Der Fall Mirco – ein Prozessrückblick – von Bianca Bell – Chambers.

Inzwischen hat sich die öffentliche Meinung anderen Verfahren zugewandt. Der sich noch im Revisionsverfahren befindliche Fall des ermordeten Jungen Mirco aus Viersen war dennoch einer der von den Medien in den letzten Jahren am meisten beachteten Strafprozesse. Warum eigentlich? Mit Feingefühl hat die freie Journalisten Binaca Bell-Chambers jeden Prozesstag dieses spektakulären Falls verfolgt und jeden Prozesstag akribisch dokumentiert.  Ich hatte begonnen, den langen Bericht in einzelnen Teilen zu veröffentlichen, habe jetzt aber keine Lust mehr dazu. Hier der komplette Artikel:

Prozessberichterstattung im Mirco-Fall

Autorin: Bianca Bell-Chambers

1. Prozesstag: Beginn des Mirco-Prozesses

Krefeld, 12.07.2011 Am Dienstag beginnt vor dem Landgericht Krefeld der Prozess gegen den 45-jährigen Schwalmtaler Olaf H., der nach Auffassung der Staatsanwaltschaft am 3. September 2010 den damals 10-jährigen Mirco aus Grefrath entführt, missbraucht und ermordet haben soll. Die Eltern von Mirco treten als Nebenkläger auf. Für den Prozess hat der Vorsitzende Richter Luczak 15 Sitzungstage anberaumt.

Vor dem Saal drängen sich die Menschen. „Wir waren schon um 5 Uhr heute Morgen vor dem Gerichtsgebäude“ äußert eine Zuschauerin, deren frühes Aufstehen mit einem der 44 Zuschauerplätze belohnt wurde. Auch Ingo Thiel, der Leiter der SOKO-Mirco war unter den Zuschauern. Kürzlich äußerte er in einer Talkshow: „Wir haben immer gesagt: Das ist unser Junge geworden. Wir kannten mehr von dem Jungen als viele andere. Wir haben Mirco leider nie lebend kennen gelernt. Mirco war ein feiner Junge. Ein aufgeweckter, ganz normaler, feiner Junge.“ Mittlerweile habe sich eine Freundschaft zu Mircos Eltern entwickelt, die auch an Thiels Hochzeit Anfang Juni teilnahmen.

Die Vertreterin der Nebenklage, Rechtsanwältin Gabriele Reinartz aus Viersen sagte im Interview mit einem Fernsehsender vor dem Gerichtssaal: „Die Familie hat mich ausdrücklich gebeten, keine privaten Interna an die Öffentlichkeit zu geben. Aufgrund des Verbrechens, das hier im Raum steht, welches den Sohn und Bruder der Familie auf ganz brutale Weise aus dem Leben gerissen hat, ist heute ein immens schwieriger Tag für die Familie.“

Als die Staatsanwältin Silke Naumann die Anklageschrift verliest, senkt Olaf H. beim Vorwurf des sexuellen Missbrauchs kurz den Blick. Er ist wegen Mordes, Freiheitsberaubung, sexuellem Missbrauch von Kindern und sexueller Nötigung angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, am Tatabend kurz vor 22 Uhr Mirco auf dessen Heimweg vor dem Ortseingang Grefrath angehalten und entführt zu haben. Danach sei er mit ihm zu einem Ackergrundstück gefahren, um ihn dort zu missbrauchen. Weil er sich über eine ausbleibende Erektion geärgert habe und die Tat vertuschen wolle, habe er nach Auffassung der Staatsanwaltschaft den Jungen erdrosselt und anschließend mit einem Messer in den Hals gestochen.

„Die Vorwürfe der Anklageschrift sind im Wesentlichen richtig.“ äußert sein Verteidiger Gerd Meister. Zu Prozessbeginn lobte der Strafverteidiger von Olaf H. auch die „sehr gute polizeiliche Arbeit“. „Nach allem was mir bekannt wurde, ist fair ermittelt worden. Die Beweislage ist vernichtend.“ Olaf H. bekennt sich über seinen Anwalt zu dem Mord an Mirco. „Er äußert sich nicht selbst, da er psychisch nicht dazu in der Lage ist.“ erklärt Gerd Meister.

Der Angeklagte sei suizidgefährdet. Er habe sich durch die Tat selbst aus der Gesellschaft ausgeschlossen, übernehme aber die Verantwortung auch mit Hinblick auf die Familie des Opfers. Der Angeklagte werde sich aber nicht bei der Familie entschuldigen, da seine Tat unentschuldbar sei. Der Anwalt erklärt, in welchen Punkten Olaf H. von den Vorwürfen der Anklage abweicht:

„Mein Mandant räumt ein, dass er unterschwellige sexuelle Handlungen an Mirco vornahm und dann gemerkt hat, dass das „überhaupt nicht sein Ding“ ist. Um die vorangegangenen Taten zu verbergen entschloss er sich, Mirco zu töten, nicht wegen einer ausgebliebenen Erektion.“ Er sei am Ende der polizeilichen Vernehmungen „fertig“ gewesen und habe daher fälschlicherweise zugegeben, Mirco ermordet zu haben, weil er über die ausgebliebene Erektion verärgert gewesen sei. Auch habe er dem erdrosselten Jungen nicht das Messer in den Hals gestochen. Verschiedene Möglichkeiten seien ihm vorgegeben worden und er habe darauf entsprechend geantwortet.

Über den Tathergang machte der Beschuldigte während der polizeilichen Vernehmungen verschiedene Angaben. „Dieser Fall ist eine besondere Herausforderung, auch für die Verteidigung. Hinter uns liegt ein langer und schwieriger Diskussionsprozess, der auch noch immer andauert.“ Als Gerd Meister den Fall übernahm, gab es bereits ca. 50 Seiten von verschiedenen Varianten des Geständnisses.

„Es ist die Aufgabe der Verteidigung, die Geständnisse kritisch zu betrachten und die Geständnisvarianten auf Plausibilität zu überprüfen.“ Der Strafverteidiger sehe seine Aufgabe auch darin, seinen Mandanten vor einer Vorverurteilung zu schützen, bekundet aber, sein Mandant müsse sich selbst die Tat eingestehen. „Er wird daran mitwirken, die verschiedenen Angaben im Zuge des Verfahrens aufzuklären.“

Stundenlang verlas der Vorsitzende Richter Herbert Luczak die Vernehmungsprotokolle der Polizei. Immer wieder änderte Olaf H. darin die Angaben zum Tathergang. Einmal will er Mirco zufällig begegnet sein, dann wollte er ihn nur beruhigen und schließlich gab er an, ihn entführt, sexuelle Handlungen vollzogen und den Jungen anschließend ermordet zu haben. Er gab in seiner letzten Vernehmung Anfang Februar an, sehr bestürzt über den Tod seines Opfers gewesen zu sein.

Die Situation habe ihn an den eigenen Sohn erinnert. Er habe geweint und die Leiche nicht im dunklen Wald zurücklassen wollen. Sie sei aber schwer gewesen. Er habe sich dann bei Mirco entschuldigt und ihm erklärt, warum er ihn dort lassen müsse. Er habe das Vaterunser gebetet und Mirco wenige Meter von seinem Fahrzeug abgelegt. Der Angeklagte bedankte sich während der Vernehmungen mehrfach bei den Beamten wegen der guten Versorgung. Unter ein Protokoll schrieb er: „Vielen Dank“.

Während der Sitzungspause sind aus den Zuschauerreihen Beschimpfungen gegen den mutmaßlichen Täter zu hören. Der Vorsitzende Richter Herbert Luczak bekommt die Situation schnell unter Kontrolle. Die Gemüter sind gemischt. Manche Zuschauer empfinden das zwischenzeitliche Grinsen des Olaf H. befremdlich, andere halten es für unsicher oder emotionslos. Der 68-jährige psychologische Gutachter Dr. Martin Albrecht liest nach der Pause eine weitere Variante des Tatabends vor, die der Angeklagte ihm geschildert habe. Demnach schwört Olaf H. beim Leben seiner Tochter, keine sexuellen Handlungen am Opfer vorgenommen zu habe. Er mache der Polizei auch keinen Vorwurf, da er dort etwas anderes angegeben habe.

Die Verteidigung bemängelt, dass in der Schilderung des Gutachters auf den angeblichen Missbrauch des damals 13-jährigen Angeklagten nicht eingegangen worden sei. Es ließe sich vermutlich zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr beweisen, ob die Angabe richtig sei, allerdings kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass ein sexueller Übergriff tatsächlich stattgefunden habe.

Der Vorsitzende Richter gibt an, es sei Aufgabe des Gerichtes festzustellen, ob eine besondere Schwere der Schuld vorläge. In diesem Fall kann Olaf H. nicht mit einer vorzeitigen Entlassung nach 15 Jahren rechnen. Diese als allgemein bekannte „Entlassung wegen guter Führung“ habe tatsächlich nichts mit dem Verhalten des Verurteilten während seiner Haft zu tun, sondern einzig und allein damit, ob von dem Täter weitere Straftaten zu befürchten sind.

Zum Ende des Prozesstages stellt Richter Herbert Luczak mehrere Fragen: Warum gab Olaf H. an, mit seinem Vorgesetzten gesprochen zu haben? Er wolle wissen, warum der Angeklagte rund 200 km herum gefahren sei und warum er unterschiedliche Angaben bezüglich der befahrenen Strecke gemacht habe. Luczak fragt, warum Olaf H. über Kempen gefahren sei, in Oedt gewendet habe und anschließend wieder Richtung Grefrath gefahren sei und an der Traktoreinfahrt vor Grefrath geparkt habe.

Der Richter wies darauf hin, dass nach dem Aussageverweigerungsrecht aus dem Schweigen eines Angeklagten grundsätzlich keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden dürfen. Im vorliegenden Fall habe sich der Angeklagte aber bereits auf die Beantwortung von Fragen und teilweise geständige Aussagen eingelassen und könne sich jetzt nicht mehr darauf berufen, dass aus einer etwaigen Nichtbeantwortung dieser Fragen keine Rückschlüsse gezogen würden

Sofern der Angeklagte therapiebedürftige Probleme habe, wäre es ratsam, diese im Zuge der Sitzungen zu offenbaren und sich dazu zu bekennen, gab Luczak zu bedenken. Die Gelegenheit, mit seinem Anwalt darüber zu besprechen, hat er am heutigen Mittwoch. Die Verhandlung wurde ausgesetzt. Am Donnerstag beginnt die Vernehmung der Zeugen. Vermutlich wird dann auch Mircos Mutter aussagen. Ein Urteil wird nach derzeitiger Planung Ende September erwartet.

2. Prozesstag: Würdevoller Auftritt vor Gericht

Krefeld, 14.07.2011 Wieder ist ein großer Andrang vor dem Sitzungssaal 167 am Landgericht Krefeld. Reinhard S., Mircos Vater, sitzt im Saal als Nebenkläger. Seine Frau wird später als Zeugin aussagen. Der Angeklagte Olaf H. wird unter laufenden Kameras und aufblitzenden Fotoapparaten in den Raum geführt. Noch hält er sich ein aufgeschlagenes Ringbuch vor den Kopf, trägt eine Sonnenbrille und eine Baseballcap.

Als die Fotografen und Kamerateams den Saal verlassen, nimmt er seinen Kopfschutz ab und schaut zu Rainer S. Zu Beginn liest der Vorsitzende Richter Herbert Luczak eine Email von Olaf H. an seine Arbeitskollegen vom 3. September 2010 um 8:40 Uhr vor. Dort teilt der Angeklagte mit, dass seine Teilnahme an einer Telefonkonferenz „wahrscheinlich heute auch nicht funktionieren wird.“ Für die Rekonstruierung des Tattages und eines möglichen Tatmotives sei dies wichtig, so der Richter.

Der berufliche und private Werdegang des Angeklagten wird aufgearbeitet. Als der Strafverteidiger Gerd Meister mitteilt, Olaf H. werde selbst dazu an dieser Stelle keine Angaben machen, da der polizeilich aktenkundige Lebenslauf die Details im Wesentlichen wiedergibt, folgen Zwischenrufe aus dem Publikum. Richter Luczak erklärt ruhig, dass er keine Störungen dulde und der Angeklagte das Recht habe, sich persönlich zu äußeren oder auch nicht.

Danach erfolgt eine ausführliche Beschreibung darüber, wo Olaf H. wohnte, wann er heiratete und geschieden wurde und wann welche Kinder geboren wurden. Der Angeklagte erlernte nach dem Realschulabschluss den Beruf des Fernmeldehandwerkers, welches ein ehemaliger Ausbildungsberuf bei der Deutschen Bundespost war. Er hat danach verschiedene Tätigkeiten ausgeübt und sich mit einer Prüfung für den mittleren Dienst qualifiziert. Bevor er am 1. Oktober 2010 versetzt wurde, war er als Leiter Auftrags- und Projektmanagement fast fünf Jahre lang für ca. 150 Mitarbeiter verantwortlich. Seit Oktober letzten Jahres war er als Worforce Manager im internen Controlling eines Bonner Telekommunikationsunternehmens beschäftigt

Olaf H. ist in keinem Verein und betreibt keinen regelmäßigen Sport. Sein Hobby sind die Familie und sein Garten. Gelegentlich angelt er. Er liest Science Fiction, Mistery und Harry Potter. Sein Fahrzeug betrachtet er als reinen Nutzgegenstand. Sein erstes Firmenfahrzeug war der VW Passat aus dem Jahr 2007, mit dem er auch am 3. September 2010 unterwegs war. Laut polizeilichem Lebenslauf hat der Angeklagte keine Drogen oder Medikamente genommen. Gelegentlich trinkt er ein Bier, raucht ein bis eineinhalb Schachteln Zigaretten am Tag und trinkt viel Kaffee. Er leidet unter ständigen Magenschmerzen und sei damit in hausärztlicher Behandlung.

Auf die Frage der Vernehmungsbeamten, wann er das letzte Mal in Grefrath gewesen sei, antwortete Olaf H. in der polizeilichen Vernehmung: „Keine Ahnung.“ Während der Werdegang von Olaf H. vor Gericht durchgegangen wird, fragt der Vorsitzende Richter den Angeklagten, ob er noch verheiratet sei. Dieser nickt kurz. Dann teilt ihm Richter Luczak mit, dass die Scheidung nach seinem Kenntnisstand bereits ausgesprochen wurde. Olaf H. schaut verlegen und hebt leicht die Schultern.

Jetzt steht die Aussage der 35-jährigen Mutter des Opfers, Sandra S., bevor. Die Aufregung im Saal ist zu spüren. Es dauert, bis sie durch die Sicherheitskontrolle am Einlass kommt. Sie wird genauestens überprüft, bevor sie äußerlich gefasst den Sitzungsaal betritt und nur wenige Meter vom mutmaßlichen Täter vor den Richtern Platz nimmt. Ihr jüngerer Bruder steht ihr zu Seite. Er sitzt wie ein Puffer zwischen Mutter, Verteidigung und Angeklagtem. Als ein zweiter Stuhl hinter das Zeugenpult gestellt wird, schaut Olaf H. einmal kurz in Richtung des Publikums.

Der Vorsitzende Richter Luczak erklärt, warum die Aussage von Sandra S. für das Verfahren wichtig sei: „Für die Tatfeststellung ist das von Bedeutung.“ Anhand der Verhaltensmuster von Mirco wird überprüft, welche Angaben des Angeklagten bezüglich des Tathergangs zutreffen könnten. Luczak weist die Verkäuferin aus Grefrath darauf hin, dass sie die Befragungen jederzeit unterbrechen kann. Sie kann sich mit ihrem Mann oder ihrer Anwältin besprechen und sich Zeit für die Antworten lassen.

Sandra S. antwortet auf die Fragen des Richters, wie Mirco war, mit ruhiger und fester Stimme: „Mirco war ein recht lebhaftes Kind, offenherzig und hilfsbereit. Er war sehr fein im Umgang mit schwierigen Kindern.“ Die Antworten kommen spontan und authentisch. Olaf H. hört genau zu und schaut Sandra S. dabei an. Auf die Frage, ob Mirco ein ängstlicher Junge war, antwortet Sandra S.: „Mirco hat selten Angst gezeigt.“ Er habe keine Scheu gezeigt, Wegstrecken allein zu fahren. Er war flott unterwegs. „Einmal ist er aus dem Auto angeschrien worden, aber er ist einfach weiter gegangen. Das hat er dann kurz Zuhause erzählt. Er hat nie viele Details erzählt. Man musste es ihm aus der Nase ziehen.“

„In der Schule hat Mirco geschaut ob es gerecht zugeht.“ sagt Sandra S. „Da ist er schon mal mit dem Lehrer angeeckt.“ Mirco konnte sich aber auch gut zurückziehen. „Wenn es mal Streit gab, dann konnte er schon mal aufbrausend werden. Er hat dann einmal alles abgelassen und sich dann zurück gezogen.“ Als Richter Luczak fragt: „Hat er schon mal hysterisch geschrien?“ überlegt die Mutter kurz: „Nein, eigentlich nicht. Ich habe das nicht erlebt.“

Der Vorsitzende fragt nach Mircos Verhältnis zu seinem Fahrrad, welches er im Juni 2010 bekommen hat. Sandra S. antwortet: „Das war ihm sehr wichtig. Er hat es teils vom eigenen Geld bezahlt. Er hat dafür gekämpft. Mit Engelszungen hat er auf uns eingeredet.“ Mirco hat sein Fahrrad nie allein gelassen, erzählt seine Mutter weiter. „Mirco und sein Fahrrad waren eine Einheit.“

Ob Mirco ängstlich war, wenn es dunkel ist, möchte Herbert Luczak wissen. „Mirco war noch nie allein im Dunkeln unterwegs.“ sagt seine Mutter und auch, dass er schon mal Angst hatte, wenn es dunkel war. Am Tag als er verschwand sollte er um 19 Uhr Zuhause sein. „Und sei pünktlich!“ rief ihm Sandra S. noch hinterher. Normalerweise hat Mirco per Handy Bescheid gegeben, wenn es später wurde.

„Hatte Mirco Angst davor, zu spät nach Hause zu kommen?“ fragt der Richter. „Es gab eine Standpauke, aber nie Stubenarrest.“ antwortet Sandra S. Richter Luczak fragt: „Wie war Mircos Ausdrucksweise, wenn er mal austreten musste?“. „Ich muss mal Pipi.“ folgte prompt. Auf die Frage, ob Mirco ordentlich war und wie er seine Kleindung ausgezogen hatte, sagte Sandra S.: „Er hat sie immer ordentlich über den Stuhl gehängt. Sie war nicht auf links gedreht.“ Alles in allem sei Mirco „taff, wenig ängstlich“ gewesen. Er war immer in Bewegung, hat Leben ins Haus gebracht. „Das fehlt jetzt sehr.“

Der psychologische Gutachter Dr. Martin Albrecht fragt die Zeugin, ob Mirco seinem Alter entsprechend, jünger oder älter aussah. „Das ist schwer zu beurteilen.“ äußert Sandra S. „Eher älter, vielleicht so 12.“ Als keine weiteren Fragen von der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung kommen, beendet Richter Luczak die Zeugenvernehmung. Er bedankt sich und weist auf das Recht der Nebenkläger hin, an der Sitzung teilnehmen zu dürfen. Zum Schluss wünscht er „alles Gute.“

Sandra S. und ihr Bruder nehmen neben Reinhard S. Platz. Die Sitzung wird pausiert. Während der Pause äußern sich die Zuschauer: „Der Auftritt der Mutter war sehr bewegend.“, „Sie ist eine starke Frau. Ich könnte das nicht.“ und „Das war ein würdevoller Auftritt.“ Manche wundern sich darüber, wie scheinbar gelassen die Eltern auf sie wirken. Familie S., die der Freikirchlichen Pfingstgemeinde angehört, findet im Glauben ihre Kraft. Als Sandra S. erfuhr, dass sie als Zeugin geladen ist, sagte sie: „Das fällt mir echt schwer.“ Ihre Last hat sie an Gott gegeben. „Das ist das, was uns noch in der Bahn hält. Sonst würde man es gar nicht aushalten.“ sagt sie in einem Interview dem WDR kurz vor Prozessbeginn.

Die Anwältin der Nebenkläger, Gabriele Reinartz bekundet: „Natürlich ist es so, dass dieser Tag heute für die Eltern immens bedrückend ist. Die Eltern haben aber für sich auch den Anspruch, den Angeklagten von Angesicht zu Angesicht zu sehen.“ Das seien sie ihrem Kind schuldig. Nach der Pause werden die Kinder verhört, die Mirco zuletzt gesehen haben. Sie erzählen detailliert, wie sie ihren letzten Tag mit Mirco verbrachten.

Richter Luczak geht dabei sehr einfühlsam vor und erklärt den Kindern, warum er sie als Zeugen vor Gericht belehren muss. Olaf H. hört den Zeugen genau zu. Zwischendurch runzelt er leicht die Stirn, senkt den Blick und schaut beschämt zu den Nebenklägern rüber. Die letzten Worte von einer Freundin an Mirco sind: „Mirco es ist dunkel. Fahr‘ bitte sofort nach Hause. Deine Mama hat schon angerufen.“ Mirco sagt „Tschö“ und fährt los. Der Vorsitzende appelliert noch einmal an den Angeklagten, wenn es etwas zu offenbaren gäbe, dies doch bitte im Laufe des Verfahrens gegenüber Dr. Albrecht zu tun. Die Eltern möchten Gewissheit haben und möchten verstehen, warum das geschehen ist. Er erklärt, warum es in der Zeugenbefragung gegenüber Sandra S. keine persönlichere Ansprache gab: „Per Gesetz ist jedes Menschenleben gleich viel wert. Natürlich leiden die Eltern. Das darf aber im Strafverfahren keine Rolle spielen. Es geht darum, den Fall zu beurteilen. Darüber hinaus verbietet es das Gesetz, persönliche Dinge zu besprechen.“

Der Strafverteidiger Gerd Meister erklärt in einer Sitzungspause, sein Mandant weine sehr viel. „Für mich ist das ein gutes Zeichen.“ Olaf H. hatte große Angst vor dem Zusammentreffen mit Mircos Eltern. Er habe sich vorgestellt, wie es sei, wenn die Rollen vertauscht wären. Es täte ihm alles sehr leid. Er könne selbst kaum fassen, was er getan habe. „Er braucht noch Zeit, um sich seiner Tat bewusst zu werden. Das kann Jahre dauern.“

Die Anwältin der Eheleute S., Gabriele Reinartz, sagt nach der Zeugenaussage von Sandra S.: „Die Situation war für die Eltern sehr belastend.“ Im WDR-Interview sagte Sandra S. vor dem Prozess: „Man hat oft zu hören gekriegt, den sollte man auf den Marktplatz stellen und dann gib im Saures. Da waren wir diejenigen, die gesagt haben: Halt, Stop. Da macht ihr euch ja selbst noch mit schuldig. Da gibt es schon die gerechte Strafe für. Wir wollen auch, dass er seine Strafe bekommt.“

Auch Ingo Thiel, Leiter der SoKo-Mirco sitzt wieder unter den Zuschauern. Nach der Ergreifung des mutmaßlichen Täters sagte er im WDR-Interview: „Der Täter ist mir egal. Ich habe keinen Hass. Verspüre keine tiefgründige Abneigung. Der Mensch ist mir egal. Es war eine feige Tat.“ Jetzt ist er Prozessbeobachter der Polizei Mönchengladbach und wird vermutlich zu allen Sitzungen anwesend sein.

Nach der Sitzungspause werden administrative Punkte geklärt, bevor der Finder des Fahrrades in Einzelheiten erläutert, wie er Mircos Fahrrad am 4. September 2010 morgens gefunden, es mit seinem Sohn geputzt und es später der Polizei übergeben hat. Zwei weitere Zeugen geben an, was sie am Tatabend am Ort von Mircos Verschwinden wahrgenommen haben. Sie erzählen von einem Licht, dass erst auf dem Radweg zu sehen war und dann in der Feldeinfahrt verschwand. Einer der Zeugen gibt an, beim Vorbeifahren einen Kombi erkannt zu haben. Der andere Zeuge sagt aus, die „markanten Heckleuchten“ eines VW Passat Kombi der neueren Baureihe wahrgenommen zu haben. Die Zeugenvernehmung ist für heute beendet.

„An dem Termin im August werden keine Zeugen verhört.“ erörtert Richter Luczak kurz. Strafverteidiger Gerd Meister stehe den gesamten August nicht zur Verfügung. Einen Termin musste er dennoch ansetzen. „Alle drei Wochen muss spätestens ein Folgetermin kommen.“ Das ist Vorschrift. „Mir ist es wichtig, der Öffentlichkeit klar zu machen, warum wir etwas tun oder nicht tun.“ Im August werden ergänzende Aussagen zu den Gutachten gemacht, Gerd Meister schickt eine Vertretung. Die nächsten Sitzungstermine am Landgericht Krefeld sind am 29. Juli, 12. August und 2. September.

3. Prozesstag: Richter kritisiert Angaben zum Tathergang

Krefeld, Am Freitag dem 29. Juli wird der Prozess gegen den mehrfachen Familienvater Olaf H. vor dem Landgericht in Krefeld fortgesetzt. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, den damals 10-jährigen Mirco aus Grefrath am 3. September 2010 entführt, missbraucht und ermordet zu haben. Der mutmaßliche Täter ist geständig. Genaue Einzelheiten zu den Tatumständen bleiben weiterhin unklar.

Es ist ruhiger geworden vor dem Sitzungssaal 167. Das Presseaufgebot ist nicht mehr ganz so intensiv wie an den ersten beiden Verhandlungstagen. Das Interesse der Öffentlichkeit bleibt stark. Zahlreiche Zuschauer warten auf Einlass in den vollen Gerichtssaal. Als der Vorsitzende Richter Herbert Luczak kurz nach 9 Uhr die Sitzung eröffnet, bittet der Strafverteidiger Gerd Meister im Namen seines Mandanten darum, ob dieser sich nach vorn neben den Verteidiger setzen dürfe. Luczak lehnt diese Bitte aus Sicherheitsgründen mit dem Hinweis auf die jüngsten Attentate in Norwegen ab. „Bitte verstehen Sie das nicht falsch. Ich möchte niemandem etwas unterstellen.“ fügt er noch mit Blick auf das Publikum hinzu.

Zuerst werden zwei Zeuginnen gehört, die schildern, was sie am Abend von Mircos Verschwinden wahrnahmen. Eine Zeugin will bemerkt haben, dass ihr ein rückwärts eingeparkter Kombi am Ort Mircos Verschwindens, dem so genannten „Abgreifort“, bereits um 19:30 Uhr aufgefallen sei. Sie gibt an, dass es sich für sie um einen dunklen Kombi gehandelt habe. Aus polizeilichen Ermittlungen ist bekannt, dass Mirco erst gegen 22 Uhr auf seinen Mörder traf. Die Lichtverhältnisse waren den Angaben der Zeugin zufolge schummerig. Sie konnte weder eine Person noch Licht am Fahrzeug erkennen. An der gleichen Stelle bemerkte sie am Morgen des Folgetages gegen 7:30 Uhr Mircos Fahrrad.

Einer weiteren Zeugin sei nichts aufgefallen, als sie gegen 22 Uhr zum Tatzeitpunkt den Tatort passierte. Am nächsten Morgen sah sie an gleicher Stelle gegen 8 Uhr einen silbernen Kombi und einen Mann. Am vorherigen Verhandlungstag sagte ein Zeuge aus, er habe Mircos Fahrrad zwischen 8:00 und 8:45 Uhr mitgenommen. Wieder fragt Richter Luczak was es mit dem Messer auf sich hat. Dazu schilderte Olaf H. verschiedene Versionen während der polizeilichen Vernehmungen. Als sein Strafverteidiger bekannt gibt: „Herr H. wird heute überhaupt nichts dazu sagen.“ schaut sein Mandant mit leicht gerunzelter Stirn auf Gerd Meister.

„Das ist sein gutes Recht.“ erwidert der Vorsitzende, räumt aber ein, dem Angeklagten die Möglichkeit eröffnen zu wollen, sich persönlich zu äußern. Gerd Meister lässt seinen Mandanten nicht selbst reden: „Ich werde ihn nicht sprechen lassen. Es ist ja ganz klar was dann passiert. Man wird versuchen, ihn auseinander zu nehmen und das wird so oder so gelingen.“ sagt er später im Interview.

Erneut richtet Luczak eine Frage an Olaf H.: „Einige Stunden vor der Tat stand am Tatort ein Fahrzeug. War das Ihr Fahrzeug?“ Wie an allen Verhandlungstagen appelliert Luczak auch heute an den mutmaßlichen Täter, sich zu offenbaren und seinen widersprüchlichen Einlassungen neue Erkenntnisse folgen zu lassen. Das sei wichtig für die strafrechtliche Bedeutung und auch hinsichtlich einer Beurteilung, ob eine besondere Schwere der Schuld vorläge. Mit Hinblick auf das zu erwartende Strafmaß sei es sinnvoll, therapiebedürftige Probleme während der Hauptverhandlungen anzusprechen. Er führt fort: „Sie können den Eltern Sicherheit darüber geben, was mit Mirco passiert ist und warum es geschehen ist.“

Der Kriminalbeamte Jürgen Koch verhörte als einer der ersten den Angeklagten. Richter Luczak möchte wissen: „Was lag vor, dass Sie auf Herrn H. gekommen sind?“ Koch antwortet: „Durch Verkehrsdaten und Handydaten sind wir auf ihn aufmerksam geworden. Am 24. Januar bekamen wir die Nachricht, dass die Faserspuren seines Passats mit Spuren von Mircos Kleidung überein stimmen.“ Der Kriminalbeamte erinnert sich noch an große Teile der Vernehmungen und schildert grob deren Gang:

„Es gab verschiedene Varianten der Tat, einzelner Tathandlungen und weiterer Abläufe. Ich hatte den Eindruck, dass wir uns im Laufe der Vernehmungen immer mehr annäherten. Die letzte Vernehmung gibt die Tathandlungen am ehesten wieder. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass nicht alles gesagt wurde.“ Koch schildert, wie ihn die distanzierte und emotionslose Beschreibung des Angeklagten überrascht habe.

Luczak kommt auf die Kunststoffschnüre zu sprechen, mit denen Olaf H. sein Opfer erdrosselt haben soll.

Er spricht über das Messer, dass der Angeklagte nach einer Aussage während der polizeilichen Vernehmungen in den Hals und das Bein der Leiche gestochen haben soll und welches nie gefunden wurde. Diese Aussage wurde vom mutmaßlichen Täter bereits in der ersten Sitzung revidiert. Strafverteidiger Gerd Meister fragt: „Wie kam die Schnur ins Spiel?“ Dabei lobt er die sehr gute Atmosphäre der Vernehmungen und weist darauf hin, dass die Frage nicht als Kritik zu verstehen sei.

Koch antwortet, dass Olaf H. von selbst darauf zu sprechen kam, es sich nicht um eine vorgegebene Variante handelte. Auf Wunsch des Angeklagten sei zu diesem Zeitpunkt die Vernehmung abgebrochen und am folgenden Tag fortgesetzt worden. „Die Tatschilderung an diesem Tag war außergewöhnlich.“ so Koch. „Olaf H. wollte nicht unterbrochen werden, hat überlegt formuliert und sich selbst verbessert. Er wirkte distanziert, unbeteiligt und emotionslos.“ Ob an diesem Tag zuvor etwas vorgefallen sei will Gerd Meister wissen. Koch erwidert: „H. hat sich am Handgelenk geschnitten. Laut H. war es kein Suizidversuch, sondern ein Hilferuf an sich selbst. Er wollte keine psychologische Hilfe.“

Als der Vorsitzende Richter nach dem Grund zur Tötung des Jungen fragt, sagt Koch aus, Olaf H. habe angegeben, nicht homosexuell zu sein und es habe keine sexuelle Motivation gegeben. „Er sprach von „die Oberhand zu haben“, „Der tut was ich sage.“ und von Macht. H. wollte sich „rantasten“.“ Luczak präzisiert seine Frage: „Haben Sie es so verstanden, dass der Grund für die Tötung eine ausgebliebene Erektion war?“ „Nein,“ sagt Koch „um die voran gegangenen Straftaten zu verdecken.“

Der psychologische Gutachter Dr. Martin Albrecht möchte wissen, ob es beim Ausziehen der Kleidung darum ging, Spuren zu verwischen und ob Koch sich an die Aussageentwicklung erinnern könne. Der Kriminalbeamte schildert ausführlich, wie Olaf H. in den ersten Vernehmungen angab, Mirco am Parkplatz Heitzerend gefunden zu haben, dann wie er ihn am Ablageort wegen der eingenässten Hose aufgefordert habe, sich auszuziehen und schließlich erschrocken darüber gewesen sei, dass der Junge sich komplett ausgezogen habe.

Gerd Meister weist darauf hin, dass Olaf H. in den Vernehmungsprotokollen angegeben habe, „Das bin doch nicht ich.“ sich die Hand vor Augen hielt und dachte: „Das darf doch nicht wahr sein.“ Koch begegnet: „Das wurde uns so vorgegeben. Es war sehr emotionslos.“ Mehrfach schaut Olaf H. in Richtung Publikum, wenn jemand den Raum betritt oder verlässt. Er scheint heute etwas sicherer. Sein Blick ist leer. Die Augen sind geschwollen. Wenn er mit seinem Strafverteidiger spricht, huscht ein scheinbar verlegen wirkendes Lächeln über sein Gesicht.

Richter Luczak geht es um die Hinweisschilder, welche Olaf H. gesehen und auch übersehen hat. Koch beteuert, dass der Angeklagte sich während der Vernehmungen an keine Straßennamen und -bezeichnungen erinnern konnte, aber genau wusste, wohin welche Straßen führen. Der Vorsitzende gibt sich etwas verwundert, warum der mutmaßliche Täter sich einerseits detailliert an Straßenschilder erinnern kann, aber andererseits ein eindeutiges Hinweisschild Richtung Nettetal mit Angabe der Bundesstraßenbezeichnung übersehen und so einen „Schlenker über Oedt“ gemacht habe.

Koch erläutert, warum Olaf H. die Kleidung des Jungen entlang der L39 und dem Parkplatz Heitzerend verstreut hat: „Er wollte die Sachen nicht auf einem Haufen entsorgen. Jemand hätte annehmen können, dass etwas passiert sei.“ Der Kriminalbeamte gab an, der Angeklagte habe sie zielorientiert zur Leiche geführt. Das ausgewertete Bewegungsprofil decke sich mit Olaf H.‘s Angaben. Auch am Leichenfundort sei der mutmaßliche Täter emotionslos gewesen. Gerd Meister wirft ein, dass Kochs Bewertung Olaf H. sei emotionslos subjektiv sei und weist explizit darauf hin, dass Koch ebenfalls anwesend war, als der Angeklagte weinend zusammen brach, geschluchzt und gezittert habe. Richter Luczak wertet diesen Einwand als berechtigt.

Die Video Sequenz der SoKo Mirco, welche die vermeintliche Fahrtstrecke des Angeklagten am 3. September letzten Jahres von Kempen bis zum Abgreifort nachstellt, wird in Anwesenheit der Zeugen Koch und Mario Eckartz, dem stellvertretenden Leiter der SoKo Mirco, der auch zu den polizeilichen Vernehmungen anwesend war, in Anschein genommen. Zwischendurch stellt der Vorsitzende Richter Luczak weitere Fragen. Schließlich regt er Koch und Eckartz dazu an, sich Gedanken darüber zu machen, ob die von Olaf H. gefahrene Strecke zwischen Abgreifort und Ablageort die kürzeste Strecke sei.

Luczak möchte wissen, warum Olaf H. an der Hauptstraße in Oedt gehalten habe, obwohl er doch einen Ort zum austreten suchte und ob es sein könne, dass der Angeklagte bereits hier auf Mirco aufmerksam war. Diese Frage bleibt ebenso offen wie viele andere. Nicht nur für die Richter bleiben viele Fragezeichen: „Er hat das doch alles geplant. Dieses selbstgefällige, arrogante Grinsen ist kaum zu ertragen.“ äußert eine Zuschauerin. „Ich kann nicht glauben, dass ein langjähriger Telekommitarbeiter und gelernter Fernmeldehandwerker sein Mobiltelefon vor einer geplanten Tat nicht ausschaltet.“ äußert eine andere. „Er ist viele Risiken eingegangen, die für mich logisch nicht nachvollziehbar sind.“

Olaf H.‘s Strafverteidiger Gerd Meister sagt über seinen Mandanten: „Ich habe selber noch kein klares Bild und würde mir von einem weiteren psychologischen Gutachten erhoffen, dass das zur Aufklärung beiträgt.“ Gabriele Reinartz die Anwältin der Nebenkläger und Eltern von Mirco bestätigt: Nichts ist schlimmer als die Ungewissheit zu haben, wie sich diese Tat ereignet hat.“

Die Richter werden sich erst in ihrer Schlussbesprechung auf einen Tathergang festlegen. Olaf H. hat noch die Gelegenheit, seine bisherigen Angaben zu erweitern. Sollte er weiterhin schweigen, kann dies zu erheblichen Konsequenzen führen (siehe vorherige Berichte). Die nächste Sitzung findet am 12. August statt. Es ist geplant, Urkunden zu den Gutachten zu verlesen. Da der Strafverteidiger Meister den gesamten August nicht verfügbar ist, werden die Verhandlungen mit weiteren Zeugenaussagen im September fortgesetzt.

4. Prozesstag: Verlesen von Gutachten

Krefeld, 12. August 2011 – Autorin nicht anwesend

5. Prozesstag: Olaf H. zeigt emotionale Regungen

Krefeld, 02.09.2011 Nach dreiwöchiger Pause wird der Prozess gegen Olaf H. vor dem Landgericht in Krefeld fortgesetzt. Insgesamt sollen 26 Zeugen aus dem persönlichen und beruflichen Umfeld des Angeklagten vernommen werden. Gabriele Reinartz, die Anwältin der Nebenklage hat für heute einen Vertreter gesandt. Die Eltern des ermordeten Opfers, Sandra und Reinhard S. sind nicht anwesend.

Der Vorsitzende Richter Luczak bittet die anwesende Presse aus Schutz der Privatsphäre der Angehörigen und aufgrund der Bitte einiger Zeugen mit der Nennung von Namen zurückhaltend zu sein. (Anmerkung der Journalistin: Um die Privatsphäre der Zeugen zu gewährleisten, verzichte ich auf die Angabe persönlicher Daten in diesem Bericht komplett, sofern sie nicht bereits öffentlich bekannt sind.)

Die letzte geschiedene Frau des Angeklagten betritt in Begleitung eines Mitarbeiters des „Weisser Ring“ als erste Zeugin den Sitzungssaal 167 am Krefelder Landgericht. Nach der Zeugenbelehrung und Feststellung der Identität beginnt Luczak mit der Frage: „Wo haben Sie Olaf H kennen gelernt und wann sind Sie zusammen gezogen?“ Sie atmet einige Male tief durch, bevor sie auf die Fragen des Richters eingehen kann. „Kennen gelernt habe ich Olaf mit ca. 12 – 13 Jahren.“ äußert die 33-jährige. Sie sei mit ihm im April 2001 zusammen gekommen und habe ihn im Jahr 2004 geheiratet. Im Februar 2008 wurde ihre gemeinsame Tochter geboren. Seit Juli 2011 sei sie von dem Angeklagten rechtskräftig geschieden.

Auf die Frage des Vorsitzenden: „Was war Olaf H. für ein Mensch?“ antwortet die Ex-Ehefrau: „Er ist ein Familienmensch für den Familie alles ist. Er ist ruhig, ausgeglichen und immer hilfsbereit.“ Auf die Frage nach seinen Interessen gibt sie an: „Familie, Garten, Angeln.“ In Krisensituationen sei er ruhig geblieben, habe geantwortet: „Das schaffen wir schon.“ Als der Vater des Angeklagten vor einigen Jahren unerwartet verstarb, sei Olaf H. anfangs etwas aus der Bahn geworfen. „Er hat dann angefangen zu weinen.“

Die Beziehung von Olaf H. zu seinem Vater beschrieb die Ex-Ehefrau als besonders eng. „Nach einer Weile ist er gut damit klar gekommen. Ich habe den Eindruck, die Geburt der Kleinen hat ihm geholfen, über den Tod des Vaters hinweg zu kommen.“ beschreibt sie. „Wie war die berufliche Situation?“ will Luczak wissen, insbesondere, wie Olaf H. sich dabei gefühlt habe. „Er hat seinen Job gerne gemacht. Teilweise war es aber auch richtig stressig.“ Sie schildert, wie ihr damaliger Ehemann durch seinen Chef in München sehr gestresst wirkte und ihr erzählte, dass die Meinungen häufig auseinander gingen.

Innerhalb der Familie habe sie aber keine Beeinträchtigung bemerkt. „Er hat Privatleben und den Job recht gut getrennt.“ Auf seine neue Stelle im Finanzwesen habe er sich gefreut. Ob sie im Nachherein noch Dinge bemerkt habe, die mit beruflichem Ärger im Zusammenhang stehen, möchte Luczak wissen. „Nein.“ ist die prompte Antwort. Davon, dass Olaf H. um Stress abzubauen ziellos mit dem Auto umher fuhr, wusste sie nichts. Die Frage nach der Sexualität möchte die Ex-Frau nicht öffentlich beantworten.

Nach § 171 b (1) des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) kann die Öffentlichkeit von der Befragung der Zeugin zu ihrem Sexualleben mit dem Angeklagten ausgeschlossen werden, da eine öffentliche Erörterung ihre schutzwürdigen Interessen verletzt und das öffentliche Interesse an der Beantwortung dieser einzelnen Fragen nach Auffassung des Vorsitzenden Richters Luczak in diesem Fall nicht überwiegt. Die Befragung der Zeugin zur Sexualität wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt.

Pressevertreter und Zuschauer verlassen den Raum. Nach wenigen Minuten beginnt der Einlass erneut. Es dauert knapp eine halbe Stunde, bis alle Medienvertreter und Zuschauer durch die Sicherheitsschleuse in den Saal gelangen. Die weitere Befragung der Zeugin erfolgt vor der Öffentlichkeit. Auf das Nachfragen von Richter Luczak bestätigt sie: „Es gab keine gewalttätigen Aktionen außerhalb und innerhalb der Beziehung.“

Die Frage, ob sie davon wüsste, dass der Angeklagte als Kind sexuell missbraucht wurde, verneint sie. Er sei nach der Tat nicht verhaltensauffällig gewesen. Die letzte Ex-Frau von Olaf H. erinnert sich nicht an Einzelheiten des Tattages. Mit Kollegen habe ihr Ex-Mann sich eher selten getroffen. Ob die Tochter an diesem Tag krank gewesen sei, wüsste sie nicht mehr. „Unsere Tochter war öfter krank.“ „Können sie sich an eine Reparatur bei Ihren Eltern erinnern?“ fragt der Vorsitzende. „Ja, da war etwas mit dem Strom in der Küche. Die Lichterleiste funktionierte nicht richtig.“ Olaf H. sei dort gewesen, um es zu reparieren. An einen genauen Zeitpunkt erinnere sie sich aber nicht.

Den Tag nach der Tat verbrachte der Angeklagte mit Freunden bei einem WDR Festival. „War er bedrückt, normal oder fröhlich?“ fragt Luczak weiter. Er sei völlig normal gewesen. Insgesamt habe er sich nicht anders verhalten als sonst. Nach Antritt seines neuen Jobs in der Finanzabteilung sei er fröhlicher gewesen. Auf die Frage, ob die Zeugin mit ihrem damaligen Mann über die Berichterstattung im Fall Mirco gesprochen habe, sagt sie: „Wir haben darüber gesprochen. Olaf war entsetzt. Er hat reagiert wie alle Eltern die so etwas hören. Wir sind davon ausgegangen, dass das Kind verschleppt wurde.“ Sie äußert, dass ihrem Mann und ihr zu diesem Zeitpunkt das Gebiet um Grefrath herum recht bekannt gewesen sei.

Der Vorsitzende bittet die sichtlich nervöse Zeugin nach vorn. Sie möge sich die Karte von den Fahrtwegen des Angeklagten am Tattag anschauen. Eine Strecke von der Olaf H. angab, sie nicht genau zu kennen, wurde von der Zeugin mit den Worten kommentiert: „Diese Straße sind wir ein- oder zweimal zusammen gefahren.“ Wie Olaf H. auf die Suche nach einem Passat reagiert habe, möchte der Richter wissen. „Olaf hat mich angerufen und mir erzählt, dass ein Passat gesucht wird. Er hat dabei normal und ruhig reagiert.“

Ob die Innenbeleuchtung der Türen des Passat, den der Angeklagte zum Tatzeitpunkt fuhr, beim Aufmachen der Türen automatisch angingen, wusste die Zeugin nicht mehr. Der Kindersitz befand sich gewöhnlich auf der Rückbank hinter dem Beifahrersitz. Das von Olaf H. angesprochene Tatwerkzeug, ein Küchenmesser, habe sie weder im Fahrzeug bemerkt noch eines im Haushalt vermisst. Von einer blauen Kunststoffschnur, mit welcher der Angeklagte das Opfer erdrosselt haben soll, weiß sie nichts.

Diese Schnur führte der Angeklagte nach eigener Aussage im Fahrzeug mit, um Baumaterialen transportsicher festzubinden. „Er hat immer mal wieder etwas am Haus gemacht.“ bestätigt die Zeugin. Ob das Abdeckrollo immer fest im Auto angebracht war, weiß sie nicht. Sie gibt an, der Angeklagte habe sich nicht viel aus Fußballspielen gemacht. Zur Tatzeit wurde ein Fußballspiel im Fernsehen übertragen.

Bei seiner nächsten Frage reibt sich Herbert Luczak die Stirn und denkt nach. Es geht um den geplanten Familienzuwachs von Olaf H. und seiner Frau (Anmerkung der Journalistin: Auf die Schilderung der Einzelheiten möchte ich aus zuvor genannten Gründen an dieser Stelle verzichten). Die Zeugin teilt mit, dass sich Ihr Mann darüber gefreut hätte. Die Frage nach gesundheitlichen Problemen bei den Kindern bejaht die Ex-Frau ebenso wie die Nachfrage nach einem vermeintlichen Unfall des Angeklagten beim Schneeschippen.

An Einzelheiten dazu erinnert sie sich nicht. Beim WDR-Festival sei der Passat nur notdürftig sauber gemacht worden. Alkohol oder Drogen habe Olaf H. nicht genommen. Der Kindername „Mike“ sei zwischen ihr und dem Angeklagten nicht gefallen. Den von Olaf H. in seinen Aussagen erwähnten Film „Das Parfüm“ haben beide im Sommer letzten Jahres und im Januar 2011 zusammen angeschaut. Die Initiative ginge dabei von beiden aus.

Nach der richterlichen Zeugenbefragung möchte der Strafverteidiger Gerd Meister wissen: „Haben Sie das Autotelefon auch mal benutzt? War es automatisch in Betrieb?“ Die Ex-Frau beantwortet diese Fragen mit „Ja.“ Er sei auch selten allein unterwegs. Als der Strafverteidiger einen Blick in die Akten wirft, schauen sich Olaf H. und seine Ex-Frau an. Der Angeklagte schüttelt dabei kurz den Kopf. Gerd Meister fragt die Zeugin, wie das Verhältnis des Angeklagten zu seinen Kindern sei. Das Verhältnis zu den Kindern sei gut, aber er sei auch inkonsequent, erläutert die Zeugin. „Gab es Anhaltspunkte für eine Pädophilie?“ „Nein.“ kommt von der Zeugin spontan.

Ob ihr Ex-Mann wegen weniger Sex nach der Geburt der Tochter frustriert gewesen sei, verneinte die Zeugin. „Gab es Vorfälle mit Sexvideos, die einer der Söhne auf den PC geladen hat?“ „Ja, aber das haben die beiden unter vier Augen geklärt.“ Auf die Frage vom Strafverteidiger, ob die Zeugin weiterhin Kontakt zu ihrem Ex-Mann halten würde, sagte sie: „Das kann ich jetzt noch nicht sagen.“ Richter Luczak setzt nach: „Wie hat sich der Angeklagte bei einem Streit verhalten?“ „Wir sind beide stur.“ antwortet die Zeugin.

„Uns ist aufgefallen, dass Sie Ihrem Mann zugeblinzelt haben. Das ist nicht nur mir aufgefallen, auch andere Kammermitglieder haben das bemerkt. Warum tun sie das?“ Die Zeugin erwidert: „Das hat nichts zu bedeuten.“ Dann fragt Staatsanwältin Silke Naumann noch einmal genauer nach: „Wovon hängt es ab, ob Sie zukünftig Kontakt mit dem Angeklagten halten werden?“

„Ich weiß noch nicht, wie ich damit umgehen soll, auch in Bezug auf unsere Tochter.“ Dann hakt Gerd Meister erneut nach: „Wie stehen Sie zu Ihrem Mann?“ „Die Scheidung sagt alles.“ kommt als prompte Antwort der Ex-Frau. Der Strafverteidiger fragt weiter: „Haben Sie nichts bemerkt? War die Tat persönlichkeitsfremd?“ Zeugin: „Ich habe nichts bemerkt. Es war ein Schock.“

Die Ex-Frau wird aus dem Zeugenstand entlassen. Die zweite Ex-Frau wird aufgerufen. Als sie den Saal betritt stellt Luczak bei der Feststellung der Identität fest, dass es sich um die erste Ex-Frau handelt. Geschickt erwähnt er nun, dies sei ein gutes Beispiel dafür, warum die Überprüfung der Identität so wichtig ist. Die zweite Ex-Frau von Olaf H. betritt den Zeugenstand. Begleitet wird sie ebenfalls von einem Vertreter des „Weisser Ring“. Die 44-jährige beschreibt kurz, wie sie 1991/92 den Angeklagten kennen gelernt, ihn 1994 geheiratet hat, seit 1999 von ihm getrennt lebt und 2002 die Scheidung ausgesprochen wurde.

Es existieren zwei Kinder aus dieser Ehe. Luczak bittet die Zeugin: „Beschreiben Sie uns den Angeklagten.“ Sie schaut kurz zu Olaf H. rüber und setzt an: „Er ist ein sehr liebenswürdiger Mensch. Er ist mir als Mensch wichtig, nicht nur als Ex-Mann und Vater meiner Kinder, auch als Freund und enger Vertrauter.“ Auf die zahlreichen Fragen des Richters antwortet die Ex-Frau ohne zu überlegen. Olaf H. sei während der Zeit mit ihr beruflich sehr zufrieden gewesen. Die Sexualität mit ihm war völlig normal. Es habe nichts gegeben, was aus der Rolle gefallen wäre.

Sie würde ihren Ex-Mann niemals in Verbindung mit Pädophilie bringen, auch nicht nach mehrfachem Hin- und Herüberlegen und wiederholtem Durchgehen der letzten Jahre. Der Name „Mike“ wurde nie angesprochen. Warum es zur Trennung kam, erklärt sie mit den Worten: „Olaf kann nicht gut mit Geld umgehen. Das hat mir sehr zu schaffen gemacht. Er hat viel für mich und die Kinder ausgegeben. Für sich selbst brauchte er fast gar nichts.“ Bei diesen Worten rutscht der Angeklagte auf seiner Bank hin und her und grinst breit.

„Wie hat sich der Angeklagte bei Streitigkeiten verhalten?“ möchte der Vorsitzende wissen. „Es war sehr schwierig sich mit ihm zu streiten. Man konnte ihn nicht aus der Reserve locken. Er hat dann gelacht.“ In Situationen, in denen es Ärger oder Stress gab, sei er etwas ungeduldiger geworden, aber nicht besonders auffällig. Seit der Scheidung gäbe es regelmäßig Kontakt. Der Angeklagte habe keine Veränderungen gezeigt und auch nicht darüber gesprochen. Über die Beziehung zu seiner letzten Frau habe er sich nicht geäußert.

Der Strafverteidiger fragt die Zeugin: „Warum sollte er so eine Tat begehen?“ Nachdenklich sagt die Zeugin: „Ich komme immer wieder zum gleichen Ergebnis: Nein, das passt überhaupt nicht zu ihm. Vielleicht beschützt er jemanden.“ Diese Worte sind begleitet von einem emotionalen Augenblick: Olaf H. hält sich seine Hand vor die Augen und senkt den Kopf, er weint. Als er wieder aufschaut sind noch deutlich Tränen in seinen Augen zu erkennen. Die Zeugin wird entlassen und schaut beim Hinausgehen zum Angeklagten.

Jetzt kommt die erste Ehefrau zu Wort. Sie habe Olaf H. 1985 kennen gelernt und 1988 geheiratet. Im Jahr 1991 erfolgte die Trennung und 1992 die Scheidung. „Wie war der Angeklagte aus ihrer Wahrnehmung?“ „Eigentlich okay als wir zusammen waren. Während der Trennung war es nicht in Ordnung. In unserer gemeinsamen Zeit war er sehr familiär, da kann ich nichts Gegenteiliges sagen.“ Auch in dieser Ehe habe es keine sexuellen Auffälligkeiten gegeben. „Wie kam es zur Trennung?“ will der Richter wissen. „Olaf kam nächtelang nicht nach Hause. Er hatte immer Ausreden. Die Reifen waren mehrfach zerstochen. Ich glaube, er hatte schon eine andere Beziehung.“

Als ein Zuschauer laut lacht, bittet Luczak freundlich aber bestimmt um mehr Respekt gegenüber den Zeugen und ihren Aussagen. Er fragt, wie der Angeklagte sich im Streit verhalten habe. „Er war mal jähzornig, aber nie handgreiflich.“ Die Ex-Frau verneint pädophile Neigungen. Nach der Trennung habe Olaf H. anfänglich noch seinen Sohn besucht, dann sei der Kontakt ungefähr 1997/98 eingeschlafen.

Sie erinnert sich nicht daran, mit dem Angeklagten über den Jungennamen „Mike“ gesprochen zu haben. Luczak fragt nach: „Kannten Sie Olaf H.?“ „Ich dachte eigentlich schon, dass ich ihn ganz gut kenne.“ Die Frage, wie er grundsätzlich mit Konflikten umgegangen sei, kann die Zeugin nicht beantworten. Manche Sachen habe sie aus ihrem Gedächtnis gestrichen.

Als nächster Zeuge wird der ehemalige Schwiegervater von Olaf H., aufgerufen. Er bestätigt, dass die Angaben der polizeilichen Vernehmung auch jetzt noch zutreffend seien. Er könne sich aber nicht erinnern, ob der Angeklagte tatsächlich am 03. September 2010 bei ihm war, um den defekten Bewegungsmelder zu reparieren. Am Tag als er diesen reparieren wollte, war der Angeklagte gegen 16:45 – 17:00 Uhr dort. Als Olaf H. feststellte, dass er ohne entsprechendes Werkzeug keine Reparatur vornehmen könne, habe sein Schwiegervater mit ihm im Garten geraucht und sich über Fische, Reiher und Rasenmäher unterhalten.

Die Reparatur sei Tage zuvor besprochen worden. Spontan habe ihn Olaf H. nach vorherigem Anruf an diesem Tag aufgesucht und sei ungefähr 30 bis 45 Minuten bei ihm geblieben. Der Angeklagte sei ruhig und ausgeglichen gewesen. „Nein, es gab einfach nichts Negatives. Er war ein treusorgender Familienvater.“ bestätigte der Schwiegervater seine polizeilichen Angaben. „Ist das noch so?“ fragt Gerd Meister. „Ja, genau so wie ich es gesagt habe. Meine Frau hat mit ihm zusammen gearbeitet. Sie weiß mehr über die berufliche Situation.“ Olaf H. habe gesagt: „Ich fahre jetzt nach Hause zu meiner Püppi.“ und damit seine Tochter gemeint.

Die mittlerweile pensionierte Zeugin und ehemalige Schwiegermutter des Angeklagten betritt den Saal. Richter Luczak stellt fest, dass die Zeugin bereits seit längerer Zeit mit dem Angeklagten beruflich verbunden war, bevor es zu der privaten Bindung mit ihrer Tochter gekommen sei. „Wie war der Herr H. als Mensch?“ möchte der Richter wissen. Die Zeugin schildert, wie sie bereits vor vielen Jahren mit Olaf H. in Düsseldorf zusammen gearbeitet und ihn später als Referenten in ihr neu gegründetes Team aufgenommen habe. „Er war ideenreich. Wir haben gut und harmonisch zusammen gearbeitet.“

Zu diesem Zeitpunkt sei der Angeklagte gut mit seinen Kollegen ausgekommen. Als sie das ihr unterstellte Team verlies, schlug sie Olaf H. als Teamleiter vor. Sie habe ihn einige Zeit begleitet, bis er „allein laufen konnte“. Nie hatte sie den Eindruck, der Angeklagte sei nicht mit seiner Arbeit zurecht gekommen. „Wie war es in der letzten Zeit?“ fragt Luczak. „Es war sehr belastend für Olaf, da viel umstrukturiert wurde. Er wusste nicht genau, wohin er wollte. Ich habe ihm geraten, sich zu entscheiden, sonst würde er in der Auffanggesellschaft landen. Dieser Zeitraum dauerte ungefähr drei Monate.“

Die Zeugin bestätigt, dass Olaf H. ihr vom Stress mit dem Vorgesetzen aus München berichtete. „Ich kenne Herrn G. selbst nicht und kann dazu nichts sagen.“ Sie könne auch nicht sagen, ob der Angeklagte sehr unter dem Stress gelitten habe. Er sei ihr als fürsorglicher Ehemann und Vater begegnet. Sie bestätigte, dass der Angeklagte am 03. September 2010 bei ihnen war, um etwas zu reparieren. Sie wüsste es deshalb genau, weil es ihr letzter Urlaubstag war. Ob sie mit Olaf H. selbst gesprochen oder nur von ihrem Mann über dessen Anwesenheit erfahren habe, könne sie nicht sagen.

Der Vorsitzende weist darauf hin, dass die Zeugenliste auf Antrag erweitert werden könne. Staatsanwaltschaft und Strafverteidigung mögen, falls dies gewünscht sei, rechtzeitig Bescheid geben. Die Auswertungen zu weiteren Messungen am Abgreifort würden zu einem der nächsten Verhandlungstage vorliegen. Der Richter unterbricht die Sitzung für eine Pause. Im Interview erzählt Gerd Meister in der Sitzungspause, die Gefangenschaft habe seinem Mandanten sehr zugesetzt. „Es war ganz hart für ihn, mit seiner Ex-Frau konfrontiert zu werden.“

Sie habe ihn hin und wieder besucht. Dass die beiden keinen Kontakt mehr haben, stimme nicht. Keine der Ex-Frauen könne sich die Tat erklären. Er sei bis zur Tat ein ganz gewöhnlicher Mensch gewesen und nicht das Monster, als das er in der Öffentlichkeit dargestellt würde. Ein weiteres psychologisches Gutachten wolle der Strafverteidiger Meister derzeit nicht beantragen.

Nach der Pause sind nur noch wenige Presseplätze besetzt. Richter Luczak merkt an, dass einige Menschen den Saal vor der Pause vorzeitig verlassen haben, weil sie hungrig seien. „Das passt nicht ganz zu dem, was wir hier machen.“ gibt er zu bedenken. Für den Nachmittag sind Zeugen aus dem beruflichen Umfeld des Angeklagten, seinem ehemaligen Arbeitgeber „Deutsche Telekom“ vorgesehen.

Die nächste Zeugin, eine ehemalige Arbeitskollegin des Angeklagten, wird befragt. Luczak möchte von ihr ein „ungeschminktes“ Bild von der Persönlichkeit des Angeklagten. „Was ist Ihr Eindruck? Wie haben Sie ihn erlebt, als sie beruflich mit ihm zu tun hatten?“ Sie erklärt, dass Olaf H. der Vorgesetzte ihres Chefs gewesen sei. Sie sei ihm fünf bis zehn Mal begegnet. „Er war sehr unhöflich, grüßte nicht. Bei verschiedenen Teambesprechungen hat er unseren Teamleiter vor den Augen anderer diskreditiert.“ Er habe einen Kollegen benutzt, um dem Teamleiter „einen rein zu würgen.“ Sie habe damals gedacht: „Ich bin froh, dass der in Düsseldorf ist und nicht in Wuppertal.“

Der Teamleiter sei mit ihrem faulen Kollegen nicht klar gekommen. Da habe er den Angeklagten hinzu gezogen. Herbert Luczak fragt, wie die Zeugin die Person Olaf H. empfunden habe. „Er möchte Macht auf andere ausüben. Er hat Druck nach unten weiter geleitet.“ „Was hatten Sie für ein Gefühl dabei?“ will der Vorsitzende wissen. „Ich hatte den Eindruck, er hatte Spaß daran, den Druck weiter zu leiten.“ Gerd Meister fragt nach, wie Olaf H. dem Teamleiter über den Mund gefahren sei. Er habe ihn unterbrochen und in der Besprechung sinngemäß geäußert: „Das war doch nicht so!“ Sie habe das als unmöglich empfunden.

Die nächste Zeugin berichtet, sie habe Olaf H. Mitte Juli 2010 in einem Meeting kennen gelernt. Es war vorgesehen, in gemeinsamen Projekten und Aufgaben zusammen zu arbeiten. Der Angeklagte sei ein ruhiger, unauffälliger Kollege und nett im Umgang gewesen. Bei dem Treffen war er sehr zurückhaltend. Im Juli und August 2010 habe sie einige Telefonkonferenzen zusammen mit ihm durchgeführt. Der Austausch mit dem Angeklagten sei eher fachlich als persönlich gewesen. „Sein Engagement war eher mäßig und leidenschaftslos. Er war nicht so zuverlässig, hat Meetings abgesagt.“ Die Entschuldigungen, die er dabei anbrachte, waren für sie unglaubwürdig. „Damit hat er den Bogen überspannt.“ Die Zeugin bat den Angeklagten, sich mehr zu beteiligen. „Das hat er gefühllos zur Kenntnis genommen.“ Es sei dann zunehmend eskaliert.

Ein weiterer Zeuge kenne Olaf H. seit dem Jahr 2002. Als Chef habe dieser einen normalen Eindruck gemacht. „Er war der Chef über meinem Chef.“ Persönlichen Kontakt habe es nicht gegeben. In Besprechungen sei der Angeklagte relativ resolut gewesen und habe sich durchgesetzt. Dem Zeugen sei nichts Besonderes aufgefallen. Nach den Besprechungen habe er sich ganz normal und persönlich unterhalten. Auf die Frage des Richters, wie der Zeuge den Angeklagten empfunden habe, antwortet dieser: „Unsympathisch. Er achtete nicht auf persönliche Belange der Mitarbeiter und ignorierte betriebliche Missstände. Wenn die Ziele nicht erreicht wurden, gab es Druck.“

Der Zeuge schildert, wie beispielsweise freiwillige Samstagsarbeit eingefordert wurde. Olaf H. habe den Druck von oben weiter gegeben. So wie der Angeklagte seinen beruflichen Druck in einem Zeitungsartikel beschrieben habe, so habe er ihn auch weiter gegeben. Der Vorsitzende fragt den Zeugen nach den Charaktereigenschaften von Olaf H. „Als Manager war er mäßig, eiskalt und zielorientiert. Aber er war auch kundenorientiert.“ Kein Kollege habe sich getraut, den Angeklagten auf sein Führungsverhalten anzusprechen. Der Zeuge könne sich an keine Situation erinnern, in der Olaf H. dem Teamleiter über den Mund gefahren sei.

Die Strafverteidigung weist darauf hin, eine weitere Anhörung von „einseitigen“ Zeugen nicht hinzunehmen. Die Zeugen seien aus einem von sieben Teams, die sein Mandant geführt habe. Es sei ausgerechnet das Team, mit dem es Konflikte gab. Herbert Luczak bittet Gerd Meister freundlich, sich die Zeugenliste anzuschauen. Zeugen aus verschiedenen Bereichen seien vorgeladen. Es wird noch etwas diskutiert, bevor die Zeugenbefragungen fortgesetzt werden.

Die nächste Zeugin gibt an, sie habe im Jahr 2002 mit Olaf H. zusammen die Teamleitung für einen Bereich übernommen. Die Aufgaben, die der Angeklagte für den Düsseldorfer Raum übernahm, habe sie für einen anderen Bereich ausgeführt. Im Jahr 2004 habe sie Olaf H. persönlich kennen gelernt. In 2009 gab es eine Umstrukturierung, im Zuge dessen die Führungsebene des Angeklagten weggefallen sei. Den Managern wurde angeboten, ins Workforce Management (WFM) zu wechseln.

Sowohl die Zeugin als auch der Angeklagte wurden als „Workforce Manager“ eingesetzt. Die Zeugin sagt aus, der Angeklagte sei ab Mai 2010 in einem internen Top-Secret-Projekt eingebunden. Über seine Aufgaben habe er nicht sprechen dürfen. Die Zeugin habe abends gelegentlich mit dem Angeklagten privat telefoniert. „Er ist ein sehr hilfsbereiter, lustiger, offener und witziger Mensch.“ Der Vorsitzende fragt die Zeugin, wie der Angeklagte mit untergeordneten Kollegen umgegangen sei. Die Zeugin schildert darauf eine persönliche Begegnung mit dem Angeklagten, in der er ihr gegenüber als „Macho“ aufgetreten sei. Sie habe sich das nicht gefallen lassen und den Vorfall mit ihm geklärt.

„Hat Herr H. etwas über den Konflikt mit seinem Chef erwähnt?“ möchte der Richter wissen. „Er hat in beruflichen Gesprächen erzählt, dass er Stress hatte. Er durfte aber auch nicht über sein Top-Secret-Projekt sprechen.“ Den Münchner Vorgesetzten schildert die Zeugin als sehr konfliktfreudig, aber auch charmant. „Den Grund für den Konflikt zwischen den beiden kenne ich nicht genau.“

Der letzte Zeuge am heutigen Sitzungstag kenne Olaf H. näher seit dem Jahr 2007. Er sei in gleicher Verantwortung wie der Angeklagte für eine andere Region zuständig gewesen. Olaf H. habe er alle zwei Monate getroffen und ansonsten Telefonkonferenzen mit ihm geführt. „Wir waren in der gleichen Situation. Wir haben sehr gut und kooperativ zusammen gearbeitet.“ Nach der Umstrukturierung seien zehn Kollegen als Workforce Manager mit anderen Aufgaben beauftragt worden. „Man hat es nicht leicht gehabt. Es lastete ein extremer Druck auf uns.“

Den Münchner Vorgesetzten beschreibt der Zeuge als „immer zwei Schritte voraus.“ Rückblickend sei es der richtige Weg, den er eingeschlagen habe. Alles sei so eingetroffen, wie es von ihm vorausgesagt wurde. „Hat Herr G. den Angeklagten vor allen denunziert?“ fragt Richter Luczak den Zeugen. „Nein, wenn dann hat er alle angesprochen.“ Luczak fragt weiter: „Hat Herr H. ihnen von Ärger mit Herrn G. berichtet?“ Er habe davon erzählt, starken Druck von Herrn G. zu bekommen, äußert der Zeuge. Zum Schuss sagt der Zeuge: „Olaf ist ein Macher, keine Schläfer oder Mitläufer. Ich habe gern mit ihm zusammen gearbeitet.“

Noch einmal wird die Zeugenliste besprochen. Gerd Meister und der psychologische Gutachter Dr. Martin Albrecht hinterfragen den Sinn weiterer Zeugenbefragungen. Dr. Albrecht bringt ein, dass eine Befragung des Vorgesetzten Herrn G. noch interessant wäre. Diese ist für den kommenden Freitag vorgesehen. Auf Wunsch des Angeklagten bittet der Strafverteidiger, Herr G. möge interne Statusberichte der Telekom über den Email-Verkehr von Olaf H. an Herrn G. vom 03.09.2010 mitbringen. Es könne sein, dass der Angeklagte am Abend des Tattages doch noch mal zu Hause war, Nachrichten an seinen Vorgesetzen verschickt habe und nicht stundenlang ziellos umher fuhr. Dies ließe sich anhand der Statusberichte klären.

Die Antwort auf die Frage, ob der Angeklagte durch die Gegend fuhr, um Stress abzubauen oder ob er sich gezielt nach einem Kind umschaute, ist von maßgeblicher Bedeutung für die Höhe des Strafmaßes. Nach jetziger Planung des Gerichts wird am 19. September 2011 der gerichtliche Sachverständige Dr. Albrecht sein Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit von Olaf H. vortragen. Dem 45-jährigen Schwalmtaler wird vorgeworfen, am 03. September 2010 den damals 10-jährigen Mirco aus Grefrath entführt, missbraucht und ermordet zu haben.

In dem Strafverfahren gegen Olaf H. sind weitere Termine für die Hauptverhandlung am 05.09., 09.09., 12.09., 16.09., 19.09., 23.09., 26.09. und 30.09.2011 geplant. Ende September wird nach derzeitigem Stand das Urteil verkündet.

6. Prozesstag: Olaf H. lässt sich ein

Krefeld, 05.09.2011 Heute ist es leer am Krefelder Landgericht. Nur wenige Zuschauer wollen Einlass in den Saal. Die Anzahl der Pressevertreter hat sich deutlich gemindert. Als der Vorsitzende die Hauptverhandlung fortsetzt, geht das Publikum davon aus, dass heute nur weitere Zeugen befragt werden. Dass der Verhandlungstag noch zu einer weiteren Einlassung des Angeklagten führen wird, ist zu diesem Zeitpunkt nicht klar.

Richter Herbert Luczak teilt den Prozessbeteiligten mit, dass die von Olaf H. erwähnten Statuslisten angefordert seien. Die bevorstehenden Zeugenbefragungen kommentiert er mit den Worten: „Es ist nur der Versuch, etwas was unfassbar ist, zu verstehen.“ Für den angeklagten Familienvater war sein beruflicher Stress ein großer Teil seiner Einlassung. Aus diesem Grund sei dieser Faktor in der Hauptverhandlung ein wichtiger Bestandteil und auch in das psychologische Gutachten aufgenommen worden. Der Gutachter Dr. Martin Albrecht wünsche eine Woche Pause, um sein Gutachten gründlich vorzubereiten.

Ein Zeuge, der mit dem Angeklagten seit 2002 enger zusammen arbeitete, beschreibt Olaf H. als sehr hilfsbereit und ehrgeizig, aber nicht übertrieben ehrgeizig. Er sei sehr humorvoll und hoch belastbar gewesen. „Manchmal hat er nicht „nein“ gesagt, wo er es hätte tun sollen.“ Als pragmatisch und hemdsärmelig habe er Olaf H. wahrgenommen, manchmal auch ungeduldig. Der Angeklagte habe dann gefragt: „Warum geht es nicht schneller?“ Er habe nicht auf seine Gesundheit geachtet.

„Hatten Sie auch Probleme mit Olaf H.?“ fragt der Vorsitzende Richter. „Wir haben regelmäßig Vier-Augen-Gespräche geführt. Das Feedback war in beide Richtungen recht konstruktiv und offen.“ Sehr kritische Phasen habe es nicht gegeben. Die Arbeitsergebnisse seien sehr zufriedenstellend. An einigen Stellen habe er sich mehr Rückmeldung gewünscht. Für einen Blender hielte er den Angeklagten allerdings nicht.

Olaf H. sei nach dem Jahr 2008 nicht sehr zufrieden gewesen, habe er bemerkt. Auch von den Schwierigkeiten mit seinem späteren Vorgesetzten Herrn G. habe er über Dritte gewusst. Was für ein Mensch dieser Vorgesetzte sei, möchte Herbert Luczak wissen. „Er ist eben ein Bayer. Aber das Herz hat er am rechten Fleck.“ Der Zeuge sei selbst mal mit Herrn G. angeeckt, könne sich aber nicht vorstellen , dass dieser mobben würde. Den Druck in seinem eigenen Bereich beschreibt der Zeuge als erheblich. Daraus schließe er, dass es im Bereich von Olaf H. ähnlich war.

Ein weiterer Zeuge gibt an, ca. 20 Jahre lang mit dem Angeklagten zusammen gearbeitet zu haben. Die Hälfte davon haben sie parallel zusammen gearbeitet, aber privat außer auf Betriebsfesten keine Berührungspunkte gehabt. „Olaf war angenehm, spaßig, man konnte mit ihm streiten. Er war normal.“ Auf die Frage nach dienstlichen Mängeln antwortet der Zeuge, dass der Angeklagte zwar in der Lage war, fachliche Dinge abzuarbeiten, aber ihm auch Einiges über den Kopf gewachsen sei.

Personell hätte er ihn in einer anderen Position gesehen. Fachliche Defizite habe Olaf H. über die persönliche Ebene geregelt. Bei zu viel Druck sei er schon mal ungerecht geworden. Er sein nicht lustlos, aber überfordert gewesen. Arbeitsergebnisse habe der Angeklagte oftmals nicht zeitgerecht geliefert. Über Herrn G. äußert der Zeuge dass dieser fair und korrekt, aber ein „harter Knochen“ sei. „Man muss damit umgehen können.“ An dem Angeklagten, der ihn zwei Tage vor seiner Verhaftung dienstlich noch besucht habe, sei ihm nichts aufgefallen. Er sei angenehm und ausgeglichen gewesen.

Eine Zeugin beschreibt Olaf H. als sehr kollegialen, kompetenten Chef, der auch mal strenger sein konnte. Mit ihr sei der Angeklagte einmal im Monat nach Feierabend Essen gegangen und habe rein freundschaftlichen Kontakt gehalten, als die beiden nicht mehr direkt zusammen gearbeitet haben. Sie habe den Angeklagten als traurig und enttäuscht erlebt, als dieser noch nicht in seine neue Position in der Zentrale wechseln durfte.

Ein Arbeitskollege, der wenige Wochen um den Tatzeitraum im letzten Jahr mit Olaf H. ein Büro geteilt hat, hielt ihn anfangs für einen Überflieger, der in den morgendlichen Konferenzen gerne die Führung übernahm. Er habe den Angeklagten wohl überschätzt. Er schien über den Dingen zu schweben, ein bisschen herablassend zu sein. „Ein Großkotz, dem man nur 30 % von dem glauben kann, was er sagt.“

Ein ehemaliger Kollege von Olaf H. beschreibt ihn als fachlich versierten Kollegen, mit dem er einen freundschaftlich-kameradschaftlichen Umgang pflegte. Fachlich unterschiedliche Meinung seien sachlich diskutiert worden. Seinen Mitarbeitern gegenüber sei der Angeklagte oft nicht feinfühlig genug gegenüber getreten. Hier fehle ihm offenbar das nötige Fingerspitzengefühl.

Ein Zeuge, der Kollege und auch Vorgesetzter war, hält Olaf H. für fachlich sehr kompetent. Ihm sei aufgefallen, dass der Angeklagte versucht habe, auf persönlicher Beziehungsebene voran zu kommen. Er habe viele Gesichter von Olaf H. gesehen. „Als sein Vorgesetzter habe ich ihm geraten, anders mit seinen Mitarbeitern umzugehen.“ Damit habe er ihn nicht kritisieren sondern kund tun wollen, dass dies nicht der von ihm präferierte Führungsstil sei.

Er konnte mit dem Angeklagten darüber reden, auch wenn dieser nicht immer berechenbar sei. „Wie kam er in der letzten Zeit mit seiner Arbeit zurecht?“ fragt Richter Luczak. „Ich weiß, dass er an seine methodischen und fachlichen Grenzen gestoßen ist.“ bekundet der Zeuge. Olaf H. sei zwar fachlich kompetent, habe aber nicht die richtige Art gezeigt „es rüber zu bringen“. In dieser Zeit habe Olaf H. viel persönliche Kritik bekommen. „Wenn ich ihn kritisiert habe, war er betroffen. Ich weiß aber nicht, ob er sich den Schuh angezogen hat und wie nachhaltig das war.“ Den Vorgesetzten Herrn G. beschreibt der Zeuge als „keinen einfachen, aber sehr fairen und direkten Menschen“.

Nach der Sitzungspause geht es mit einer Zeugin weiter, der besonders die Unzuverlässigkeit von Olaf H. aufgefallen sei. Er habe Termine ständig nicht eingehalten und unglaubwürdige Ausreden angebracht. Mal sei es der vergessene Geburtstag der Mutter, dann die zweifache Fehlgeburt seiner Frau kurz hinter einander und wiederum Termine beim Psychologen mit seiner Frau oder das kranke Kind.

Jetzt möchte Olaf H. nicht länger schweigen. Er lässt sich auf weitere Aussagen ein und spricht selbst. Seine Frau habe nach einer künstlichen Befruchtung Zwillinge nacheinander verloren. Das habe sie sehr belastet und er habe sie zu psychologischen Gesprächen begleitet. Seine Tochter habe sich die Nacht vom 02. auf den 03.09.10 übergeben. Da seine Frau auch arbeiten musste, habe er sich für den Tag frei genommen. Am Nachmittag sei es der Tochter besser gegangen. Frau H. fuhr mit ihr zum Kinderturnen.

Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Luczak, ob er daran fest hält, am Nachmittag des 03. September 2010 ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten Herrn G. geführt zu haben, bestätigt Olaf H.: „Da bin ich mir ganz sicher.“ Er habe nach dessen Anruf einen Statusbericht an ihn per Email geschickt. Das Telefonat sei kurz nach 13:00 Uhr gewesen. Herr G. sei persönlich und ausfallend geworden.

Was der Vorgesetzte im Einzelnen gesagt habe, möchte der interessierte Richter wissen. „Das möchte ich hier nicht sagen.“ antwortet der Angeklagte. Richter Luczak macht Olaf H. freundlich klar, dass es so nicht ginge. Er sei nicht in der Position „etwas nicht zu wollen“. Er habe zwar das Recht, nichts zu sagen, aber der Vorsitzende macht dem Angeklagten nochmal deutlich: „Es geht hier um Ihre Zukunft!“ Olaf H. führt fort: „Wenn ich erzähle, dass meine Tochter apathisch neben mir auf der Couch liegt und er sagt: „Das ist mir scheißegal was mit Deiner scheiß Tochter ist.“ gehe ich an die Decke.“ Auf Nachfragen fügt er noch hinzu: „Er kann auch „doofen Tochter“ gesagt haben.“ Er habe danach das Gespräch beendet, den von Herrn G. verlangten Statusbericht bearbeitet und ihm zugeschickt. Dem folgen noch Fragen, warum Olaf H. das nicht während der polizeilichen Vernehmungen gesagt habe, was seine Tochter aß und weitere.

Danach beschreibt ein weiterer Kollege den Angeklagten als ganz normal. In der Sache konnte es schon mal härter zugehen, aber es bliebe stets sachlich. Er habe es nicht so empfunden, dass der Angeklagte ihn in einer Telefonkonferenz vor anderen nieder gemacht habe, so wie es von Zeugen beschrieben wurde. Herr G. führe harte Gespräche, aber dass er persönlich oder aggressiv gegenüber dem Angeklagten war, wisse er nicht. Die weiteren Zeugen erzählen von kleineren Reibereien mit dem Angeklagten und fehlender Anerkennung durch Olaf H. als Führungskraft.

Die Einlassung kam für viele überraschend. „Damit habe ich jetzt nicht gerechnet.“ äußert eine Zuschauerin. „Hoffentlich kommt noch mehr.“ so eine andere. Zum nächsten Termin am 09.09.11 sind die ehemaligen Vorgesetzten von Olaf H. geladen. Darunter befindet sich der Vorgesetzte, welcher der Auslöser des starken Stresses von Olaf H. gewesen sein soll.

7. Prozesstag: Vorgesetzter widerlegt Aussage des Angeklagten

Krefeld, 09.09.2011 Spannung beim Krefelder Landgericht: Heute werden die ehemaligen Vorgesetzten des Angeklagten Olaf H. vor Gericht befragt. Der Schwalmtaler gab als Grund für die Entführung und Ermordung des damals 10-jährigen Mirco aus Grefrath am 03. September 2010 an, er habe Stress mit seinem Vorgesetzten gehabt und sei frustriert gewesen, nachdem dieser ihn am Tattag „rund gemacht“ habe.

Die Sitzung beginnt mit einer halben Stunde Verspätung erst um 9:30 Uhr. Als das Gericht den Sitzungssaal 167 betritt, stehen Beteiligte und Zuschauer auf. Minutenlang lässt der Vorsitzende Richter die Medienvertreter filmen und fotografieren. Mit den Worten: „Sie haben jetzt Ihr Geld verdient.“ bittet er die Presse, das Filmen und Fotografieren einzustellen. Richter Luczak erklärt dem Publikum: „Wir müssen das laut Bundesverfassungsgericht hinnehmen. Wir posieren hier nicht aus Spaß.“

Zum letzten Mal vertritt Rechtsanwalt Klug die Anwältin Gabriele Reinartz aus Viersen, die sich im Urlaub befindet. Rechtsanwältin Reinartz vertritt die Nebenkläger, Eheleute S. und Eltern des ermordeten Kindes. Luczak beginnt die Verhandlung mit den Worten: „Die für heute geladenen Zeugen warten bereits draußen.“ Er möchte keine Zeit verlieren und direkt mit den Befragungen beginnen.

Die erste Zeugin ist Fernmeldehauptsekretärin Claudia S. Der Vorsitzende Richter bitte um Nachsicht, dass die Zeugin warten musste. Manchmal seien wichtige Gespräche mit den Prozessbeteiligten vorrangig. Nach der Zeugenbelehrung fragt er die Zeugin, seit wann sie und auf welche Weise sie mit dem Angeklagten zusammen gearbeitet habe und wie Olaf H. als Kollege und Vorgesetzte war.

Seit 2004 kenne Frau S. den Angeklagten, aber nicht sehr gut, weil ihre Dienststellen geografisch getrennt lägen. Olaf H. sei ab und zu für Besprechungen vorbei gekommen. „Er war mir nicht sympathisch, weil er nie gegrüßt hat.“ Luczak fragt: „Wie war sein Auftreten?“ Die Zeugin erwidert: „Kann ich nicht so sagen. Das ist lange her.“ „Bis wann hatten Sie beruflichen Kontakt?“ möchte Luczak von der Zeugin wissen. Diese erwidert: „Bis zur Umstrukturierung im Jahr 2009. Mein direkter Vorgesetzter war Herr S. Sein Chef war Olaf H.“

Der Richter möchte wissen: „Ist Ihnen irgendetwas von den Besprechungen in Erinnerung geblieben?“ Sie erzählt: „Herr H. hatte keine gute Meinung von unserem Team.“ Die Zeugin erklärt, Olaf H. und Herr S. haben dienstlich nicht gut zusammen gearbeitet. Woher sie das wisse fragt Luczak. „Herr S. hat es mir erzählt und ich habe in meinem Büro, wenn die Tür aufstand mitbekommen, wenn es zwischen den Beiden lauter wurde am Telefon.“ Olaf H. sei ihrem Chef ins Wort gefallen oder umgekehrt. „Ist Ihnen das auch bei persönlichen Besprechungen aufgefallen?“ Der Angeklagte sei Herrn S. ins Wort gefallen. Ob er dabei persönlich beleidigend war, sei ihr nicht aufgefallen. Sie habe vertretungsweise für Ihren Chef eine Telefonkonferenz mit Olaf H. mitmachen müssen. Dabei sei ihr der Angeklagte ebenfalls ins Wort gefallen. „Er war herablassend, als ob ich das nicht könnte.“

„War die Unzufriedenheit von Herrn H. mit dem Team berechtigt?“ hakt Luczak nach. Das sei unberechtigt, erwidert die Zeugin. Auf die Nachfrage des Vorsitzenden Richters, was sie zu einem Ranking oder einer Wertung des Teams sagen könne, gibt die Zeugin an: „Ich weiß es nicht. Nach meinem Empfinden war die Wertung recht schlecht.“ Dies sehe sie in der schlechten Zusammenarbeit von Olaf H. und Herrn S. begründet. Die Zeugin wird nach § 59 StPO wie alle anderen Zeugen bisher unvereidigt entlassen.

Die nächste Zeugin, Fernmeldeobersekretärin Sabine W. erzählt, sie habe Olaf H. vor fünf bis sechs Jahren kennen gelernt und wenige eher zufällige Begegnungen mit dem Angeklagten gehabt. Er sei sehr oberflächlich gewesen. Luczak erklärt: „Ich habe Sie geladen, um über die Zeit hinweg ein Bild von Herrn H. zu bekommen.“ Die Zeugin erzählt, wie sie Olaf H. wahrgenommen habe: „Bei den Begegnungen ging Herr H. auf Herrn S. zu und begrüßte ihn. Uns beachtete er gar nicht.“

Erst als Luczak zu der Zeugin sagt: „Ich dachte, Sie hätten mir mehr sagen können. Wenn nicht, ist das auch in Ordnung. Nur weil hier im Protokoll noch mehr steht, muss das nicht richtig sein.“ erwidert diese: „Herr H. war launenhaft, überheblich und widersprüchlich. Ich fühlte mich übersehen. Ich konnte das gar nicht deuten. Einmal ist er mir positiv aufgefallen. Das war bei einer Begegnung im Jahr 2006. Da haben wir uns unterhalten. Er war sehr freundlich.“

Der Zeuge Bernd T. und Technischer Fernmeldeobersekretär erzählt, dass ihm in Teammeetings Probleme zwischen dem Angeklagten und Herrn S. aufgefallen seien. Olaf H. habe vorbereitete Fragen gehabt, die Herr S. in Meetings beantworten musste. Die Fragen seien nur teilweise zu beantworten gewesen. Der Angeklagte sei nicht sehr sensibel gewesen. Einmal habe er Herrn S. vor dem Team vorgeführt. „Das gehört sich nicht.“ Nachdem der Zeuge entlassen ist, merkt Richter Luczak an, dass die bisherigen Zeugenbefragungen schneller verliefen, als nach den Vernehmungsprotokollen gedacht sei.

Der nächste Zeuge Ronald R. gibt als Berufsstatus „Beamter“ an. Luczak fragt: „Haben Sie nicht noch einen Zusatz? Fernmeldesonstwie?“ „Nein.“ Nach etwas Überlegen gibt Herr R. an, den Angeklagten seit circa zehn Jahren zu kennen. Olaf H. sei fünf Jahre lang sein direkter Vorgesetzter in Düsseldorf gewesen. „Dann haben sich die Wege getrennt, weil ich seit Juli 2010 in Bonn bin.“ Als Olaf H. noch nicht der Vorgesetzte des Zeugen war, habe dieser ihn als ganz normalen Kollegen wahrgenommen.

„Wie ist Ihnen Herr H. als Vorgesetzter begegnet?“ Der Zeuge überlegt: „Schwierige Frage. Ich habe ihn als unterschiedliche Personen wahrgenommen. Wenn er gut gelaunt war, war alles in Ordnung. Wenn nicht, wurde das Team zurecht gewiesen.“ Der Richter möchte wissen, womit sich der Zeuge den Wechsel der Launen erklären würde. Dieser hat keine direkte Erklärung, lacht laut auf und sagt: „So wie jeder mal launig ist.“ Ansonsten sei der Angeklagte unauffällig und zielstrebig unterwegs gewesen.

„Hatten Sie nach der Vorgesetztenzeit noch Kontakt?“ fragt Luczak. Der Zeuge bejaht und erzählt, Olaf H. habe unzufrieden gewirkt, weil er keine Führungskraft mehr war und mit seinem Vorgesetzten nicht klar gekommen sei. Ob der Angeklagte dem Zeugen etwas von Herrn G. erzählt habe, möchte der Richter wissen. „Wir kannten alle Herrn G. Es gab Reibungspunkte zwischen den beiden, aber ich erinnere mich nicht genau.“ Diese Aussage kommentiert Luczak mit den Worten: „Niemand ist als Zeuge verpflichtet, sich etwas zu behalten.“

„Hat Herr H. Ihnen erzählt, von Herrn G. beleidigt worden zu sein?“ Davon wisse der Zeuge nichts. Olaf H. sei oft „in Projekten unterwegs gewesen“. Dies habe Herr G. als störend empfunden, da Herr G. nicht genau wußte, wo Olaf H. unterwegs gewesen sei. „Ist Herr H. vor versammelter Mannschaft denunziert worden?“ Der Zeuge wird etwas nervös bei dieser Frage und erzählt, dass er gerne noch seinen Job behalten würde. Auf das nachfolgende Gelächter aus dem Publikum ermahnt der Richter die Zuschauer: „Bitte lachen Sie nicht. Der Zeuge ist noch in seinem Job und möchte den auch gerne noch behalten.“

„Ich habe Herrn G. als stringenten Menschen wahrgenommen.“ Dieser sei auch mal lauter geworden. „Wenn es nicht so lief wurde der eine oder andere schon mal härter dran genommen.“ Ob der Angeklagte von Herrn G. mal „…scheiß Ehefrau“ oder ähnliche, persönliche Äußerungen gehört habe, fragt Luczak nach. So habe er Herrn G. nie kennen gelernt. Er wisse nicht, ob Herr G. beleidigend war. Olaf H. stützt den Kopf auf seine Hand und hört aufmerksam zu.

Luczak lässt den Email-Verkehr des Angeklagten vom 03.09.2010 sichten und lässt aus der Hauptakte zwei Emails an den Zeugen R. verlesen. Die erste Email hat den Status „Received: 8:45 Uhr, Subject: Unter Vorbehalt, Wichtigkeit: normal“. Olaf H. schreibt in dieser Email unter anderem „Ich bin mir nicht sicher, ob es bei mir klappt.“. Gemeint ist damit ein Termin am Tattag, den der Angeklagte eventuell nicht wahrzunehmen gedachte. Auf diese Email wurde in der Hauptverhandlung bereits mehrfach eingegangen. Der Richter fragt sich, wie diese Email in Anbetracht der Tatabsicht überhaupt einzuschätzen sei. Die zweite Email ging beim Zeugen kurz vor 13:00 Uhr ein.

„Hatten Sie noch sonstigen telefonischen Kontakt mit Herrn H. an diesem Tag?“ fragt Luczak den Zeugen weiter. „Nein das letzte Mal hatte ich mit Olaf H. am Vortag Kontakt.“ Der Richter befragt den Zeugen nach einem Projekt, das der Angeklagte für Herrn G. bearbeiten sollte. Er fragt, ob der Zeuge etwas über die Statusberichte wisse. Dieser antwortet, dass Statusberichte öfter angefordert würden, er aber nicht wisse, ob es an diesem Tag der Fall gewesen sei. Der Vorsitzende möchte wissen, ob Olaf H. seit Oktober 2010 häufig in seinem Bonner Büro war. Der Zeuge lacht: „Wenn er da war. Er war natürlich noch in seiner alten Funktion unterwegs. Definieren Sie mir häufig.“

„Sind Ihnen Veränderungen an Herrn H. nach dem 01.10.2010 aufgefallen?“ Der Zeuge überlegt lange: „Ja. Er war erleichtert. Unter Herrn K. wurde ihm zwar auch Druck vermittelt, aber anders.“ Dem Zeugen sei aufgefallen, dass Olaf H. manchmal unglaubwürdig wirkte. Er sei öfter mit seinem Auto liegen geblieben. Dies sei ihm seltsam vorgekommen. „Wir hatten doch eine Firma, die für die Reparaturen zuständig war.“ Luczak fragt: „Wurde mal über das Thema Mirco gesprochen?“

„Das weiß ich noch ganz genau. Da war mal eine Seite im Internet wo er war. Da ist mir die SoKo Mirco aufgefallen. Erst da hatte ich Kontakt dazu. Ich habe mir nichts dabei gedacht.“ Luczak will weiter wissen: „Haben Sie mal mitbekommen, dass Herr H. einen Anruf von der SoKo Mirco wegen seines Wagens erhielt?“ Der Zeuge bestätigt, einen derartigen Anruf mitbekommen zu haben. „Die SoKo ist glaube ich auf den DT Fleetservice zugegangen. Er sollte sich, glaube ich, mal dort melden.“

„Wie hat Herr H. darauf reagiert?“ hakt Luczak nach. „Er war auffällig gelassen, im Nachherein. Er war nicht nervös. Olaf H. hat sogar noch gesagt: „Er solle sich keine Sorgen oder Gedanken machen.“ als der Anruf vom DT Fleetservice kam.“ Jetzt fragt eine hauptamtliche Richterin: „Nochmal zum August/September 2010. Erinnern Sie sich daran, ob es jeden Morgen eine Telefonkonferenz gab?“ Der Zeuge sagt, dies sei möglich, es gebe regelmäßig Telefonkonferenzen.

Die zweite Richterin hakt nach: „Was hat Herr H. zur SoKo Mirco gesagt?“ Zeuge: „Olaf H. wunderte sich, dass die SoKo noch nicht eingestellt war.“ Sie stellt eine weitere Frage zu Herrn G: „Wenn Herr G. mal Leute zurecht weisen musste, wie ist das geschehen? Es geht mir um die Ausdrucksweise bzw. Formulierung. Hat er Ausdrücke wie „scheißegal“ benutzt?“ „Nicht in meiner Gegenwart. Er hat keine so derben Begriffe benutzt.“ äußert der Zeuge.

„Hat Herr H. Ihnen gesagt, ob er Aufgaben aus seiner alten Tätigkeit mitgenommen hat.“ fragt Staatsanwältin Silke Naumann. „Ob das so war, weiß ich nicht genau. Er hat angegeben, dass er alte Tätigkeiten noch erledigen muss.“ Jetzt hat der Strafverteidiger Gerd Meister ein paar Fragen: „Ist Herr H. ein kompetenter Mitarbeiter?“ Der Zeuge antwortet: „Fachlich ja, personell lässt sich streiten.“ Ob es Reibungen zwischen Herrn H. und Frau B. gegeben habe, möchte Gerd Meister wissen. Frau B. sei mal ungehalten wegen des Angeklagten gewesen.

„Wie war der Stand des Wuppertaler Teams?“ der Strafverteidiger möchte das bezüglich der Zahlen und des Rangs wissen. „Ich war auch nicht zufrieden mit dem Wuppertaler Team. Die Ergebnisse waren nicht zufriedenstellend. Von einem Rating weiß ich nichts.“ „Sie haben gesagt, Herr H. war chaotisch, oft nicht da. Können Sie das näher erläutern?“ Der Zeuge erklärt: „Das „chaotisch“ ist auf das Führungsverhalten und die vorherige Tätigkeit bezogen. Da waren wir nicht immer einer Meinung. Wenn man nicht seiner Meinung war, konnte man schon einen schlechten Stand haben.“

Die Aussage des Herrn H. aus der polizeilichen Vernehmung wird wegen geplanter Abwesenheit verlesen. Alle Beteiligten geben ihr Einverständnis. Es erfolgt ein Kammerbeschluss nach § 251 (1) Nr. 1 StPO. Der zusammengefasste Inhalt lautet wie folgt: Im September 2009 habe der Zeuge ersten Kontakt zu dem Angeklagten gehabt. Er habe im gleichen Arbeitsbereich gearbeitet und sei dem Angeklagten gleichgestellt. Privaten Kontakt gab es nicht. Der Zeuge wusste nur, dass der Angeklagte drei Kinder habe. In der Gruppe sei es kollegial zugegangen.

Herr G. und Herr G. seien Vorgesetzte gewesen. Es habe großen emotionalen Druck, aber keine Drohungen irgendeiner Art gegeben. Der Angeklagte habe sich selbst zur Konzernzentrale nach Bonn beworben. Warum er noch nicht dort war, wisse er nicht. Das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und Herrn G. sei angespannt gewesen. Der Angeklagte sei von Projekten abgezogen und nicht mehr eingebunden worden.

Der Zeuge selbst sei aufgrund des Drucks erkrankt. Er könne nicht mehr schlafen und sei zum Arzt wegen des Stresses gegangen. Nach Auffassung des Zeugen habe Herr G. den Angeklagten weder denunziert noch gemobbt. Es ginge um rein dienstliche Belange. Der Vorsitzende fragt, ob es den Wunsch gäbe, weitere Zeugenaussagen zu verlesen. Dies wird von allen Beteiligten verneint.

Herbert Luczak greift das Stichwort „Emails“ in zeitlicher Reihenfolge auf. Der letzte Stand der Einlassung des Angeklagten sei „frei genommen“. Der Vorsitzende listet sämtlichen Email-Verkehr von Olaf H. am 03. September 2010 auf. Demnach hat der Angeklagte einige Emails verschickt. Anschließend fragt er Olaf H.: „Das hört sich an wie Homeoffice. Ist das so?“ Der Angeklagte antwortet: „Jein. Ich habe mir frei genommen. Es ist aber üblich, sich trotzdem um dringende Sachen zu kümmern. Ich habe mir später im Call frei genommen. Das müsste dokumentiert sein. Ich habe ja gesagt, dass meine Tochter neben mir auf der Couch liegt. Ich wusste nicht, ob ich noch mit ihr zum Arzt muss.“

Luczak gibt zu bedenken: „Die Auswertung der Arbeitszeit von DT Fleet ergab, dass am 03.09.2010 die Zeit von 7:41 bis 16:37 als Arbeitszeit angegeben wurde. Haben Sie sich morgens angemeldet?“ Olaf H. antwortet: „Ja.“ Luczak erwidert: „Wie kam der Zeitpunkt 16:37 als Arbeitsende zustande? Auf Ihrer Tankquittung aus Wachtendonk steht 16:43. Das ist nur wenige Zeit später. Das ist zeitlich gar nicht machbar. Wie kommt die Angabe zum Arbeitsende zustande? Loggt sich der Computer selber aus?“

Olaf H. sagt dazu: „Derzeit nicht.“ Ob das jemand anderes reingebucht haben könnte, will der Vorsitzende wissen. Das ginge nicht, antwortet der Angeklagte. „Offen bleibt, wieso das als eingebuchte Arbeitszeit eingetragen ist und nicht als freigenommene Zeit. Das lässt darauf schließen, dass Sie sich erst eingeloggt haben.“ sagt Luczak dem Angeklagten. „Ich wollte erst Homeoffice machen und habe mich eingeloggt. Ich habe mir erst in der Telekon um 8:30 Uhr frei genommen und wohl vergessen, mich auszubuchen.“

„Sie haben viele Emails geschrieben. Haben Sie bis 15 Uhr noch was gearbeitet?“ Der Angeklagte gibt sich erstaunt über die Anzahl der von ihm geschriebenen Emails am Tattag: „Ich wusste nicht, dass das doch so viele waren. Aber das ist nicht mein übliches Pensum. Ich hatte frei.“ Richter Herbert Luczak liest aus der Täterakte den Wortlauft von Olaf H. bei seiner letzten Aussage der polizeilichen Vernehmungen vor: „Ich möchte hier von Anfang an erzählen…G. hat mich gemobbt seit Monaten. G. hat mich angeprangert bei der Geschäftsleitung. Er hat mich vor versammelter Mannschaft denunziert, als bereits feststand, dass ich in einen anderen Job mit eingebunden bin.“

„Denunziert habe ich nicht gesagt. Das Wort benutze ich nicht. Sagen wir mal „rund gemacht“. Ein Projekt das vorher intern 140 Leute gemacht haben, sollte ich mit 70 Leuten in zehn Tagen schaffen. Ich hatte drei Projekte gleichzeitig.“ sagt Olaf H. In einem Meeting im März/April 2010 sei der Angeklagte von G. auf „eine die für ihn eigene Art „rund gemacht“ worden.“ Er habe anschließend das Meeting vorzeitig verlassen. Als Luczak das Mobbing anspricht, äußert Olaf H., er sei aus dem Projekt rausgenommen worden und wisse nicht weshalb. Wegen seiner Verschwiegenheitspflicht konnte er mit niemandem darüber reden. „Ich war für Herrn G. zu weich“.

Der Richter spricht das Stichwort „Emails versenden“ an. „Sie haben den Bericht aufgepäppelt und nach 15 Minuten verschickt. Wie haben Sie das gemacht?“ Olaf H. antwortet dazu: „Ich habe den Bericht über das interne Laufwerk „Group Share“ rüber gezogen (Anmerkung der Journalistin: Das ist ein firmeninterner Datenserver mit weltweitem Zugriff, auf dem bestimmte Benutzer oder Benutzergruppen je nach Freigabestatus Daten ablegen, verändern oder diese abrufen können).

Irgendjemand im Sekretariat oder so sollte das an den Chef von G. schicken. Luczak fragt: „Wollte Herr G. das nicht vorher sehen?“ „Nö.“ gibt der Angeklagte an. Der Richter fragt noch einmal: „Glauben Sie, es hat dieses Telefonat mit Herrn G. an diesem Tag gegeben?“ Olaf H.: „Da bin ich mir sicher.“ Der nächste Zeuge wird aufgerufen. Es ist der letzte direkte Vorgesetzte des Angeklagten.

Der Zeuge Dieter G. betritt den Saal. (Anmerkung der Journalistin: Es handelt sich hierbei nicht um den vielfach erwähnten Chef des Chefs von Olaf H., der Auslöser des Tatgeschehens am 03.09.2010 gewesen sein soll. Dieter G. war der direkte Vorgesetzte des Angeklagten in seiner letzten Position. Um Verwechselungen auszuschließen, benutze ich an dieser Stelle ausnahmsweise den Vornamen des Zeugen.)

Der Zeuge Dieter G. betritt den Saal. (Anmerkung der Journalistin: Es handelt sich hierbei nicht um den vielfach erwähnten Chef des Chefs von Olaf H., der Auslöser des Tatgeschehens am 03.09.2010 gewesen sein soll. Dieter G. war der direkte Vorgesetzte des Angeklagten in seiner letzten Position. Um Verwechselungen auszuschließen, benutze ich an dieser Stelle ausnahmsweise den Vornamen des Zeugen.)

„Wie war Herr H. vorher?“ Dieter G. antwortet: „Er war ein geselliger Mensch. Wir haben uns regelmäßig zu Meetings getroffen. Er war umgänglich und durchaus unterhaltsam.“ Ob ihm auch negative Eigenschaften aufgefallen seien, möchte Herbert Luczak wissen. „Olaf war eher der Praktiker. In der Dokumentation von Sachverhalten bzw. Tätigkeiten im beruflichen Umfeld war er nicht so stark. Aber er hat die Dinge umgesetzt, die man ihm gegeben hat.“

„War Ihnen bekannt, ob es andere Bewerber auf Ihre Position gab? Insbesondere Herrn H.?“ fragt Luczak gezielt. Er wisse, dass es noch mindestens einen anderen Bewerber auf seinen Posten gab. Dass dies Olaf H. gewesen sein solle, sei ihm neu. „Wie war das Verhältnis von Herrn H. zu Herrn G.?“ will der Richter wissen. Der Zeuge äußert dazu: „Es gab mehrere Gespräche zwischen den beiden. Ich war nicht immer dabei. Herr G. hat mehrfach eingefordert, dass Herr H. seine Tätigkeit in Projekten entsprechend dokumentiert.“

Am 01.07.2010 habe Herr G. bei einem persönlichen Gespräch in München, zu dem Olaf H. zitiert worden sei, gegenüber dem Angeklagten sehr deutlich gemacht, dass er eine bessere Dokumentation zum Projekt erwarte. „Sind Ihnen wörtlich noch drastische Formulierungen in Erinnerung?“ hinterfragt der Vorsitzende. „An genaue Worte erinnere ich mich nicht. Ich habe in Erinnerung, dass Herr G. sehr deutlich geworden ist. Er war recht taff.“ Luczak bohrt weiter: „Ging „recht taff“ in den Bereich der persönlichen Beleidigung?“ „Nein.“

„Wenn Herr G. auf eine häusliche oder berufliche Belastung hingewiesen wurde, hat er dann mal geäußert: Ihr Scheiß interessiert mich nicht?“ Das könne er so nicht behaupten, erklärt der Zeuge. Auf die Frage, ob mit Konsequenzen wie Kündigung usw. gedroht wurde, antwortet er: „So einfach geht das auch nicht.“ Es habe Ärger wegen fehlender Dokumentation und ein klärendes Gespräch per Telefon gegeben, an dessen Anschluss der Angeklagte sich per Email für die Klärung bedankt habe.

Ob die entsprechende Dokumentation anschließend von dem Angeklagten erfolgt sei, beantwortet der Zeuge mit den Worten: „Es wurde eine wöchentliche Dokumentation eingeführt.“ Das bestimmte Projekt sei dabei ein Teil der Dokumentation gewesen. Es sei dabei um Einsparungspotential gegangen. Herr G. wolle zu allen Aktivitäten regelmäßig berichtet haben. Das Gespräch habe circa 20 Minuten gedauert.

Er habe nicht gewusst, dass es im Projekt so viele Defizite gegeben habe. Ob Herr G. etwas über das Treffen berichtet habe, will Luczak wissen. „Im Punkt Berichtswesen gab es ein Gespräch mit einem großen Carrier. Der Carrier war nicht so zufrieden.“ äußert Dieter G. „Haben Sie in Erinnerung, ob es bei dem Präsenzmeeting in München auch um das Projekt „Re-import“ und kritische Äußerungen von Herrn G. gegangen ist?“ fragt der Richter weiter. Der Zeuge könne sich aber nicht daran erinnern.

Ob Herr G. den Angeklagten vor versammelter Mannschaft im März „rund gemacht“ habe, könne der Zeuge Dieter G. nicht sagen. Neben dem Projekt Re-importe habe Olaf H. noch Projekte in Düsseldorf gehabt. Herr G. habe im persönlichen Gespräch den Angeklagten nicht angegriffen. Er könne sich nicht erinnern, ob Olaf H. raus gegangen sei, weil ihm der Ton nicht passe.

„Wann hat Herr H. sie informiert, dass er nach Bonn wechseln würde?“ fragt der Vorsitzende. „Herr H. hat mich am 25. Juli darüber informiert, dass er sich erfolgreich für einen neuen Posten beworben hat. Ich hatte noch nichts vorliegen.“ Der Angeklagte habe gefragt wie es mit der Übergabe bis Mitte September sei. Um eine koordinierte Übergabe sicher zu stellen, habe der Zeuge den Angeklagten gebeten, bis Ende September seine alte Position wahrzunehmen.

Im Zuge dessen bot er ihm an, wichtige Termine des neuen Jobs bereits vorzeitig annehmen zu dürfen. Es habe keinen Protest gegeben. Anschließend habe er Herrn G. darüber informiert. Herr G. sei ein fordernder Chef, der genau wisse, was er wolle. „Er ist impulsiv. Er ist aber auch derjenige, der sich entschuldigt wenn er zu weit gegangen ist.“ Bei diesen Worten richtet sich Olaf H. plötzlich auf und schaut scheinbar sehr interessiert zum Zeugen.

„Nennen Sie mir doch mal ein Beispiel.“ fordert der Vorsitzende den Zeugen auf, etwas konkreter zu werden. Dieter G. überlegt lange. „Mir fällt kein Wortlaut ein.“ Wenn jemand etwas „nicht auf die Reihe“ bekommen habe, hätte G. ihn gefragt, ob er denn richtig für den Job sei. Auf die Frage, wie sich Herr G. bei persönlichen Problemen geäußert habe, äußert der Zeuge: „Sie meinen das, was in der Zeitung stand. „scheiß Tochter, blöde Tochter“ so etwas habe ich nie von Herrn G. gehört. Das ist mir völlig fremd.“

Der Zeuge erklärt, Herr G. habe am 03.09.2010 Urlaub gehabt. Es habe noch „trouble am Flughafen“ gegeben. Herr G. habe den Zeugen früher selten, später nie aus dem Urlaub kontaktiert. Ob der Zeuge wüsste, dass Herr G. einen dringenden Statusbericht von dem Angeklagten angefordert habe, beantwortet dieser: „Nein, das ist mir nicht bekannt. Ich war selbst im Urlaub.“ Er habe noch einmal alles nachgesehen, aber keine Email dazu erhalten.

Statusberichte würden per Email versandt, in besonderen Situationen auch mal per Group Share. Ob Herr G. wisse, dass der Angeklagte angab, am Tattag einen Anruf von ihm erhalten zu haben, fragt Luczak. Ja, das wisse er. Auf Nachfrage, wie G. damit umginge, sagt der Zeuge: „Er ist sehr betroffen. Es kann schon sein, dass er ihm mal die Meinung gesagt hat. Dann hat er nachgeschaut und festgestellt, dass er Urlaub hatte. Die Situation belastet ihn noch sehr.“

Eine Richterin möchte wissen, an wen ein Statusbericht hätte verschickt werden müssen, wenn beide Vorgesetzte im Urlaub waren. Wochen- und Statusberichte würden dann an entsprechende Personen per Email verschickt. Wie es mit der Arbeitszeiterfassung von Zuhause funktionieren würde, fragt sie. Die Daten würden regelmäßig an das Sekretariat verschickt, äußert Dieter G. Warum der Angeklagte aus einem Projekt herausgenommen wurde, möchte die Richterin wissen. Olaf H. habe sich um das „Self for Service“ Projekt kümmern sollen. Aus dem Re-import Projekt sei er auf Bitte von Herrn G. abgezogen worden.

Die Frage von Staatsanwältin Silke Naumann, ob der Zeuge Kenntnis davon habe, an wen Olaf H. die Statusberichte verschickt hätte, verneint er. Auf Nachfrage des Rechtsanwaltes der Nebenkläger, Vertreter RA Klug wie diese Berichte verschickt würden sagt der Zeuge: „In der Regel per Email.“ Noch einmal hakt Herr Klug nach: „Wurde Olaf H. auf Betreiben von Herrn G. bis zum 30.09.10 in Ihrem Bereich beschäftigt?“ Diese Frage beantwortet Dieter G. damit, dass es genau so sei, wie er zuvor ausgesagt habe.

Der Strafverteidiger Meister möchte wissen, wie der Angeklagte es aufgefasst habe, aus den Themen herausgenommen worden zu sein. „Er war nicht begeistert. Es war die klare Erwartung an mich gerichtet, dass ich Herrn H. für das Self for Service Projekt freischaufele.“ In dem Re-import Projekt sei ein Backlog (Anm. der Journalistin: Rückstand), der immer mit Olaf H. in Verbindung gestanden habe. „Hat Herr H. den Abzug aus dem Projekt als Kompetenzentzug gewertet?“ fragt Gerd Meister. „Ja, so hat er es aufgefasst.“ wertet der Zeuge.

Drei Projekte in denen der Angeklagte involviert gewesen sei, liefen schlecht. Also wurde er raus genommen. Es gäbe doch so viele englische Fachbegriffe im Unternehmen, sagt Meister und will wissen, wie das „Standing von Herrn H. bei Herrn G. gewesen“ sei. „Das müssen Sie ihn selbst fragen.“ kommt die schnelle Antwort. „Wurden Gespräche mit Ihnen und Herrn G. über Herrn H. geführt?“ „Herr G. hat zum Ausdruck gebracht, dass Herr H. nicht sehr strukturiert ist.“

„Herr H. wurde am 1. Juli 2010 von Herrn G. drastisch angesprochen. Auch wenn er keine entsprechenden Worte geäußert hat, kann es sein, dass Herr H. durch den Tonfall von Herrn G. ein schlechtes Gefühl bekommen hat?“ setzt Meister nach. Olaf H. sei betroffen gewesen, sagt Dieter G. Ob es möglich sei, dass jeder im Team gewusst habe, wer gemeint ist, wenn es Defizite im Projekt gab, ohne die Person konkret anzusprechen. Das habe es schon gegeben, aber es wurde niemand persönlich angesprochen, erwidert der Zeuge.

Nach der Zeugenentlassung erörtern die Richter noch kurz die Fahrtstrecke vom Abgreif- zum Ablageort. Es ist 12:45 Uhr. Eine fünfundvierzig minütige Pause wird angesetzt. Die Hauptverhandlung wird tatsächlich um 13:42 mit einer weiteren Zeugenbefragung fortgesetzt. In der Pause äußern erboste Zuschauer: „Der lügt, dass sich die Balken biegen.“ oder „Der zieht da eine totale Show ab.“ und meinen damit den Angeklagten. Eine Zuschauerin kann ihre Tränen nicht verbergen. Sie ist sichtlich berührt.

Es folgt der Moment, auf den viele gewartet haben: Herr G., der angeblich Auslöser der Tat gewesen sein soll, sagt aus. Der Angeklagte wirkt aufgewühlt und darum bemüht, seinen Zustand zu verbergen. Zum ersten Mal schafft er es nicht, einen Zeugen über eine längere Zeit direkt anzuschauen. Seine Augen gehen unruhig hin und her. Sein Blick streift einige Male das Publikum.

„Seit wann kennen Sie Herrn H. und seit wann ist er Ihr Mitarbeiter?“ fragt Richter Luczak. Die Aufgabe des Angeklagten sei es, federführend die Koordination seiner Projekte sicher zu stellen. Er sei Bereichsleiter für das Geschäftsfeld Prozesse gewesen, dabei habe es immer wieder Berührungspunkte gegeben. „Im Rahmen der Umorganisation war ich für die operative Steuerung zuständig. Olaf H. war ein Kandidat. Es gab ein informelles Treffen. Als seine Organisationsebene wegfiel, ist Olaf H. bei mir in der Geschäftssteuerung gelandet.“

Jetzt gelingt es dem Angeklagten, den Zeugen zu fixieren. Es sieht aus, als schaue er durch ihn hindurch. Seine Mimik wirkt dabei wie versteinert. „Herr H. hat sich auf Dieter G.’s Stelle beworben und ist nicht angenommen worden. Wie ging es dann weiter?“ Der Zeuge erklärt, dass es einige kritische Geschäftsvorgänge im Unternehmen gab und der Angeklagte deshalb unter anderem in einem Managementprojekt tätig gewesen sei. Er habe viel angenommen, sei „umtriebig“ gewesen.

Später, als es dann Kommunikationsprobleme gegeben habe, gab es erst Gespräche in der Form von „Ich wünsche mir…“ und so weiter. Dann wurde der Ton zunehmend schärfer, vor allem als der Vorgesetzte des eigenen Chefs Herrn G. auf die fehlende Dokumentation des Projektes ansprach. Bei seinen Erzählungen schaut der Zeuge den Angeklagten immer wieder an. Dieser zeigt kaum noch Reaktionen. „Nach der Email von Olaf H., in der er sich für die konstruktive Klärung bedankt hat, habe ich gedacht, alles wäre okay.“

Auf die Frage ob der Zeuge am Tattag mit Olaf H. gesprochen habe, folgt ein klares: „Nein! Das weiß ich so genau, weil ich gar nicht da war. Ich war im Urlaub. Das war mein letzter Tag in London. Ich hatte kein Diensthandy dabei, nur ein privates Handy. Von dem habe ich nicht angerufen. Ich war mit meiner Frau und zwei Neffen bei Harrods, um einen Hubschrauber umzutauschen. Luczak verweist auf das angebliche Gespräch mit Olaf H. und den Äußerungen über seine Tochter.

„Das Gespräch hat so nicht stattgefunden.“ kommentiert der Zeuge. Zwei Wochen zuvor hätte das sein können, aber er würde dabei nicht persönlich werden. Bei Problemen mit der Tochter oder Frau des Angeklagten sei er immer verständnisvoll gewesen. Auf die Frage von Richter Luczak, ob so ein Gespräch über die kranke Tochter zum Beispiel vier Wochen zuvor hätte stattfinden können, erinnert sich der Zeuge nicht.

Bis Kalenderwoche 30 seien die Berichte des Angeklagten in Ordnung gewesen. Dann sei Anfang August erst der Angeklagte und vom 15. August bis zum 5. September er selbst im Urlaub gewesen. Olaf H. schaut wieder umher, bleibt dabei still sitzen. Ob sein Vorgesetzter einen Bericht in diesem Zeitraum von ihm habe wolle, fragt Luczak den Zeugen. Dieser könne es nicht „reproduzieren“. Check-in am Londoner Flughafen sei um 17:20, Ankunft in München gegen 20:00 Uhr gewesen.

Der Vorsitzende wendet sich erneut an den Angeklagten: „Hat es dieses Telefonat gegeben?“ Dieser sagt: „Ich habe es so in Erinnerung.“ Luczak: „Das ist so wage formuliert.“ Olaf H. erwidert: „Sagen wir es so: Ich bin mir absolut sicher.“ Was es mit dem Facebook-Account auf sich habe, fragt der Vorsitzende den Zeugen. Er habe ihm das „Du“ angeboten und darauf eine Freundschaftsanfrage von dem Angeklagten in Facebook erhalten. „Ich habe ihn angerufen und gesagt, dass da für mich eine persönliche Grenze ist. Ich habe ihn dann in Facebook gesperrt, wie man das so macht.“ Der Zeuge hatte darauf hin den Eindruck, der Angeklagte fühle sich brüskiert.

Immer wieder schaut der Zeuge zu Olaf H. Dieser schaut weg und erst wieder zu ihm, wenn G. den Blick abwendet. Er starrt wieder durch ihn hindurch oder knapp an ihm vorbei nach unten mit starrer Mine. Luczak fragt den Zeugen, ob es ein Treffen gab, in dem er die Arbeitsweise des Angeklagten kritisiert habe, so dass dieser aufgestanden und gegangen sei. Aus der Täterakte liest der Vorsitzende vor: „Hatte großen Stress monatelang…Chef-Chef, der mich stark gestresst hat…Im Projekt auf Missstände hingewiesen…Nicht reagiert, als alles so eingetroffen ist, mich beim Chef angeschwärzt.“

Herr G erklärt: „In einem Service Level Agreement geht jeder an seine Grenze, wenn die Vereinbarung nicht eingehalten wird. Mit zwei Kollegen haben wir es dann wieder in den Griff bekommen, nachdem wir das Projekt Olaf H. entzogen und Action Items aufgestellt haben.“ Der Vorsitzende geht tiefer: „Herr H. äußerte, sie haben ihn noch bis zum Schluss eingebunden, auch als schon feststand, dass Herr H. einen anderen Job hat. Haben Sie darauf gedrungen?“ Der Zeuge erklärt, bis zum Abgabetermin habe es „business as usual“ gegeben. Herr G. schaut sich beim Reden immer wieder zu allen um. Selbst mit den Medienvertretern hält er einmal Augenkontakt.

Die Anfrage der Richterin, ob der Zeuge in die Geheimhaltung des Self for Service Projektes eingebunden sei, bejaht dieser. Staatsanwältin Silke Naumann will wissen, ob das Hinterlegen eines Berichtes auf dem Group Share Laufwerk so stattgefunden haben könne. G. antwortet: „Normalerweise werden die Bericht verschlüsselt per Email verschickt. Bei besonderer Geheimhaltung werden sich auch mal auf dem Laufwerk hinterlegt.“

Der Vertreter der Nebenkläger fragt, ob Herr G. jemals persönlich beleidigend gewesen sei. Die Frage beantwortet der Zeuge mit „Nein, nie.“ Auf die Frage des Gutachters nach dem Stresslevel des Angeklagten antwortet G.: „Gute Leistung muss erkennbar und reproduzierbar sein. Die Papierallergie ist eine Schwäche von Olaf H. Ich weiß nicht, ob das ein Dokumentationsproblem oder eine Unterlassungssünde war, weil er es nicht für wichtig hielt.“

Über die Beziehung der Kollegen zum Angeklagten sei er sich nicht sicher gewesen. Er habe gedacht, Olaf H. sei zum Beispiel mit einem Kollegen befreundet, von dem er später erfuhr, dass dem nicht so sei. „Hat Überforderung eine Rolle gespielt, ausgesprochen oder unausgesprochen?“ fragt der psychologische Gutachter Dr. Martin Albrecht weiter. „Jeder der eine neue Rolle annimmt, muss sich erst einmal finden, je nachdem wie er vorher unterwegs war. Olaf H. hat extrem viele Themen an sich gezogen, aber nicht so abgearbeitet.“

Der Gutachter fragt noch einmal, nach einer möglichen Überforderung des Angeklagten, worauf der Zeuge schildert, es habe am 01. Juli 2010 ein klares Gespräch gegeben: „Entweder Du änderst Dein Verhalten oder Du veränderst Dich selbst.“ Damit meint der Zeuge, er habe eine Anpassung von Olaf H. an die Umstände gefordert oder dieser solle sich konzernintern nach einem anderen Arbeitsplatz umschauen. „Ich bin sehr konkret in meinen Anforderungen.“

„Gab es nach dem 01.07.10 ein Telefonat, in dem eine Entspannung des persönlichen Konfliktes avisiert wurde?“ fragt Dr. Albrecht. „Es gab keine Versöhnung. Wir hatten keinen persönlichen Konflikt.“ Auf nochmalige Nachfrage des Gutachters antwortet der Zeuge: „Ich verstehe Ihre Frage nicht.“ Mit anderen Worten versucht der Gutachter erneut, die persönliche Situation des Angeklagten zu hinterfragen. „Nein. Es war immer fachlich. Ich hatte den Eindruck, das zentrale Selbstbild von Olaf H. ist betroffen.“ äußert G.

„Was war Ihr Eindruck, hat Herr H. sich als Held gefühlt?“ hinterfragt Gerd Meister. „Was weiß ich, was er fühlt.“ ist die spontane Antwort des Zeugen. Nochmal hakt der Strafverteidiger nach: „Ich möchte wissen, was SIE meinen.“ Jetzt äußert der Zeuge G. erneut: „Es hat ihn in seinem Selbstbild getroffen.“ Meister fragt den Zeugen: „Können Sie die Statusberichte auf dem Group Share und die Einzelverbindungsnachweise Ihres Diensthandys reproduzieren?“ Einzelverbindungsnachweise von seinem Firmenhandy habe er nicht. Weitere Fragen von Silke Naumann nach dem Group Share liefern kein zielführendes Ergebnis. Die Zeugenbefragung wird beendet.

Der psychologische Gutachter Dr. Martin Albrecht hatte die Gelegenheit, mit dem Angeklagten fünfmal jeweils circa zwei Stunden zu sprechen. Die Angaben, welche ihm Olaf H. zum Tathergang schilderte, wurden in der Hauptverhandlung bereits zu Prozessbeginn verlesen. Dr. Albrecht wohnt jedem Verhandlungstag bei, um sich ein noch präziseres Bild vom Angeklagten machen zu können.

Er erbat eine einwöchige Pause. Die Zeugenvernehmungen sind vorerst abgeschlossen. Der Prozesstag am 12. September fällt aus. Die Hauptverhandlung wird am 16. September fortgesetzt. Am 19. September wird Dr. Martin Albrecht sein Gutachten der Kammer vorstellen.

8. Prozesstag: Keinerlei erhärteter Verdachtsmoment

Krefeld, 19.09.2011 Das Gericht überprüft heute, ob es möglich sei, dass der Angeklagte Olaf H. eine andere Person schützen könne, wie von einer Ex-Frau spekuliert wurde. Zu keinem Zeitpunkt wurde ein Verdacht erhärtet, der zur Entlastung von Olaf H. beigetragen hätte. Die weiteren Auswertungen und Zeugenbefragungen ergaben keine neuen Erkenntnisse oder Zweifel bezüglich der Täterschaft des Angeklagten.

Wieder sind am heutigen Prozesstag nicht alle Zuschauer- und Presseplätze im Sitzungssaal 167 des Krefelder Landgerichtes belegt. Welche Zeugen im Einzelnen in der Hauptversammlung gehört werden sollen, ist noch unklar. Bisher ist nur bekannt, dass ein Polizeibeamter zu den erneuten Vermessungen am Fahrradfundort befragt werden soll. Gabriele Reinartz, die Anwältin der Nebenkläger Sandra S. und Reinhard S. ist gemeinsam mit ihren Mandanten zugegen. Das Gericht, die Strafverteidigung, der Angeklagte Olaf H. und der psychologische Gutachter Dr. Martin Albrecht sind anwesend. Staatsanwältin Silke Naumann ist heute nicht vor Ort.

Richter Herbert Luczak, Vorsitzender Richter im Strafverfahren gegen Olaf H. eröffnet die Hauptverhandlung. Der Richter gedenkt in knappen Worten an den letzte Woche mit seinem Fahrzeug tödlich verunglückten Rechtsanwalt Ekkehard Klug, der Anwältin Reinartz bei drei Hauptverhandlungstagen vertrat. Luczak richtet seine erste Frage an die Strafverteidigung: „Die Kammer hat noch weitere Auswertungen in Auftrag gegeben. Möchte sich der Angeklagte dazu äußern?“ Gerd Meister erwidert: „Nur über mich. Das auf dem PC gefundene Material stammt nicht von Herrn H. Mehr möchte mein Mandant nicht dazu sagen.“

Erneut wird die zweite Ex-Ehefrau des Angeklagten als Zeugin aufgerufen. Begleitet ist sie von einem Beistand. Richter Luczak bedankt sich bei der Zeugin, für ihr kurzfristiges, erneutes Erscheinen. Er habe noch weitere Fragen an sie. Zuerst erfolgt die Zeugenbelehrung und Feststellung der Identität, dann weist der Vorsitzende darauf hin, dass die Zeugin auch als geschiedene Ehefrau zeugnisverweigerungsberechtigt sei. Die kommenden Fragen bezögen sich auf ihren geschiedenen Ehemann und eine weitere Person des näheren Umfeldes.

„Sie haben in der letzten Zeugenvernehmung Äußerungen getätigt, die Anlass zu Spekulationen gaben. Daran knüpfe ich an.“ Luczak möchte wissen, worauf sich die Äußerung der Zeugin „Olaf H. wolle vielleicht jemanden schützen“ bezieht und was die Grundlage dafür sei. Sie habe zwei Überlegungen, äußert die Zeugin: „Entweder gibt es zwei Persönlichkeiten oder er schützt jemanden.“ Wen er schützen könne, wisse sie nicht. Die Frage, ob das gefundene pornografische Material auf dem PC etwas mit ihrer Äußerung zu tun habe, verneint sie. „Das haben wir nachdem was die Beweise ergeben haben auch nicht geglaubt.“ bestätigt der Vorsitzende. Die Befragung ist damit beendet.

Vor der erneuten Befragung der weiteren Zeugin richtet Herbert Luczak das Wort an die Öffentlichkeit. Er habe zum Schutz der Zeugen diese zuvor nicht öffentlich benannt. Der Schutz der Zeugen sei in diesem Fall dem Recht der Öffentlichkeit auf Informationen vorzuziehen. An die Presse gerichtet verkündet er: „Dreschen Sie auf mich ein. Der Pressesprecher kann schon gar nichts dafür, denn dem habe ich nichts erzählt.“ (Anm. der Journalistin: Hier gilt es Grundrechte gegeneinander abzuwägen. Die Meinungs- und Pressefreiheit findet dort ihre Grenzen, wo Persönlichkeitsrechte anderer überwiegen (vgl. Artikel 5 (2) Grundgesetz (GG)). Die Intimsphäre ist der am stärksten geschützte Bereich der Persönlichkeit eines Menschen.)

Richter Luczak sagt der diesmal allein gekommenen Zeugin und letzten Ex-Frau des Angeklagten: „Es wird nicht lange dauern. Brauchen Sie einen Beistand?“ Diese Frage verneint die Zeugin. Olaf H. schaut seine Ex-Frau an, blickt nach unten, holt einen Brief aus seinem Jackett und legt ihn vor sich auf das Pult. Dann schaut er sie offensichtlich nachdenklich an. Luczak fragt nach der Anzahl der im Haushalt vorhandenen Computer und den jeweiligen Standorten. Auf einem Computer wurde kinderpornografisches Material gefunden.

Der Vorsitzende fragt die Zeugin nach psychologischen Gesprächen Ende letzten Jahres. Die Zeugin habe keine psychologischen Gespräche geführt. Olaf H. rümpft die Nase und kräuselt die Stirn. Diese Angaben hat der Angeklagte gemäß diverser Zeugenaussagen als Grund für seine kurzfristigen Absagen bei beruflichen Terminen gemacht. Auf die Nachfrage einer hauptamtlichen Richterin, ob sonstige Behandlungen erfolgten und auch auf die Frage des Strafverteidigers, ob es Beratungsgespräche gab, folgt ein klares: „Nein.“

Für die weitere Befragung der Zeugin und die Befragung eines weiteren, minderjährigen Zeugen wird die Öffentlichkeit gemäß Kammerbeschluss nach § 171 b (1) des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) und nach § 172 Nr. 4 GVG ausgeschlossen. Eine öffentliche Erörterung würde schutzwürdige Interessen der Zeugen verletzen. Das öffentliche Interesse an der Beantwortung einzelner Fragen überwiegt nicht. Die Zeugen haben dem Ausschluss der Öffentlichkeit nicht widersprochen. Darüber hinaus hat das Gericht das Recht, bei der Vernehmung von Minderjährigen die Öffentlichkeit auszuschließen.

Nach erneutem Einlass in den Saal wird die Hauptverhandlung um 10:33 Uhr vor der Öffentlichkeit fortgesetzt. Herbert Luczak weist noch einmal darauf hin, dass es keinerlei Anlass dafür gebe, dass der Angeklagte jemanden schützen wolle. Zwei zu den PC-Daten auf Abruf geladene Zeugen und Kollegen von Ingo Thiel, Leiter der damaligen SoKo Mirco, warten darauf, in den Zeugenstand gerufen zu werden. Ingo Thiel, der als Prozessbeobachter der Polizei Mönchengladbach den Prozess von Beginn an verfolgt, sitzt in den hintersten Reihen. „Herr Thiel Ihre Kollegen brauchen nicht mehr gehört zu werden. Sie können eben von hier aus Bescheid geben. Da habe ich kein Problem mit. Wir warten so lange.“ ruft der Vorsitzende dem Chef-Ermittler zu.

Als letzter Zeuge ist der 50-jährige Jürgen Theißen von der Polizei Mönchengladbach geladen. Er leitete die Spurensicherung der SoKo Mirco und die erneuten Vermessungen am Fundort des Fahrrades. Richter Luczak bittet den Kriminalbeamten nach vorn. Dieser erklärt dem Gericht sowie der verbleibenden Staatsanwältin, der Vertreterin der Nebenkläger und der Strafverteidigung den Ablauf und die Auswertung der Vermessungen. Der Angeklagte schaut zu den Beteiligten nach vorn, dann schaut er auf den Boden und in die Luft und einmal kurz zu den Eltern des Opfers. Zwischendurch zwinkert er stark.

Drei längliche Fotos werden in Augenschein genommen. Angaben dazu werden verlesen. Olaf H. stützt sich auf seine Faust und kräuselt leicht die Stirn. Er beobachtet Richter Luczak und einen Schöffen dabei scheinbar genau. Vor der Entlassung des Zeugen sagt der Vorsitzende: „Wir können nicht zentimetergenau die Wirklichkeit darstellen. Wir können aber das, was die Zeugen gesagt haben, in etwa abgreifen.“

Richter Herbert Luczak kommt auf die angeforderten Unterlagen von Olaf H.’s Vorgesetzten Herrn G. zu sprechen. Diese liegen jetzt vor. Die Beteiligten erklären Ihr Einverständnis mit der Verlesung der vom Zeugen G. übersandten Unterlagen und Erklärungen. Der Kammerbeschluss nach § 249 (1) Strafprozessordnung (StPO) in Verbindung mit § 251 (1) Nr. 1 StPO wird aktenkundig festgehalten.

Die Auswertungen der privaten Mobilfunkrechnungen von Zeuge G., seiner Frau und deren Sohn sowie die Auswertung des Diensthandys von G. ergeben keine angefallenen Auslandsgebühren für den 03. September 2011. An diesem Tag befand sich der Zeuge mit seiner Familie in London. Die Auswertung der Group Share Laufwerke bei der Telekom dauert aufgrund der Größe von einigen Gigabyte noch bis Freitag oder spätestens kommenden Montag an.

Der Vorsitzende weist darauf hin, dass das Gesetz vorsieht, dem psychologischen Gutachter Anknüpfungstatsachen für das Gutachten an die Hand zu geben. (Anm. der Journalistin: Laut eines von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatzes muss der Gutachter in seinem Gutachten das in der Hauptverhandlung gefundene Beweisergebnis entsprechend würdigen, auf vom Gericht vorgegebene Sachverhaltsvarianten eingehen und darlegen, unter welchen Untersuchungsmethoden und Denkmodellen er zu seinem Ergebnis kommt.)

Als alternative Sachverhalte gibt der Richter vor: Der Anklagepunkt der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte habe die Tötung wegen der Verärgerung über eine ausgebliebene Erektion durchgeführt, solle nicht berücksichtigt werden, da nicht von diesem Umstand auszugehen sei. Vorbehaltlich dessen, dass ein Telefonat am Tattag mit dem Vorgesetzten G. nicht stattgefunden habe, solle im Gutachten davon ausgegangen werden, dass es dieses Telefongespräch nicht gegeben habe. Dies sei die vorläufige Aussage aufgrund des derzeitigen Kenntnisstandes schränkt Luczak ein. Olaf H. schaut aus dem Fenster und dann zum Gutachter.

Der Vorsitzende gibt vor, dass Dr. Martin Albrecht nicht davon ausgehen solle, dass der Angeklagte am Abgreifort stand, weil er „austreten“ wolle. Es sei weiterhin nicht davon auszugehen, dass ein Zusammentreffen mit dem Jungen zufällig gewesen sei. Herbert Luczak sagt dann zu Dr. Albrecht: „Sollten Sie noch etwas aus fachlicher Sicht beitragen wollen, können Sie das gerne sagen.“

Als Anregung für eine Anknüpfungstatsache gibt Gerd Meister noch die berufliche Überlastung seines Mandanten zu bedenken. Er sei nach den Worten des Vorgesetzten „in seinem Selbstbild getroffen“. „Mein Mandant ist sicher, dass dieses Gespräch stattgefunden hat. Es kann auch vorher stattgefunden haben.“ Luczak erwidert: „Herr H. hat die Position von Dieter G. (Anm.: erster Vorgesetzter) nicht bekommen, weil Herr G. Dieter G. bevorzugt hat. Es ist klar, dass er geknickt war.“

Andererseits seien beide Vorgesetzte zum Tatzeitpunkt im Urlaub gewesen und der Angeklagte habe bereits die Zusage für eine neue Tätigkeit in Bonn gehabt. „Das können wir noch ad-hoc diskutieren.“ wirft der psychologische Gutachter ein. „Herr H. war in seinem neuen Betätigungsfeld anders als sonst. Er hatte Ausreden, erschien nicht zur Arbeit.“ gibt Gerd Meister zu bedenken.

„Er hat auch ein Kind getötet.“ äußert der Vorsitzende spontan. Der Strafverteidiger meine, eine Verhaltensänderung sei bereits zuvor ersichtlich gewesen. „Das können wir dann sehen.“ erwidert Luczak. Die Beteiligten sind einverstanden. Dr. Martin Albrecht schließt das Thema Anknüpfungspunkte mit den Worten „Das wird entsprechend berücksichtigt.“ ab.

Gerd Meister bemängelt, dass es keine Auswertung zu den Handydaten im Firmenfahrzeug von Olaf H. gab. „Fragen Sie Herrn Thiel außerhalb der Sitzung. Wenn es dann noch etwas einzufügen gibt, sagen Sie es, Herr Meister.“ Mit dem Einverständnis aller Beteiligten erfolgt der nächste Kammerbeschluss nach § 251 (1) Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 256 (1) Nr. 5 StPO. Es wird die Ausbuchung von Mircos Mobiltelefon aus dem E-Plus-Netz am 03.09.2011 um 23:18 Uhr im Raum Wachtendonk verlesen.

