Böse Zungen behaupten, Bürgermeister Bernat Pellisa von der Partei der Republikanischen Linken habe erst einen mitgebrachten Sack mit Joints verteilen müssen. Als der süße Duft von Marihuana sich über und in die Köpfe der Stadtabgeordneten gelegt hatte und der dichte Rauch durch die Türschlitze des Gemeindesaals langsam nach draußen auf den Flur des Bürgermeisteramtes kroch, gelang es ihm die konservative Opposition des Dorfes Rasquera in der katalanischen Provinz Tarragona von seinem Projekt zu überzeugen. Als die Abgeordneten spät abends – es war schon gegen 22 Uhr – gut gelaunt und von Heißhunger ergriffen aus dem Ratssaal torkelten, wären sie fast über die ansonsten fleißigen Putzfrauen gestolpert. Diese hockten in einer kleinen Gruppe direkt vor der Türe des ehrenwerten Saals. Entweder hatten sie an der Türe die zunächst zähen, aber dann immer beschwingteren Verhandlungen belauscht oder aber waren von den feinen unter der Tür hervorströmenden Dämpfen in einen anderen Zustand versetzt worden. Jedenfalls blickten sie mit weitaufgerissenen, beängstigend roten Augen zu den Abgeordneten empor und kicherten dabei ohne jeden Respekt. In normalen Zeiten hätte dies Folgen gehabt. Aber nach der erfolgreichen Krisensitzung, die die Zukunft des kleinen Dorfes retten würde, stiegen die Abgeordneten ohne weiteres Federlesen über die Damen hinweg, traten hinaus auf den Palazzo und atmeten gierig die frische Nachtluft ein. Bernat Pellisa schloss mit einem überdimensionierten Bartschlüssel die schwere Eichentür des alten Rathauses ab und hatte bereits in diesem Moment die Putzfrauen vergessen. So wurde deren respektloses Verhalten zwar nicht von der Stadtautorität geahndet, was sie sich allerdings am nächsten Morgen von ihren wutentbrannten Männern anhören konnten, als sie mit dickem Schädel nach Hause schlichen, kann man sich denken.
Okay, ich gebe es zu. Ich habe die Geschichte ein wenig ausgeschmückt. Ich bin die böse Zunge. Fakt aber ist, dass die Gemeindeversammlung an diesem Abend beschlossen hat, 5000 Quadratmeter fruchtbaren Bodens von Rasquera künftig dem Cannabis-Anbau zur Verfügung zu stellen. Cannabis soll dort bald im großen Stile angebaut werden. Bernat Pellisa möchte so die Gemeindekasse aufstocken, für Vollbeschäftigung in seinem Ort sorgen – und dann, naja – nie wieder diese langweiligen, unkreativen Ratssitzungen der Vergangenheit, wo doch schon bald der Rohstoff – man könnte auch sagen Frohstoff – vor der Türe wächst und gedeiht.
Ach so! Sie zweifeln an meinen Worten? Verstehe! Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht?
Hier ein Auszug aus dem Interview, das die Süddeutsche Zeitung mit dem Bürgermeister geführt hat:
„SZ: Herr Bürgermeister, erzählen Sie uns von Ihrem Dorf.
Bernat Pellisa: Nun, Rasquera hat 900 Einwohner, liegt 20 Kilometer vom Meer entfernt, unsere Produkte sind Olivenöl und Ziegen. Die Cabra Blanca ist geschätzt bei Köchen und Feuerwehrleuten, denn die Tiere fressen das trockene Unterholz, das verhindert Waldbrände.
SZ: Und warum wollen Sie Ihr Dorf zu einem Wallfahrtsort für Kiffer machen?
Pellisa: Wir legalisieren nur, was ohnehin üblich ist. Cannabis zum privaten Gebrauch wird doch überall am Mittelmeer angebaut. Das ist in Spanien auch nicht verboten. Aber es gab halt einen großen Schwarzmarkt.
SZ: Und nun dealen Sie?
Pellisa: Nein, wir wollen zunächst 5000 Quadratmeter Fläche an eine anerkannte private Initiative aus Barcelona verpachten, die Cannabis zu therapeutischen und ludischen Zwecken anbaut.
SZ: Ludisch?
Pellisa: Na ja, zum Vergnügen halt.
SZ: Rauchen Sie selbst auch?
Pellisa: Das tut hier nichts zur Sache … Na ja, wir verstehen uns: Wir sind der Meinung, jeder sollte seine Freiheitsrechte ausüben können. Damit befinden wir uns im Einklang mit den Vereinten Nationen. Die Prohibition ist doch gescheitert. Wir fühlen uns als Pioniere.
SZ: Was bringt Ihnen das finanziell?
Pellisa: 1,3 Millionen Euro. Wir haben Außenstände, denn wir haben zuletzt viel investiert in Kanal- und Straßenbau.
SZ: Spanien hat sehr viel Arbeitslose. Bringt der Cannabis-Anbau neue Jobs?
Pellisa: Wir rechnen mit 40 Stellen in der Verwaltung und für die Bewachung. Das reicht bei uns für Vollbeschäftigung. Wir hoffen, dass junge Leute zurückkommen. Wir wollen langfristig ein Zentrum für Cannabisforschung werden.“
Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach