In meinem Beitrag „Jetzt werden wir mal persönlich. Über die Leidenschaft, in fremden Schlafzimmern rumzuwühlen“ hatte ich meiner Wut über einen gewissen Staatsanwalt und zwei Haftrichterinnen in Lochum (Namensähnlichkeiten sind rein zufällig) Luft gemacht. Gestern war die Hauptverhandlung, bei der ich mit dem Schlimmsten rechnete. Dementsprechend war ich auf Krieg gebürstet und ordentlich bewaffnet. In meiner Aktentasche befanden sich diverse bösartige Befangenheits- und Beweisanträge, ein Antrag auf Ablösung des Staatsanwalts „Charly“ als Sitzungsvertreter und – für alle Fälle – der noch bösartigere Beweisantrag eben diesen Staatsanwalt als Vernehmungsbeamten der beiden Angeklagten in den Zeugenstand zu rufen.
Auf der einstündigen Fahrt nach Lochum spielte ich mehrere Schlachtpläne und Fantasiestreitgespräche durch und steigerte mich zur Einstimmung auf den zu erwartetenden Krawall so richtig in Rage. Mit einem 180iger-Adrenalinwert und dazu passendem „Will-hier-einer-was-auf-die-Fresse-Gesichtausdruck“ betrat ich pünktlich den Gerichtssaal und noch ehe ich richtig verstand, kam Staatsanwalt Charly versöhnlich, ja geradezu freundlich, auf mich zu und schüttelte mir die soeben noch zur Faust geballte Hand. Die Richterin und die Schöffen nickten mir so freundlich zu, dass ich instinktiv meine Aktentasche verschämt mit dem Fuß unter den Tisch schob, als befürchtete ich, man könne wegen der Ausbeulungen das dort versteckte Waffenarsenal vermuten. Jede etwaige Anfeindung hatte ich in meinen fiktiven Dialogen durchgespielt, aber auf einen solchen gemeinen Hinterhalt war ich gänzlich unvorbereitet. „Verdammt, was ist hier los?“, durchfuhr es mich. Ich schielte unsicher rüber zu den Justizbeamten, die mir aufmunternd zunickten. Fieberhaft überlegte ich und begann Daten feierlicher Anlässe in Gedanken durchzurattern: „Internationaler Weltfrauentag, der ja auch für den Weltfrieden steht (?) … war am 8.März … nee … Weltmännertag … nee, ist erst wieder am 19.11.2012 … mein Geburtstag (?), woher sollen die den kennen und im Übrigen ist es erst im Mai wieder soweit. Ich war ratlos und so formte sich als Übersprunghandlung in meinem Unterbewusstsein ein Satz, und ich hörte mich sagen: „Schicken Anzug haben Sie an, Herr Charly!“ und „Liegt hier eine Verwechslung vor? Ich bin´s Rechtsanwalt Meister. Erinnern Sie sich nicht? Vor 14 Tagen – die Haftprüfung. Mann war ich da sauer auf Sie!“
Aber auch hiermit gelang es mir nicht, die einträchtige Harmonie zu zerstören, um endlich wieder festen Kampfesboden unter die Füße zu kriegen. „Schwamm drüber“, hörte ich Charly sagen. „Ich rege ein Rechtsgespräch im Richterzimmer an.“ Der Vorschlag wurde von der Vorsitzenden mit begeistertem Nicken aufgegriffen und noch ehe ich „Mucks“ sagen konnte, verschwand der Tross aus Vorsitzender, Schöffen, Charly und Mitverteidiger im Gänsemarsch durch die Tür ins Beratungszimmer. Ich lächelte meinen Mandanten mit einer schiefen Grimasse an, zuckte die Achseln und trottete mit rasant in den Keller gehendem Adrenalinspiegel hinterher.
Nach einer kurzen, verbrüdernden Diskussion und meinem verzagten Hinweis auf mögliche, griffbereite Waffenarsenale in unmittelbarer Reichweite, zerplatzte auch das letzte Adrenalinmolekül mit einem kaum hörbaren „Plopp“ und das von mir gewünschte Ergebnis stand fest: Zwei Jahre mit Bewährung und – natürlich – sofortige Aufhebung des Haftbefehl. Nein, wir sind uns danach nicht in die Arme gefallen und es schmatzten auch keine Breschnew´schen Bruderküsse, aber irgendwie bin ich mit Charly und dem Amtsgericht Lochum für den Moment wieder versöhnt. Also, sorry. Nichts gegen deinen Anzug und deine Brille, Charly! Und auch den Begriff „Typ mollige Mutti“ aus meinem obengenannten Artikel nehme ich hiermit bis auf Weiteres zurück. Mann, wie kann ein so gut durchgeplanter Tag nur so entgleisen?!!!
Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach