gebracht und in Handschellen gelegt. Die Polizisten hätten ihn bäuchlings in das Einsatzfahrzeug gestoßen, an den Haaren in eine Sitzposition gezerrt, geohrfeigt und ihm gedroht, „er solle bloß die Fresse halten, sonst gäbe es gleich auf der Wache die Abreibung seines Lebens.“ Und so sei es gekommen. Mit dem Kopf sei er mehrfach vor die stählerne Tür seiner Arrestzelle gestoßen worden, bis er fast ohnmächtig gewesen sei. Man habe ihm Schuhe, Gürtel und seine Jacke ausgezogen und mit einem Tritt in die kalte Zelle befördert.  Eine Decke wurde ihm  verweigert. Als er nach 1-2 Stunden nach einer Schmerztablette und einem Glas Wasser gerufen habe, sei niemand gekommen. Er habe gegen die Zellentüre geklopft bis schließlich ein Beamter die Sichtluke geöffnet habe. Er habe seine Bitte wiederholt, worauf ihm der Beamte einen vollen Wasserbecher ins Gesicht schüttete.  In den nächsten Stunden sei die Luke noch mehrfach geöffnet worden. Eine Hand mit einem vollen Wasserbecher habe sich ihm aus der Luke entgegengestreckt. Mit trockener, pelziger Zunge habe er sich von der kalten Betonpritsche hochgehievt, um das köstliche Nass entgegenzunehmen, aber jedesmal habe sich der Becherinhalt auf dem grauen Zementboden ergossen, noch ehe er zugreifen konnte. Am nächsten Morgen sei er dann kommentarlos aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden und nun sitze er hier – auf der Anklagebank – wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung. Die Art mit der der Angeklagte während seines Berichts immer wieder den Kopf schüttelt ist nicht alleine traurig. Er verzieht dabei das Gesicht zu einem vielleicht spöttischen oder zynischen Lächeln, als hätte er gerade eine unglaubliche Geschichte erzählt, die ihm wohl keiner glauben will. Nach einigen langen Sekunden räuspert sich der Staatsanwalt, schaut hoch zur Richterbank und sagt: „ Ich für meinen Teil verzichte auf weitere Zeugen. Ich rege an, das Verfahren nach § 153 StPO einzustellen und zwar auf Kosten der Staatskasse, die auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat.  Ich stimme dem Verteidiger zu. Auch bei mir geht angesichts einer gewissen Aktenführung der Polizei eine rote Lampe an. Was von den polizeilichen Zeugen zu erwarten ist, antizipiere ich. Einen Freispruch kann ich bei dem jetzigen Verfahrenstand allerdings nicht beantragen, aber vielleicht kann sich der Angeklagte mit meinem Vorschlag arrangieren?“  Hierbei sieht mich der Staatsanwalt fragend an. P.S: 1. Das Verfahren wurde nach Rücksprache mit meinem Mandanten gemäß § 153 StPO eingestellt. Die ganze Sache spielte sich vor dem Jugendschöffengericht ab, da die beiden Jugendlichen mit auf der Anklagebank saßen. Sie hatten die Angaben meines ihnen unbekannten  Mandanten in ihren Einlassungen zur Sache im Wesentlichen bestätigt. Die Schöffen waren bezüglich meines „opening statements“ zunächst irritiert.  Mit einem vorweggenommenen Plädoyer nach der Einlassung meines Mandanten, berichtete ich über ähnliche Fälle aus meiner Praxis in den vergangenen Jahren.  Die weibliche Schöffin hatte hiernach Tränen in den Augen und auch der männliche Schöffe schaute einigermaßen entsetzt  drein. 2. Diese Geschichte soll keinesfalls Polizeibeamte unter Generalverdacht stellen. Ich kenne überwiegend korrekte Polizeibeamte, die trotz schwieriger Aufgaben und oft schwierigem Klientel durchaus rechtsstaatlich und fair mit ihrem Gegenüber umgehen. 3. Ob dieser Fall Konsequenzen für die betreffenden Polizeibeamten haben wird, steht in den Sternen. Aus verschiedenen Gründen wohl eher nein. 4. Folgende Links aus der süddeutschen.de lohnen sich für Interessierte: http://www.sueddeutsche.de/bayern/umstrittener-polizeieinsatz-in-rosenheim-das-vergisst-man-nie-1.1298407 http://www.sueddeutsche.de/bayern/polizeigewalt-bei-einsaetzen-wenn-beamte-zu-rambos-werden-1.1294594 http://www.sueddeutsche.de/bayern/prozess-um-polizeigewalt-bewaehrungsstrafe-fuer-pfefferspray-polizist-1.1283465 Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

Ein Besuch in der JVA – eine kleine Geschichte zum Knastalltag

Atti ist ein kleiner Türke, der mir ungefähr bis zur Brustwarze reicht. Er hat ein freundliches Wesen, kann sich gut ausdrücken und ist kein bisschen anstrengend – irgendwie ein angenehmer Typ. Und dennoch sitzt er wegen versuchten Totschlags in Untersuchungshaft. Bis vor sechs Monaten lebte er mit seiner Frau und seiner 9jährigen Tochter in einem Mietshaus, in dem es mit einem neu hinzugezogenen rechtsradikalen Schlägertypen als Mitmieter erhebliche Probleme gab. Dieser neue Mitmieter hatte gegenüber den anderen Mietern im Vorfeld bereits angekündigt, dass er das „Türkenpack“ aus dem Haus haben wolle und führte sich seither dementsprechend auf. Atti und seine Frau – aber auch die kleine Tochter – wurden bei jeder Gelegenheit provoziert und als Ausländer diskriminiert. Die kleine Tochter hatte nach einigen Wochen so große Angst vor dem neuen Mieter, dass sie sich nicht mehr traute, alleine auf dem Hof zu spielen, da der „gute Deutsche“ jede Gelegenheit nutzte, das Kind anzuschreien und sinnwidrige Verbote auszusprechen. Als Atti am Tage seiner Verhaftung mit der kleinen Tochter von einer Fahrradtour zurückkehrte, begegnete er vor dem Haus diesem „Unsympathling“, der sinngemäß geäußert haben soll, „da ist ja wieder das dreckige Pack“. Atti stieg von seinem Rad und verbat sich diese Beleidigungen. Der Unsympathling ging auf Atti zu und sagte: „Was willst Du stinkender Zwerg denn?“ Atti warf dem Unsympathling sein Fahrrad vor die Füße, der daraufhin über das Fahrrad sprang, um Atti eine mit der Faust zu verpassen. In diesem Moment brannte bei dem kleinen Mann eine Sicherung durch, er zog sein Taschenmesser, das er bei Fahrradtouren immer mit sich führte, und stach blindlings auf den ihm deutlich überlegenen Unsympathling ein. Ein Gutachter hat ihm mittlerweile attestiert, dass er zum Zeitpunkt seiner Tat aufgrund eines Affektstaues vermindert schuldfähig war. Irgendwann ließ Atti von seinem Opfer ab und übergab freiwillig das Messer an seine inzwischen hinzugelaufene Frau. Er kann sich heute selbst nicht mehr erklären, wie er so ausrasten konnte und bedauert seine Tat außerordentlich. „Kein Mensch hat so etwas verdient – noch nicht einmal dieser grobe Klotz – ich kann mir meine Tat selbst nicht verzeihen!“ sagt er. Nach anfänglichen großen Schwierigkeiten hat er sich mittlerweile in der JVA – so gut es geht – eingelebt. Da auch die JVA Beamten schnell gemerkt haben, dass Atti ein umgänglicher und zuverlässiger Typ ist, hat er es mittlerweile zu einem der sehr begehrten Hausarbeiterjobs gebracht. Er muss morgens um 6 Uhr aufstehen und verlässt um 6:30 Uhr seine Zelle, um den anderen Mitgefangenen im Trakt C und D das Frühstück zu bringen. Es gibt regelmäßig Tee, Weißbrot, Graubrot und Butter – ganz selten auch einmal Marmelade oder Käse. Um 7:30 Uhr ist er mit der Essensausgabe fertig. Dann folgt die Materialausgabe. Die Gefangenen stellen ihre leeren Scheuermittel und Spülmittelflaschen vor die Zelle und Atti füllt sie aus einem 10-Liter-Kanister auf. Danach werden montags, mittwochs und freitags Putzeimer, Schrubber, Putzlappen und weiteres Putzzubehör an diejenigen Insassen verteilt, die an dem jeweiligen Morgen entsprechenden Bedarf zur Säuberung ihrer Zelle angemeldet haben. Danach werden die Zellengänge gefegt und gewischt, was ungefähr 1 ½ Stunden in Anspruch nimmt. Um 11 Uhr sind die morgendlichen Arbeiten erledigt. Dann erfolgt die Mittagessenausgabe. Heute gab es z.B. grüne Bandnudeln, Thunfischsauce, Joghurt und einen Liter Milch. Atti sagt, das Essen in der JVA sei gut und es gebe Insassen, die nur wegen des Essens unbedingt in dieser JVA bleiben wollten. Ab 13 Uhr muss er dann zurück in seine Zelle, wo er selber sein Mittagessen zu sich nimmt. Um 13:45 Uhr wird die Zellentür wieder geöffnet und Atti fegt weiter die Gänge und Treppen der Anstalt bis er dann gegen 17 Uhr mit der Abendessenausgabe beginnt. Montags, dienstags, mittwochs und freitags hat er dann meistens nachmittags die Möglichkeit jeweils eine Stunde im Fitnessraum mit den üblichen „Foltergeräten“ Sport zu treiben und danach die Möglichkeit zu duschen. Samstags beginnen die beschriebenen Routinearbeiten dann jeweils eine Stunde später. Bereits um 14:30 Uhr gibt es dann Abendessen und auch die Hausarbeiter müssen auf ihre Zelle. Als Hausarbeiter genießt er den Luxus einer Einzelzelle. Atti beschreibt die JVA Beamten grundweg als freundlich und korrekt. Er habe noch nie mit ihnen Probleme gehabt – auch nicht wegen seiner türkischen Herkunft. Er freut sich schon jetzt auf den nächsten Besuch seiner Frau und seiner Tochter, die dreimal im Monat für 45 Minuten zu Besuch kommen. Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

Heulende Männer, die keinen Cent zahlen!

Dabei sollte es nach meinem Plan gestern entspannt zugehen. Die Hauptverhandlung in Koblenz hatte ich nach längerem Nervenkrieg mit dem Gericht im letzten Moment noch durch einen Deal über einen Strafbefehl abgebogen. Der Terminkalender war damit blank. Also, Zeit für gute gute Vorsätze. Nach der Erledigung von allgemeinem täglichen Bürokram (Post, Rückrufe, etc.) schnappte ich mir gegen Mittag einen Stapel Knastakten und machte mich auf den Weg in die JVA Mönchengladbach. Es wurde mal wieder Zeit, meine Jungs zu besuchen. Lag es am Montag oder an einer allgemeinen Tiefdrucklage? Schon die JVA-Beamten machten einen depremierten Eindruck und ließen sich von meiner noch guten Laune nicht anstecken. Knappe Antworten, mürrische Gesichter, wohin man guckte – und in den Besucherzellen wurde es nicht besser. Meine ansonsten nach außen hin coolen und gelassenen Jungs – die meisten mit Knasterfahrung – entpuppten sich heute als die reinsten Heulsusen. Heulsusen – also heulende Frauen – finde ich im allgemeinen schon grausam. Bei den ersten abgepressten Tränchen erinnere ich mich an die eine oder andere Ex und schalte instinktiv auf Durchzug, weil ich zwar nicht immer erkenne, was die Mädels mit dem Knopfdruck-Geweine erreichen wollen, mir die Methode in jedem Fall aber auf den Geist geht. Wie aber ist das mit weinenden Männern? Können Sie sich z.B. einen heulenden, muskelbepackten russischen 2-meter-Schrank mit Oberarmen wie meine Oberschenkel vorstellen, dem ich ein Tempotaschentuch über den Tisch reichen muss, weil Tränenströme aus seinen wasserblauen Augen auf meine teuer kopierten Ermittlungsakten tropfen? Wie verhält man sich da als Anwalt? Ich nahm Abstand davon, meine Hand tröstend auf seine Pranke zu legen und versuchte es mit ein paar heiser hervorgebrachten Floskeln im Knastcolorit: “Hey Waldemar, geh mir nicht auf den Sack mit dem Geschniefe und tropf meine Papiere nicht voll! Ja, ich verstehe, dass du deine Frau vermisst aber es sind nur noch maximal 14 Tage bis du in der Haftprüfung raus kommst. Nein, ich werde dir kein Handy reinschleusen, damit du nachts mit ihr telefonieren kannst. Das ist verboten und außerdem unterstütze ich prinzipiell keinen Telefonsex!” Und als auch das nichts half, versuchte ich es auf die sensible Art, mit der ich bei weinenden Mandantinnen schon oft Erfolg hatte: “Waldemar – wenn die Stimmung hier schon so zum Heulen ist – wie steht´s eigentlich mit dem Honorar, dass du mir vom letzten Fall noch schuldest?” Ich spürte eine leichte Veränderung in seiner Körperhaltung und setzte noch einen drauf: “Oder muss ich dir erst Arme und Beine brechen, damit du mich bezahlst?” Jetzt hatte ich ihn! Hinter den sich verflüchtigenden Tränen blitzten seine blauen Augen auf und ein breites Grinsen machte sich auf seinem unrasierten Gesicht breit: “Ich wusste, dass sie mich nicht im Stich lassen, Herr Meister!”, was wohl heißen soll, dass ich auch in Zukunft keinen Cent Honorar von ihm zu erwarten hab. In entspannter Atmosphäre sprachen wir noch ein bisschen über den bevorstehenden Haftprüfungstermin. Bei der Verabschiedung legte er mir seinen Baumstamm von Arm um die Schulter, drückte mich herzlich und versprach augenzwinkernd eine kleine Ratenzahlung – sobald er aus der Haft raus sei. So schlängelte sich der Nachmittag mit 5 weiteren Mandanten hin – bis die Tiefdruckfront auch mich überrollte. Die letzten Knast-Mandanten hielt ich nicht mehr aus, und ich brach mein Programm für diesen Tag ab. Es reichte! Ich nahm mir vor, auf besseres Wetter zu warten – oder jedenfalls auf Dienstag. Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

Was gibt es da zu grinsen, Frau Alice Schwarzer? Ein kurzer Einblick in die politisch unkorrekte Gefühlswelt eines Strafverteidigers.

Da sitzt sie wieder hinten im Zuschauerraum. Eine etwas jüngere Ausgabe von Alice Schwarzer – nicht ganz so gut aussehend, aber mit diesem schmallippigen, selbstzufriedenen Grinsen, das mich an den berühmten Werbespruch für Romika Schuhe erinnert. Ich betrete vor meinem Mandanten den kleinen Gerichtssaal und schleudere ihr freundlich lächelnd – und natürlich aus purer Boshaftigkeit – einen kleinen Scherz an den Kopf. Nein, sie hat mir unser letztes Scharmützel ebensowenig verziehen, wie die Tatsache, dass ich ein Mann bin. Ohne das Dauergrinsen abzustellen streicht sie sich in einer langsamen Armbewegung ihr hennarotes Haar aus der Stirn,  schlägt die Beine übereinander und wendet sich demonstrativ ihrem Schützling zu. Ja, was ist sie doch für ein guter Mensch, diese Dame vom Opferschutzverein „Wutdöschen“ (Name der Opferschutzorganisation geändert). Die Geschichte ist schnell erzählt: Auf der Anklagebank sitzt  kerzengerade der 31-jährige Ex-Leichtathletiktrainer. Sein gestählter Körper passt nicht zu seinem jungenhaften Gesicht. Mit sanfter, brüchiger Stimme trägt er sein umfassendes Geständnis vor. Durch seine Stahlbrille sucht er dabei den Blick „seiner“ 13-jährigen Athletin, in die er soviel Hoffnung auf eine künftige Teilnahme an den Olympischen Spielen gesteckt hatte.  Das Mädchen sitzt ihm mit einem streng nach hinten gebunden Pferdeschwanz gegenüber, neben der Staatsanwältin, da wo die Opfer bei Nebenklageverfahren Platz zu nehmen pflegen. Ihr Mund ist ein Strich. Sie meidet jeden Blickkontakt, schüttelt nur hin und wieder langsam ihren Kopf in tatsächlicher oder gespielter Empörung. Synchron schwenkt der Kopf der Opferschützerin – jede Erklärung des Angeklagten verneinend. Ihr Dauergrinsen wirkt wie eine Fratze. Ja, ihm sei bewusst gewesen, dass Sex mit einer 13-jährigen verboten sei. Kopfschütteln der Opferdame. Er habe versucht, seine Gefühle für das Mädchen zu unterdrücken. Kopfschütteln. Sie habe ihn unter Tränen gebeten, sie nicht zu ignorieren. Kopfschütteln. Sie habe ihm gestanden, dass sie auch in ihn verliebt sei. Kopfschütteln. Sie hätten sich heimlich auch bei ihm in der Wohnung getroffen. Kopfschütteln. Er habe sich selbst bei der Polizei angezeigt, nachdem die Eltern des Mädchens den Emailverkehr entdeckt hätten, um dem Mädchen eine Aussage zu ersparen. Kopfschütteln. Er habe sich in Therapie begeben, dreimal wöchentlich gehe er dahin, um sich selber zu verstehen. Kopfschütteln. Er biete dem Mädchen ein Schmerzensgeld an; er bedauere aufrichtig, ihr solche Probleme bereitet zu haben. Er werde aus der Stadt fortziehen, damit das Kind keine Angst vor einer Begegnung mit ihm haben müsse. Kopfschütteln. Als ich die junge Athletin befrage, räumt sie eine einvernehmliche Liebesbeziehung ein. Sie sei nur so enttäuscht. Ihre Eltern und die Dame vom Opferschutz hätten sie überzeugt, dass der Angeklagte, den sie mit Vornamen nennt, sie nicht wirklich geliebt habe. Sie fühle sich nun ausgenutzt. Bei diesen Worten nickt die Opferschutzdame heftig. Natürlich – so führe ich in meinem Plädoyer aus – sind die Taten des Angeklagten strafbar, aber bei der beschriebenen Konstellation, komme ein minderschwerer Fall des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und damit eine Bewährungsstrafe in Frage.  Ein minderschwerer Fall liege schon deshalb nach der Rechtsprechung des BGH nahe, weil das Mädchen zu den Tatzeitpunkten kurz vor Erreichen des 14. Lebensjahres gewesen sei. Heftiges Kopfschütteln der Opferdame. Das Gericht verkündet nach langer Beratung – sehr zu meiner Enttäuschung – eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und sechs Monaten. Triumphierend erhebt sich die Dame vom Opferschutz, schreitet an mir vorbei zur Richterbank und schüttelt dem verdutzten Vorsitzenden mit ihrem Dauergrinsen die Hand. Sie beugt sich über den Tisch und flüstert dem – so mein Eindruck – peinlich berührten Vorsitzenden etwas Schmeichelhaftes ins Ohr. Ich meine zu hören „ das haben Sie ganz toll gemacht!“ Naja, wer zuletzt lacht, lacht am besten. Ich hoffe, das Berufungsgericht wird die Sache anders beurteilen und sei es nur, um diese Dauergrinsen wenigstens für ein paar Sekunden auszuknipsen. Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

Die verdutzten Putzfrauen mit den roten Augen oder Joints für den Stadtrat!

Böse Zungen behaupten, Bürgermeister Bernat Pellisa von der Partei der Republikanischen Linken habe erst einen mitgebrachten Sack mit Joints verteilen müssen. Als der süße Duft von Marihuana sich über und in die Köpfe der Stadtabgeordneten gelegt hatte und der dichte Rauch durch die Türschlitze des Gemeindesaals langsam nach draußen auf den Flur des Bürgermeisteramtes kroch, gelang es ihm die konservative Opposition des Dorfes Rasquera in der katalanischen Provinz Tarragona von seinem Projekt zu überzeugen. Als die Abgeordneten spät abends – es war schon gegen 22 Uhr – gut gelaunt und von Heißhunger ergriffen aus dem Ratssaal torkelten, wären sie fast über die ansonsten fleißigen Putzfrauen gestolpert. Diese hockten in einer kleinen Gruppe direkt vor der Türe des ehrenwerten Saals. Entweder hatten sie an der Türe die zunächst zähen, aber dann immer beschwingteren Verhandlungen belauscht oder aber waren von den feinen unter der Tür hervorströmenden Dämpfen in einen anderen Zustand versetzt worden. Jedenfalls blickten sie mit weitaufgerissenen, beängstigend roten Augen zu den Abgeordneten empor und kicherten dabei ohne jeden Respekt. In normalen Zeiten hätte dies Folgen gehabt. Aber nach der erfolgreichen Krisensitzung, die die Zukunft des kleinen Dorfes retten würde, stiegen die Abgeordneten ohne weiteres Federlesen über die Damen hinweg, traten hinaus auf den Palazzo und atmeten gierig die frische Nachtluft ein. Bernat Pellisa schloss mit einem überdimensionierten Bartschlüssel die schwere Eichentür des alten Rathauses ab und hatte bereits in diesem Moment die Putzfrauen vergessen. So wurde deren respektloses Verhalten zwar nicht von der Stadtautorität geahndet, was sie sich allerdings am nächsten Morgen von ihren wutentbrannten Männern anhören konnten, als sie mit dickem Schädel nach Hause schlichen, kann man sich denken. Okay, ich gebe es zu. Ich habe die Geschichte ein wenig ausgeschmückt. Ich bin die böse Zunge. Fakt aber ist, dass die Gemeindeversammlung an diesem Abend beschlossen hat, 5000 Quadratmeter fruchtbaren Bodens von Rasquera künftig dem Cannabis-Anbau zur Verfügung zu stellen. Cannabis soll dort bald im großen Stile angebaut werden. Bernat Pellisa möchte so die Gemeindekasse aufstocken, für Vollbeschäftigung in seinem Ort sorgen – und dann, naja – nie wieder diese langweiligen, unkreativen Ratssitzungen der Vergangenheit, wo doch schon bald der Rohstoff – man könnte auch sagen Frohstoff – vor der Türe wächst und gedeiht. Ach so! Sie zweifeln an meinen Worten? Verstehe! Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht? Hier ein Auszug aus dem Interview, das die Süddeutsche Zeitung mit dem Bürgermeister geführt hat: „SZ: Herr Bürgermeister, erzählen Sie uns von Ihrem Dorf. Bernat Pellisa: Nun, Rasquera hat 900 Einwohner, liegt 20 Kilometer vom Meer entfernt, unsere Produkte sind Olivenöl und Ziegen. Die Cabra Blanca ist geschätzt bei Köchen und Feuerwehrleuten, denn die Tiere fressen das trockene Unterholz, das verhindert Waldbrände. SZ: Und warum wollen Sie Ihr Dorf zu einem Wallfahrtsort für Kiffer machen? Pellisa: Wir legalisieren nur, was ohnehin üblich ist. Cannabis zum privaten Gebrauch wird doch überall am Mittelmeer angebaut. Das ist in Spanien auch nicht verboten. Aber es gab halt einen großen Schwarzmarkt. SZ: Und nun dealen Sie? Pellisa: Nein, wir wollen zunächst 5000 Quadratmeter Fläche an eine anerkannte private Initiative aus Barcelona verpachten, die Cannabis zu therapeutischen und ludischen Zwecken anbaut. SZ: Ludisch? Pellisa: Na ja, zum Vergnügen halt. SZ: Rauchen Sie selbst auch? Pellisa: Das tut hier nichts zur Sache … Na ja, wir verstehen uns: Wir sind der Meinung, jeder sollte seine Freiheitsrechte ausüben können. Damit befinden wir uns im Einklang mit den Vereinten Nationen. Die Prohibition ist doch gescheitert. Wir fühlen uns als Pioniere. SZ: Was bringt Ihnen das finanziell? Pellisa: 1,3 Millionen Euro. Wir haben Außenstände, denn wir haben zuletzt viel investiert in Kanal- und Straßenbau. SZ: Spanien hat sehr viel Arbeitslose. Bringt der Cannabis-Anbau neue Jobs? Pellisa: Wir rechnen mit 40 Stellen in der Verwaltung und für die Bewachung. Das reicht bei uns für Vollbeschäftigung. Wir hoffen, dass junge Leute zurückkommen. Wir wollen langfristig ein Zentrum für Cannabisforschung werden.“ Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

Die Schildkröte

Vor ca. zwei  Wochen hatte ich bei einem Landgericht in einem anderen Bundesland wieder einmal eine Begegnung der besonderen Art. Die Vorsitzende Richterin – nennen wir sie mal „Schlagendöver“ – nein, wir verpassen ihr noch ein adliges “von”, nicht weil sie adelig wäre, aber dieser herrlich blasierte Gesichtsausdruck wirkt einfach adelig und kann nur das Ergebnis jahrelang gepflegter Verbitterung sein. Oder hat da ein Arzt zuviel Botox gespritzt, dass die Arme keine Miene mehr verziehen kann? Egal, nennen wir die Grand Dame “von Schlagendöver”, das passt. Sie versprüht den Charme einer griechischen Landschildkröte, redet aber deutlich schneller und meistens ziemlichen Unsinn, von dem sie aber kraft Ihres Amtes überzeugt zu sein scheint. Mit ihrer arroganten Ausstrahlung steckte sie ihre armen Beisitzer und selbst die Schöffen an, deren Gesichtsausdrücke während der Verhandlung in einer erstaunlichen Metamorphose immer schildkrötenähnlicher wurden – und ich hatte keine Pilze gegessen. Kalt, unnahbar und technokratisch wickelte sie ihre Hauptverhandlung ab (wahrscheinlich wollte sie schnell nach Hause, um noch ein bisschen Botox nachzuspritzen). Einen kleinen Scherz von mir, den immerhin der nette Staatsanwalt verstand, quittierte sie mit der Bemerkung, jemand habe schon einmal aufgrund eines Scherzes bei der Flughafenkontrolle seinen Flug verpasst. Man müsse sich überlegen, wo Scherze angebracht seien. Die schon zu einem verzagten Lächeln hochgezogenen Mundwinkel der Beisitzerin und der Schöffen erstarrten übergangslos wieder zu Schildkrötenvisagen. Aha, immerhin hatte die Vorsitzende verstanden, dass es sich um einen Scherz handeln sollte. Da für sie in diesem Moment aber kein Keller erreichbar war, musste diese Bemerkung wohl ebenso sein wie meine Antwort darauf: “Lassen Sie mich raten. Sie sprechen aus Erfahrung. Sie haben bestimmt einmal einen Flug verpasst, weil jemand am Flughafen, ihren köstlichen, unwiderstehlichen Humor nicht verstand.“ Haben Sie schon einmal gesehen, wenn Schildkröten tief Luft holen und dabei ihre Wangen nach innen ziehen? Sieht wirklich süß aus. Ich mag Schildkröten. Die Verhandlung plätscherte weiter dahin, und der Vorwurf des Handeltreibens mit Waffen verflog, als  der Mandant der Schildkrötendame detailliert die Spielregeln von „baseball“ erklären konnte und damit die Anwesenheit seines Baseballschlägers im Kofferraum. Von Sportsgeist schien die Vorsitzende nicht beseelt, denn eh die Kammer sich zur Beratung zurückzog, zeigte die Dame, was für eine schlechte Verliererin sie ist und offenbarte dabei – ganz untypisch für ein Möchtegern-Adelige – ausgesprochen schlechte Manieren und einen desolaten Geschmack. Sie hatte die Chuzpe, mich auf meine (immer) fehlende Krawatte anzusprechen. Schildkröten sind naturbedingt nicht sehr lernfähig, und so mag es sie gewundert haben, dass ich ihr dafür noch einmal einen einschenkte: “Frau Vorsitzende, jetzt kennen wir uns schon seit so vielen Jahren, und ihnen fällt heute erst auf, dass ich nicht wie ein Versicherungsvertreter daherkomme. Als Richter sollte man schon über eine gewisse Beobachtungsgabe verfügen, finden Sie nicht?” Die Bemerkung, dass ihr ein weißer Schal zur Abdeckung ihres Schildkrötenhalses ganz gut stehen würde, ersparte ich mir. Schließlich halte ich mir wenigstens hin und wieder eine gute Kinderstube zugute. Und für ihren Hals kann die Schildkröte ja nichts. Arme Schildkröte. Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

Der Maskenmann und das Zimmermädchen

Es ist ein Erfahrungssatz, den leidgeprüfte Verteidiger, Staatsanwälte und Haftrichter bestätigen können: Verhaftungen finden meistens Freitags nach Dienstschluss statt und bescheren den Beteiligten Arbeit am Samstag, wenn die Vorführung beim Haftrichter ansteht. Und so erhielt ich Freitagabend gegen 19 h den Notruf eines Herrn xy, der mir aufgeregt und in offensichtlicher Panik von seiner Verhaftung berichtete, um dann übergangslos in einem einzigen Wortschwall seine Lebens- und Ehegeschichte zu erzählen. Ich ließ ihn ein paar Minuten seinen Druck von der Seele reden und unterbrach ihn dann – vielleicht etwas zu barsch: “Ich versteh kein Wort. Geben Sie mir mal den zuständigen Polizeibeamten an den Apparat!” Im Hintergrund hörte ich weiteres Stimmengewirr bis sich schließlich ein freundlicher Kripobeamte meldete und mir in knappen Sätzen den juristischen Sachverhalt erläuterte. Herr xy solle am morgigen Samstag dem Haftrichter vorgeführt werden. Seine Exfrau habe ihn heute angezeigt, da er sie am Mittwochmorgen vergewaltigt habe. Gegen 11 Uhr habe es an ihrer Wohnungstüre geklingelt. Sie habe arglos die Türe geöffnet und ein maskierte Mann sei hereingestürmt, habe sie zu Boden geworfen und versucht ihr eine Plastiktüte über den Kopf zu stülpen. Sie habe sich in Todesangst gewehrt und dem Mann die Maske vom Kopf gerissen. Zum Vorschein sei das Gesicht ihres Exmannes gekommen, der sie mit wahnsinnigen und hasserfüllten Augen angeschaut habe. Vor lauter Angst habe sie dann eine halbstündige, mehrfache und äußerst brutale Vergewaltigung u.a. mit einem Dildo über sich ergehen lassen. Der zuständige Staatsanwalt und der Haftrichter seien informiert und Herr xy gehe morgen mit Sicherheit in U-Haft. Ich ließ mir noch mal den “neuen” Mandanten geben und riet ihm eindringlich dazu, ab sofort die Klappe zu halten, sich auf keine Diskussion mit den Polizeibeamten einzulassen und cool zu bleiben. Die Nacht müsse er so oder so im Polizeigewahrsam bleiben und morgen hätten wir vor der Haftvorführung Gelegenheit im Einzelnen über die Sache zu sprechen. Am Samstagmorgen fuhr ich frühzeitig zum Amtsgericht, ließ mir einen leeren Sitzungsaal als Besprechungszimmer zuteilen und lernte einen immer noch panischen Herrn xy kennen, der wieder sofort damit begann, mir seine Ehegeschichte erzählen zu wollen. Ich bremste ihn sofort aus: “Stopp! Jetzt hören Sie mir mal für einen Moment gut zu. Wir haben max. eine halbe Stunde Zeit, in der wir systematisch und effektiv vorgehen müssen. Ich hatte noch keine Gelegenheit in die Ermittlungsakte zu schauen. Was ich weiß, ist das, was mir gestern der Polizeibeamte erzählt hat – mehr nicht. Sie kennen mich nicht, aber wenn Sie eine Chance haben wollen, nicht in Haft zu gehen, müssen Sie mir vertrauen. Ich verlange, dass Sie mir ohne Ausschweifungen, meine folgende Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Wenn Sie mir Unsinn erzählen, denke ich in die falsche Richtung und mache möglicherweise Fehler, die Sie alleine ausbaden werden. Ich unterliege der Schweigepflicht. Alles, was wir hier besprechen, bleibt unter uns. Für eine Verteidigungsstrategie muss ich wissen, was Sache ist. Das Dümmste was Beschuldigte tun können, ist es, ihren Verteidiger zu belügen. Haben Sie das verstanden?” Und als der Mandant nickte, legte ich ohne weitere Umschweife los: “Haben Sie Ihre Ehefrau am Mittwoch zur angegebenen Tatzeit vergewaltigt?” Herr xy schüttelte den Kopf und sprudelte wieder los. Ich zeigte auf die Uhr und ermahnte ihn, sich kurz zu fassen. “Nein, ich schwöre Ihnen, ich habe meine Frau nicht vergewaltigt.” “Wo waren Sie um 11 Uhr am vergangenen Mittwoch?” “Im Hotel, da bin ich ganz sicher!” “Welches Motiv könnte Ihre Frau haben, sie derart zu belasten?” Herr xy überlegte und schüttelte wieder den Kopf. “Ich kann mir das einfach nicht erklären.” “Erzählen Sie mir kurz, wie ihr Verhältnis zu Ihrer Frau ist. Haben Sie gemeinsame Kinder?” “Ich bin erst Februar aus dem Knast gekommen. Ich saß drei Jahre im Knast – wegen Betruges und Fahren ohne Fahrerlaubnis. Ich bin noch nie wegen Gewaltdelikten in Erscheinung getreten. Wir haben zwei gemeinsame Kinder – 13 und 16 Jahre alt. Nach meiner Knastentlassung hat sich die Beziehung zu meiner Ex wieder verbessert. Ich habe sie und die Kinder täglich besucht und hatte auch wieder regelmäßigen Sex mit meiner Frau. Ich wollte aber nicht wieder da einziehen. Das hätte auf Dauer nicht funktioniert. Ich lebte bis zu meiner gestrigen Verhaftung im Hotel und wollte mir von da aus eine Wohnung in Düsseldorf suchen. Meine Frau war in den letzten Tagen sauer auf mich, da die älteste Tochter mit mir nach Düsseldorf ziehen wollte und ich auch eine neue Frau kennengelernt hatte, auf die meine Frau sehr eifersüchtig reagierte.” “Okay – und jetzt überlegen Sie mal genau, ob Sie für Mittwoch 11 Uhr ein Alibi haben.” Herr xy dachte angestrengt nach. “Ich war im Hotel. So gegen 8 – 8.30 h habe ich gefrühstückt. Ich bin dann wieder auf´s Zimmer, um mich nochmal hinzulegen. Gegen 13 h bin ich dann in die Stadt gegangen. Ich war in einem Internetcafé, habe aber niemanden bestimmtes getroffen. Vielleicht erinnern sich die Frühstücksgäste im Hotel und der Cafébesitzer an mich.” “Wie weit ist es von dem Hotel zu der Wohnung Ihrer Exfrau?” “Ca. eine halbe Stunde zu Fuß. Mit dem Taxi, vielleicht 10 Minuten?” “Na, dann merken Sie ja selber, dass uns Zeugen im Café oder am Frühstückstisch nicht helfen. Sie hätten theoretisch immer noch genug Zeit gehabt, zu der Wohnung zu fahren, um die Tat zu verüben. Denken Sie nach. Haben Sie gegen 11 h mit irgendjemanden im Hotel gesprochen? Haben Sie vielleicht mit jemandem telefoniert? Bitte überprüfen Sie das anhand Ihres Handys.” Während der Mandant seinen Telefonspreicher durch ging, checkte ich mit meinem Karten-App die genaue Entfernung zwischen Hotel und Wohnung der Exfrau. Herr xy fand aber keinen zeitlich passenden ein- oder ausgehenden Telefonate, und ich ermittelte die Strecke mit 2,3 km, also ca. eine halbe Stunde Fußweg. Ich zwang ihn zur Konzentration, versuchte jede Minute von seinem Aufstehen am Mittwoch bis um die Mittagszeit zu rekonstruieren, und während wir zum x-ten Male gedanklich vom Frühstückstisch zurück in sein Zimmer gingen und versuchten nachzuvollziehen, was dann geschah, fiel Herrn xy plötzlich ein, dass er irgendwann – als er sich nach dem Frühstück schon wieder ins Bett gelegt hatte –

Jetzt hau ihr endlich eine rein!

Foto: Jürgen Howaldthttp://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de Es gibt hin und wieder Indizien dafür, dass Männer und Frauen einfach nicht zueinander passen. Letztlich handelt es sich dabei aber um eine unbewiesene These, und seit Menschengedenken versucht unsere Spezies, an das Gegenteil zu glauben. Deshalb die vielen Kinder. Ich will mich an dieser müßigen Diskussion nicht beteiligen, aber wenn ich morgens die iDötzchen (das schreibt man so! – denken Sie an iTunes,  iPhone , etc.) beobachte, wie sie mit ihren schweren Tornistern an unserem Küchenfenster auf ihrem Weg zur katholischen Grundschule vorbeimarschieren, fällt mir auf, dass sie schon in diesem Alter in geschlechtsspezifische Gruppen sortiert sind, also die mit den rosa Ranzen und Prinzessinnen- oder Pferdeabbildungen und die anderen mit den blauen Ranzen mit T-Rex oder Rennauto-Abbildungen. Und ich will jetzt gar nicht von Gesellschaften anfangen, die noch archaischer strukturiert sind als unsere. Aber mir scheint auch, im fortgeschrittenen Alter übertünchen die  wenigen köstlichen, kurzen (deshalb eben köstlichen) Phasen der Verliebtheit lediglich das Prinzip. Oder warum sprechen wir von Mädels- und Männerabenden, der besten Freundin, den berühmten Männerfreundschaften und von Gesprächen von Mann zu Mann oder Frau zu Frau? Jetzt habe ich mich doch dazu hinreißen lassen, ein gefährliches Terrain zu betreten.  Machen wir es kurz: Frauen ticken einfach anders, und ich hab es aufgegeben, alles verstehen zu wollen! Uups, das habe ich nicht gesagt, noch nicht einmal gedacht, bitte streichen Sie die letzte Bemerkung. Eigentlich wollte ich Ihnen  von einem wunderbaren, sommerlichen und dennoch ausgearteten Abend erzählen. Ich hatte darüber berichtet (Glückliche Begegnung, die Bremer Stadtmusikanten, Marathon-Man und Captain Picard), dass ich wegen eines Mordverfahrens für zwei Tage nach Bremen musste und meine Lebensgefährtin mitgenommen hatte, um nach den Prozesstagen die alte Hansestadt zu besichtigen. Nach dem ersten Prozesstag schlenderten wir an der Weser entlang, kamen an einer Art Biermeile vorbei und stießen unmittelbar dahinter, kurz neben  einer Weserbrücke, auf ein Restaurantschiff mit dem verdächtigen Namen „Treue“. Über einen steilen Steg gelangten wir zum Schiff. Ehe ich die wenigen Treppen zum Deck hochstieg, klopfte ich an den Bug und stellte mit gerümpfter Nase fest, dass das Boot vollständig aus Beton bestand. Schon wollte ich im Verdacht auf eine Touristenfalle eine andere Location vorschlagen, als Anna unter Hinweis auf einen gerade freiwerdenden Platz direkt an der Reling zum Fluss meine Hand ergriff und mich energisch die Stufen hochzog. Wir nahmen an einem kleinen, schmuddeligen Tischchen Platz, genau zwischen zwei Gruppen von älteren Frauen, die mich von beiden Seiten mindestens so argwöhnisch betrachteten wie ich sie. Mir kam in den Sinn, dass sie wahrscheinlich Mitleid mit Anna hatten, weil sie den Abend mit einem Mann verbringen musste und sich nicht glücklich schätzen konnte, mit (besten) Freundinnen … – na was eigentlich? Wenn ich ehrlich bin, waren die Frauen wohl in meinem Alter, also keinesfalls als älter zu bezeichnen, aber ich habe absolut keinen Bock ehrlich zu sein, wenn ich Geschichten erzähle und schon gar nicht, wenn es irgendwie indirekt auch um mein Alter geht. Rechts saßen drei Damen und links von uns vier, und man muss weder die Zeitschrift Emma kennen, noch die 70iger Jahre erlebt haben, um schnell und sicher die richtige Schublade für unsere Tischnachbarinnen gefunden zu haben. Vielleicht weil Anna ihren Willen durchgesetzt hatte, blätterte ich mit Verdrießlichkeit, die wie ein dicker Popel für jeden sichtbar unter meiner Nase klebte, in der Speisekarte. Anna bestellte gut gelaunt zwei Weißweinschorlen, und ich entdeckte das einzig Interessante an der Karte, schnipste den Popel über Bord und las ihr begeistert vor: Das Schiff war tatsächlich komplett aus Beton gebaut und stammte aus einer 1943 von den Deutschen geplanten Serie von über 70 solcher Betonkähne, die für kriegswichtige Holztransporte aus Skandinavien konzipiert worden waren. Und wir saßen auf einem der letzten drei noch existierenden Exemplare. Während wir uns noch über die physikalische Frage der Verdrängung und warum selbst Betonboote offensichtlich nicht sinken, unterhielten, hörten wir plötzlich Schreie. Die Gespräche auf dem Schiff erstarben und selbst die Kellnerinnen hielten in ihrer Arbeit inne und blickten hinauf zur Brücke, wo soeben ein bizarres Schauspiel begann. Wir sahen eine junge Schwarze von geschätzten 25 Jahren, die mit überschlagender, schriller Stimme einen ebenso alten, athletischen Landsmann anschrie, der sie mindestens um einen Kopf überragte. Der junge Mann, beschämt von dem Hurrikan in dessen Zentrum er sich befand, versuchte einigermaßen gelassen, die Brücke zu überqueren, währenddessen sich die Frau immer wieder vor ihn stellte, mit aufgeregten Fingern zentimeternahe vor seinem Gesicht rumfuchtelte und weiter hysterisch schrie. Mit einer sanften Armbewegung schob er sie zur Seite, um seinen Weg fortzusetzen, wurde aber immer wieder von ihr eingeholt. Sie stellte sich ihm in den Weg und plärrte ihn in einer afrikanischen Sprache an. Jetzt schlug sie ihm die Baseballkappe vom Kopf, und ihre Schreie strichen von der Brücke herab und erzeugten krause Wellen auf der darunterliegenden Weser. Die Damen an unseren Nachbartischen schüttelten amüsiert den Kopf, lächelten uns an und machten belustigte Bemerkungen darüber, in wessen Haut sie gerade nicht stecken mochten. Spekulationen über den Grund des Streites huschten von Tisch zu Tisch, bis es den Anschein hatte, als rückten die Tische und die daran sitzenden Gäste selbst näher aneinander. Jeder redete plötzlich mit jedem. Mittlerweile war auch die Biermeile auf das Geschehen aufmerksam geworden, und von Land her ertönte ein missbilligendes, verhalltes und durchaus stadiontaugliches „Buh“,  als die junge Frau dem Mann plötzlich ins Gesicht schlug, so dass seine Kappe erneut zu Boden ging. Sie geiferte unentwegt weiter und stieß ihre ausgestreckten Finger in Richtung seines Gesichts, als wolle sie ihm die Augen ausstechen. Der Mann blieb weiter cool, hob sein Käppie auf und versuchte  ohne Gesichtsverlust seinen Weg über die Brücke. Er gewann einige Meter Vorsprung, bis ihn die Frau einholte und unter dem raunenden Protest der Biermeile kreischend auf seinen Rücken sprang und auf seinen Kopf einschlug. Jetzt sprang Anna auf und sagte, das könne sie sich nicht länger ansehen, wir sollten sofort rauf zur Brücke, ehe noch etwas Schlimmes passiere, und in diesem Moment löste sich die Frau vom Mann, rannte ihm wie eine Furie voraus, nahm Anlauf und sprintete auf das Geländer zu, um

Einlassungen des in der Hauptverhandlung anwesenden Angeklagten durch seinen Verteidiger

Gemäß § 243 V StPO[1] steht es dem Angeklagten frei, sich zu den ihm vorgeworfenen Taten zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Erklärt sich der Angeklagte zu einer Äußerung bereit, ist es Ausfluss effektiven rechtlichen Gehörs, dass er den Darstellungsumfang und die Darstellungsform selbst wählen kann. Aufgrund einer autonomen Entscheidung soll der Angeklagte frei wählen können, ob er sich mündlich bzw. durch zu Hilfenahme von Notizen einlässt oder eine vorbereitete schriftliche Erklärung verliest[2]. Der in der Hauptverhandlung anwesende Angeklagte kann sich jedoch bei seiner Einlassung grundsätzlich nicht durch seinen Verteidiger vertreten lassen. Will der Angeklagte sich zu den Vorwürfen äußern, muss er dies grundsätzlich selbst tun.[3] Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist seit Jahren mit Rückendeckung der herrschenden Literaturmeinung in der Rechtsprechung dann zugelassen worden, wenn der Angeklagte durch seine Äußerung unmissverständlich klargemacht hat, dass er eine Sachverhaltsdarstellung des Verteidigers, als seine eigene gelten lassen will.[4] Es bedarf insofern einer dahingehenden Vollmacht des Angeklagten oder einer nachträglichen Genehmigung, dass die Erklärung des Verteidigers als dessen eigene gewertet werden solle.[5] Macht der Angeklagte insofern Angaben zur Sache, dürfen aus seinem Schweigen im Übrigen für ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden.[6] Hinsichtlich der ausdrücklichen Bevollmächtigung des Verteidigers, hat der 3. Senat des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung 3 StR 176/05 vom 28.06.2005 ausgeführt, dass die Verwertbarkeit eines durch den Verteidiger abgegebenen Geständnisses von der ausdrücklichen Bevollmächtigung oder der nachträglichen Genehmigung abhänge. Jedoch, so der Senat, könne schon aus der Einlassung des Angeklagten gegenüber den Eltern eines Nebenklägers, ‘es tue ihm leid‘, der Rückschluss gezogen werden, der Angeklagte wolle sich die Erklärung der Verteidigerin zu eigen machen.[7] Diese Rechtsprechung steht in Übereinstimmung unter anderem mit der Entscheidung des 4. Senats des Bundesgerichtshofs vom 29.05.1990 (4 StR 118/09). Auch insoweit stellte der Senat, für die Verwertbarkeit der durch den Verteidiger abgegebenen Einlassung, auf die ausdrückliche Klarstellung des Angeklagten ab, dass dieser die Äußerungen als eigene verstanden wissen will[8]. Das OLG Saarbrücken bringt diese absolut einheitliche Rechtsprechung in seinem Beschluss vom 14.9.2005 (Ss 29/05 (38/05) für den Fall auf den Punkt, dass die Erklärung des Verteidigers in einem inhaltlichen Widerspruch zu der vom Angeklagten persönlich nach Belehrung gem. § 243 IV 1 StPO abgegebenen Erklärung steht, keine Angaben zur Sache machen zu wollen. Insoweit soll sich die Zurechenbarkeit der Verteidigererklärung „nicht bereits aus einer insoweit erteilten und bei der Akte befindlichen Vertretungsvollmacht“ ergeben. Das OLG führt weiter aus: „ Aus diesem Grund kann auch das Schweigen des ausdrücklich nicht äußerungsbereiten Angeklagten zu der ins seiner Anwesenheit abgegebenen Erklärung des Verteidigers nicht als konkludente Zustimmung gewertet werden. Bei einer solchen Sachlage ist vielmehr der Verteidiger oder der Angeklagte von dem Vorsitzenden zu befragen, ob die von dem Verteidiger abgegebene Erklärung als Einlassung des Angeklagten anzusehen sei. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Erklärung in diesem Fall zum Gegenstand der Beweiswürdigung gemacht werde. Nur wenn der Verteidiger und / oder der Angeklagte die Frage bejahen, darf die Erklärung des Verteidigers zum Gegenstand der Beweiswürdigung gemacht werden.“ [9] II. Ein Urteil des 2. Strafsenats des BGH vom 20.6.2007 (2 StR 84/07) hat bei einigen Kommentatoren, die Einzelaspkte der Argumentation der Entscheidung mal wieder unkritisch nachbetend übernommen haben, offenbar zu Irritationen und der Auffassung geführt, schriftliche/mündliche Verteidigererklärungen seien unter Bruch zur bisherigen Rechtsprechung nur noch in Ausnahmefällen zugelassen. Der Angeklagte besäße nunmehr kein Wahlrecht mehr, ob er sich selbst zur Sache äußert oder eine Einlassung seines Verteidigers als eigene verstanden haben will[10]. Der Leitsatz zur Entscheidung fasst das Urteil im Kern richtig zusammen: „ Lehnt das Tatgericht es ab, Erklärungen des Angeklagten gegenüber seinem Verteidiger, der diese schriftlich niedergelegt hat, durch den Verteidiger verlesen zu lassen, so begründet dies keine Besorgnis der Befangenheit des Gerichts. Ein auf Verlesen dieser Erklärung als Urkunde gerichtete Beweisantrag ist unzulässig, da er darauf abzielt, die Einlassung des Angeklagten zu ersetzen.“ [11] Der 2. Senat führt in seinem Urteil konkret – und ausdrücklich nur im Zusammenhang mit der Frage, ob Befangenheitsgründe vorliegen – hierzu weiter aus: „Die Ablehnung des Befangenheitsantrags ist nicht zu beanstanden. Nach § § 24 StPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Das ist der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zur Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Diese Besorgnis lässt sich aber nicht schon allein mit einer fehlerhaften Sachbehandlung begründen. Verfahrensverstöße, die auf einem Irrtum oder auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhen, stellen grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar, sondern nur dann, wenn die Entscheidungen abwegig sind oder den Anschein der Willkür erwecken. Abwegig oder willkürlich war die Entscheidung, als Einlassungen der Angeklagten nicht von deren Verteidigern verfasste Erklärungen verlesen zu lassen, nicht. Willkürlich könnte eine solche Entscheidung sein, wenn besondere Umstände, etwa Sprachfehler oder Sprachhemmungen, den Angeklagten am eigenen Vortrag hindern oder ihn wesentlich beeinträchtigen würden. Solche Umstände sind hier nicht vorgetragen. Die Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, des RG und mit Stimmen in der Literatur, wonach die Vernehmung des Angeklagten zur Sache gem. § 243 IV 2 StPO mündlich erfolgt und er sich nicht durch seinen Verteidiger vertreten lassen kann. Zudem spricht für diese Rechtsanwendung der Wortlaut des § 243 IV2 StPO, wonach der zur Äußerung bereite Angeklagte „nach Maßgabe des § 136 II StPO zur Sache vernommen” wird. Diese Meinung ist zwar nicht unbestritten. Dennoch kann angesichts der vertretenen unterschiedlichen Auffassungen die Entscheidung der StrK gegen die Zulässigkeit der Verlesung weder als abwegig noch als aus sonstigen Gründen willkürlich angesehen werden. Die StrK hat durch ihr Vorgehen im Zeitpunkt der Antragstellung und Antragsablehnung auch nicht zu erkennen gegeben, dass sie sich dem Sachvortrag der Angeklagten vollständig verschließen und ihnen auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung keine Gelegenheit zur Äußerung gegen werde. Ihr Verhalten bot deshalb für einen besonnenen Angeklagten keinen Anlass zur Besorgnis der Befangenheit.“ III. Schlösser ist in seinem Aufsatz „Die Einlassung des Angeklagten durch seinen Verteidiger – Überlegungen zu BGH, Urteil vom 20.6.2007 – 2 StR 84/07“ [12] in vollem Umfange Recht zu geben, wenn er ausführt, dass das Urteil von einer grundsätzlichen