Eine hauptamtliche Richterin liest aus der Hauptakte/Täterakte den Antrag von Olaf H. auf Gehaltsumwandlung für ein neues Firmenfahrzeug vor. Des weiteren befindet sich dort die schriftliche Antwort des Angeklagten vom 15.01.11, in der er zugesteht, der Führer des besagten Passat-Firmenfahrzeuges gewesen zu sein (siehe Vorberichte) und seine persönlichen Kontaktdaten mitteilt. Die heutige Hauptverhandlung wird durch Richter Luczak um 11:22 Uhr beendet.

Zum nächsten Hauptverhandlungstermin wird der psychologische Gutachter Dr. Martin Albrecht sein Gutachten vortragen. Dabei wird es vor allem auch um die Feststellung gehen, ob eine besondere Schwere der Schuld vorliegt. Die Plädoyers werden nach jetzigem Stand am 26.09.2011 gehalten. Die Urteilsverkündung erfolgt nach derzeitiger Planung am 29.09.2011 um 13:00 U

9. Prozesstag: Olaf H. voll schuldfähig

Krefeld, 23.09.2011 Der Gutachter Dr. Martin Albrecht erläutert sein Gutachten über die Schuldfähigkeit des Angeklagten Olaf H., der am 03. September 2010 den damals 10-jährigen Mirco aus Grefrath entführt, missbraucht und ermordet haben soll.

Es herrscht reger Andrang im Sitzungssaal 167 des Krefelder Landgerichtes. Heute stellt der psychiatrische Gutachter sein Gutachten über den Angeklagten vor. Der Vorsitzende Richter Herbert Luczak setzt die Hauptverhandlung am heutigen Prozesstag mit den folgenden Worten fort: „Gestern wurde die Auskunft der Telekom über die Auswertungen des Group Share Laufwerks mitgeteilt.“ Alle Beteiligten sind mit der Verlesung der Email der Zeugin vom 22.09.2011 einverstanden. Es erfolgt ein Kammerbeschluss nach § 251 (1) Nr. 1 StPO.

Die Zeugin erklärt in ihrer Email, sie komme auf die Anfrage bezüglich des Group Share Laufwerkes zurück. Das Laufwerk sei ergebnislos gesichtet. Der Angeklagte habe am 03.09.2010 keine Daten dort abgelegt. Olaf H. schaut regungslos auf Richter Luczak der diesen mit den Worten anspricht: „Herr H. möchten Sie uns noch etwas anderes zum 03.09.2010 sagen, insbesondere wie Ihre Verfassung an diesem Tag war?“ „Nein.“ lautet die knappe Antwort.

„Ich will Sie auch nicht drängen.“ sagt Luczak. Er wolle dem Angeklagten aber die Möglichkeit eröffnen, sich vor dem Gutachten noch zu äußern. „Sie werden nicht als sicher davon ausgehen können, dass wir das Telefonat mit Herrn G. bestätigen oder dies nicht sicher ausschließen können.“ Der Richter weist darauf hin, dass Olaf H. so ein Gespräch in seiner ersten Vernehmung eingeräumt habe, dieses fünf Tage später am 01.02.2011 gar nicht mehr erwähnt und es auf Nachfrage eines Vernehmungsbeamten später als „unangenehm“ beschrieb, es bei den Gesprächen mit Dr. Albrecht wieder nicht erwähnt und vor Gericht dann den exakten Wortlaut vorgetragen habe. „Das könnte für sich genommen schon ein Indiz sein, dass das Gespräch nicht stattgefunden hat.“ äußert der Richter. Er weist darauf hin, dass weder die Vernehmung des Herrn G. einen Anlass dazu gab, dass ein derartiges Gespräch tatsächlich stattgefunden habe, noch dass die angeblich aufgrund des Gespräches auf dem Group Share Laufwerk abgelegten Daten gefunden wurden.

„Es ist der Versuch, uns anzunähern. Wir haben nie gesagt, dass wir den Sachverhalt aufklären werden.“ so Luczak. Ob eine generelle Veranlagung zu der Tat führte oder ob diese situativ bedingt sei, gelte es herauszufinden. „Wenn es etwas zu klären gibt, dann jetzt und hier vor dem Gutachten. Wenn es offen bleibt, ob Sie weiterhin gefährlich bleiben, dann können wir nicht die Entscheidung treffen, dass Sie nicht mehr gefährlich sind.“ richtet der Vorsitzende seine Worte an den Angeklagten. „Das soll keine Drohung sein. Ich will nur darstellen, wie Ihre Situation ist.“

Ob es im sexuellen Bereich mit seiner Frau doch noch mehr gebe, als der Angeklagte bisher gesagt habe, möchte Luczak wissen. „Nein.“ kommt von Olaf H. direkt. Der Vorsitzende gibt klar zu verstehen, dass einige Dinge nicht passen würden. Den alternativen Kindernamen „Mike“ habe es während der Schwangerschaft seiner Frau nicht gegeben. „Das nährt die Vermutung, ob sie nicht vorher doch am Skaterplatz waren und den Namen „Mike“ von Mircos Freund gehört haben.“

Olaf H. schaut ratsuchend zu seinem Anwalt und sagt dann erneut „Nein.“ „Ok. Ich wollte Ihnen die Chance geben, noch etwas dazu zu sagen. Dann kommen wir jetzt zum Gutachten.“ Der psychiatrische Gutachter Dr. Martin Albrecht wird in den Zeugenstand gerufen. Er verzichtet auf seine Unterlagen und hustet ordentlich bevor er beginnt, frei zu sprechen: „Ich habe Herrn H. zur Frage der Verantwortlichkeit untersucht.“ Dr. Albrecht erklärt, er habe fünf Begegnungen mit dem Angeklagten gehabt, zahlreiche Zeugenaussagen gehört und Akten studiert.

Als psychiatrischer Sachverständiger habe er im Rahmen des Gutachtens einen eindeutigen Sexualdelikt mit anschließender Kindstötung nicht feststellen können. Nach psychiatrischer Einschätzung gebe es unterschiedliche Prognosen bezüglich einer sadistisch-sexuellen Komponente. Rückschlüsse aufgrund von Spuren ließen sich nicht schließen. „Üblicherweise ist es so, dass Täter die so eine Tat begangen haben, die Tat verschleiern. Es besteht eine Normalisierungstendenz. Der Täter möchte sich so normal wie möglich darstellen und seine Handlungen gar nicht erst ins Spiel bringen.“

Die Aussagevarianten von Olaf H. ließen eine eindeutige Aussageentwicklung erkennen. „Von kompletter Leugnung bis zum Teilgeständnis wurde das Tatgeschehen nach und nach eingeräumt. Unter anderem kam ein Tatwerkzeug, eine Plastikschnur, zum Einsatz.“ Dies könne den Eindruck eines sexuell-aggressiven Verhaltens erwecken. Olaf H. schaut interessiert zu Dr. Albrecht.

Das Herumfahren in der Gegend, auch als „Cruising“ bezeichnet sei „Eine Verhaltensweise wie wenn ein Jäger Beute aufsuchen möchte.“ Es sei eine beträchtliche Strecke zurück gelegt worden, die weit von einer Erholungsfahrt entfernt gewesen sei. „Man weiß, dass dieses Herumfahren und Opfersuchen dazu geeignet ist, Phantasien durchzuspielen.“ so der Gutachter.

Eine Vortatsphase sei im vorliegenden Fall zu erkennen. Dies sei besonders wichtig im Hinblick auf die Einschätzung der Tat auch im Zusammenhang mit der Aussageentwicklung und neuer Explorationen (Anm. der Journalistin: Gezielte Befragung des Angeklagten zur Ermittlung von Persönlichkeits- und Charaktermerkmalen sowie zur Beseitigung von Unklarheiten).

Der Angeklagte habe eine hohe Abwehrreaktion bezüglich der Aufklärungsbemühungen der Tatumstände gezeigt. „Es bestand eine ganz massive Abwehr gegen psychodiagnostische Untersuchungen. Diese sind bei ihm auf wenig Gegenliebe gestoßen. Er hatte wenig Lust, an diesen Tests teilzunehmen.“ Nach Einschätzung von Dr. Albrecht sei Olaf H. verunsichert, zu welchen Ergebnissen die Auswertung solcher Tests führen könnte. Zur Persönlichkeitsdiagnostik und zum Tatgeschehen gab es eine große Abwehr. „Es gab nur sehr unpräzise und unverbindliche Aussagen von Herrn H.“

Bevor Dr. Albrecht weiter auf das Täterprofil eingeht, erläutert er allgemeine kriminologische und psychiatrische Verfahrensweisen und die Erkenntnisse, welche sich daraus ableiten lassen. „Pädosexuelle Handlungen führen nur in den seltensten Fällen zur Kindstötung.“ stellt der Gutachter fest. Empirisch ließen sich zwei Arten von Kindstötung unterscheiden: Die Verdeckungstat und die sadistische Handlung. Statistisch sei die sadistisch veranlagte Tat eher selten.

Ein sadistischer Täter sei in der Regel völlig unauffällig. Nachbarn würden ihm eine solche Tat nicht zutrauen. „Sie haben normale Biographien, normale Anpassungsleistungen und keine auffälligen Neigungen.“ Dies sei bei Verdeckungstätern anders: „Ihnen misslingt im Allgemeinen die soziale Anpassung. Sie fallen häufiger durch frühere, kriminelle Tätigkeiten auf.“

Sie seien in ihrer Sexualität häufig früher sexuell auffällig gewesen. Sie haben häufiger Beziehungskonflikte. Es bestünde eine sexuelle Unsicherheit, die Siegmund Freud als „polymorph“ bezeichnete. Weiterhin festzuhalten sei, dass sexuell destruktive Täter nach neueren Untersuchungen nicht häufiger früher selbst misshandelt wurden. Nach der Salter-Studie aus London führen Missbrauchserlebnisse im Kindesalter nicht zur Pädophilie. „Missbrauch ist kein Grund für eine spätere Tat.“

Tatwerkzeuge mit sich zu führen, deute auf eine sadistische Tat hin. „Es hat sich bei sexuell destruktiven Tätern herausgestellt, dass Sex eine frühe Art der Belohnung ist.“ Sex sei der Weg, mit ihren Konflikten umzugehen. Bei sadistisch destruktiven Tätern haben sich längerfristige Gefühl wie Hass aufgestaut. Es gebe nur eine sehr kleine Tätergruppe mit pädosexuellen Tötungsdelikten, in etwa fünf Fälle pro Jahr. Der eigentlich Pädophile übe in der Regel keine sexuelle Gewalt aus. Kindstötungen erfolgen üblicherweise von Tätern, die nicht pädophil sind. Häufig seien diese Täter durch kleinkriminelle Tätigkeiten, wie unter anderem das Fahren ohne Führerschein, aufgefallen. „Täter, die ihre Opfer vorher nicht kannten, sind die gefährlichsten.“

Pädophilie sei im vorliegenden Fall auszuklammern. Anfangs habe sich der Gutachter mit dieser Möglichkeit befasst, könne jetzt aber ausschließen, dass Olaf H. pädophil sei. „Auf keinen Fall ist er ein pädophiler Mensch.“ Bei dem gefundenen pornografischen Material handle es sich um Material, welches nicht beweisend für Kinderpornographie ist. „Solches Material finden Sie bei vielen anderen auch. Es kann ihm zudem nicht eindeutig zugeschrieben werden.“

Bei den meisten pädosexuellen Tätern käme es nicht zum Geschlechtsverkehr, wie angeblich im vorliegenden Fall, sondern zu Manipulationen an Geschlechtsteilen. Fremde Täter würden in der Mehrzahl Analverkehr bevorzugen. Bei sadistisch veranlagten Tätern stehe die Sexualität nicht im Vordergrund. Es käme häufig zu Impotenzerscheinungen wie im vorliegenden Fall. „Die Erregung betrifft andere Bereiche.“ sagt Dr. Martin Albrecht. Es gehe darum, die Ohnmacht des Opfers auszukosten. „Es geht um das Gefühl und die Macht, über eine andere Person total verfügen zu können.“ Dies würde dem nahe kommen, was Olaf H. geäußert habe. Es würde auch dazu passen, dass rein sexuelle Handlungen nicht vordergründig waren.

Olaf H. stützt den Kopf auf seine Hand, runzelt leicht die Stirn. Es wirkt, als denke er nach. „Fachfremde können sich nicht vorstellen, dass so ein Mensch normal und unauffällig lebt.“ führt der Gutachter fort. Er führt auf, was der Angeklagte ihm zu Anfang geschildert habe. Olaf H. komme aus geordneten Verhältnissen, habe eine enge Beziehung zu dem mittlerweile verstorbenen Vater gehabt und sei normal aufgewachsen. Bei den Ausführungen zu den Familienverhältnissen des Angeklagten hört dieser interessiert zu. Albrecht führt fort wie Olaf H. aus gesundheitlichen Gründen, wegen eines Schattens auf der Lunge das Gymnasium abgebrochen und mühelos und erfolgreich die Realschule abgeschlossen habe. „Das Fazit über die Berufsbiographie ist unauffällig, normal, ehrgeizig. Erfolg hat sich abgezeichnet.“

Dr. Albrecht kippelt zwischenzeitlich immer wieder auf seinem Stuhl während er erzählt: „Noch anzumerken ist, dass Herr H. insgesamt drei Ehen hinter sich gebracht hat.“ Bei der ersten Ehe, aus der ein Sohn hervor ging, sei er noch unreif gewesen. Als Grund für die Auflösung der Ehe vermutete die erste Ehefrau eine neue Beziehung des Angeklagten. Die zweite Ehe sei an Olaf H.’s Unfähigkeit mit Geld umzugehen gescheitert. Die letzte Ehe habe ihm der Angeklagte als gefühlvollste und intensivste beschrieben.

Der Gutachter listet die Fakten auf: 1. Olaf H. sei von seinen Ex-Ehepartnerinnen als liebevoller und fürsorglicher Ehemann und Vater wahrgenommen worden. 2. Es habe keine Neigungen zu Gewalt oder Aggressionen in den Ehen gegeben. 3. Es gebe keine Hinweise auf sexuelle Besonderheiten. „Es kann von normalen, heterosexuellen Beziehungen ausgegangen werden.“ wertet Dr. Martin Albrecht.

Auch die Schwiegereltern haben den Angeklagten als angenehmen, liebevollen Menschen erlebt. Das Fazit daraus sei, dass der Angeklagte bis zur Begehung der Straftat sehr bemüht um alles gewesen sei. Es habe keine Auffälligkeiten gegeben. „Gravierende Erkrankungen irgendeiner Art sind ausgeschlossen. Es gibt aber eine Tendenz zu psychosomatischen Störungen. Es bewahrheitet sich, was Kröber 2005 gesagt hat: Bei Tätern, wo der familiäre Hintergrund nicht auffällig war, gibt es im Wesentlichen keine Erklärungsmodelle aus familiären Hintergründen.“

Die Befragungen der Berufskollegen und –kolleginnen sei begrenzt ergiebig gewesen. „Für mich hat sich herausgestellt, dass er ganz sicherlich vom Anforderungsprofil seiner Tätigkeit gewachsen ist. Seine Intelligenz ist überdurchschnittlich.“ Er habe seine Aufgaben nicht immer zuverlässig erledigt. Seine Dokumentation sei schlecht gewesen. Der Angeklagte sei manchmal arrogant gewesen und habe Unterschiede bei den Kollegen gemacht.

Die Wuppertaler Gruppe sei nicht seine Lieblingsgruppe. „Die Aussagen der Kollegen geben null Aufschluss darüber, warum so ein Mensch solch eine Tat durchführt.“ Olaf H. habe eine leicht dissoziale Komponente, sei passiv dissozial, so der Gutachter. „Dazu gehört berufliche Termine nicht einzuhalten, Lügen. Das zeigt eine leicht dissoziale Tendenz.“ Privat sei er positiv, beruflich normal aufgefallen. „Daraus lässt sich nichts ableiten.“

Zu den gutachterlichen Befundergebnissen merkt Dr. Albrecht an: „Die Erhebung war nicht ganz einfach. Er war mir freundlich zugewandt. Wenn es in die Tiefe ging hat er geblockt.“ Die Persönlichkeitstests seien gerade noch so verwertbar. Eine sehr massive Abwehrhaltung habe es gegen die Fragerei gegeben. Bei ca. 300 Fragen zur Sexualität sei der Test nicht auswertbar, da viele Fragen nicht beantwortet wurden. „Das war insbesondere auch bei den Schilderungen des Tatgeschehens der Fall. Er wollte keine Geschichten erzählen, hat aber eine Geschichte weit ab der Realität erzählt.“ Als Beispiel nennt der Gutachter die Schilderung, dass Mirco in seinen Armen zusammengesackt sei.

Im Intelligenztest sei der Angeklagte im Verbalteil auf einen Wert von 140 und im Handlungsteil auf den Wert 131 gekommen. Als Gesamt IQ sei der Wert 138 ermittelt worden. Das entspräche einer Hochbegabung. Es sei völlig unwahrscheinlich, dass Olaf H. intellektuell überfordert gewesen sei. „Hirnorganische Schäden spielen keine Rolle.“ Zwar wären bei Auswertungen im Kernspintomographen mitunter Defizite bei Pädophilen festgestellt worden, es gebe aber eine Vielzahl anderer Erklärungsansätze, wie neurobiologische, tiefenpsychologische und dynamische Ansätze.

Pädophilie sei auch unter Drogen vorübergehend möglich. Diese Neigung sei zum Beispiel bei einem Düsseldorfer Manager, nachdem er keine Drogen mehr nahm, weg. Bei einem Hirnturmor sei einmal eine Pädophilie kurzfristig aufgetreten und nach dem Entfernen des Tumors wieder weg gewesen. „Eine einheitliche Theorie bezüglich Pädosexualität und Hirnorganik liegt nicht vor.“ Bei mehreren Tests habe Olaf H. nicht alle Fragen beantwortet. Die Fragen, die er beantwortet hat, lägen im Normbereich. Zu dem Grinsen des Angeklagten äußert Dr. Albrecht: „Da kann ich nur sagen, nach so einer Tat und hier in der Öffentlichkeit, da gibt es kein richtiges Gesicht dafür.

Bei den 600 Fragen aus allen Lebensbereichen sei die Abwehr des Angeklagten sehr hoch gewesen. Er sei ein eher unflexibler Mensch mit teilweise naiven Abwehrmechanismen, wie Verleumdungs- und Verdrängungstendenzen. Er sei wenig kooperativ, wehre ab. Er sei ein Mensch mit Ängsten, dem die Erledigung von Alltagsaufgaben mitunter schwierig falle. Ihm fehle der Schwung. Im Zusammenhang mit einer zwanghaften Komponente, welche durch einen leicht erhöhten Wert von 74 auf der Skala (bis 70 sei normal), könne sich die Belastung erklären.

„Herr H. ist ein Mensch mit wenig Widerstandskraft bei Stress oder Belastung. Ein Mensch der eher bindungsarm außerhalb des familiären Umfelds ist.“ Er sei chronisch beunruhigt und verunsichert. Er habe leichte paranoide Züge, die nicht krankhaft seien. „Das ist interessant mit Hinblick auf die Tat.“ äußert der Gutachter.

„Psychiatrisch gesehen ist er als völlig gesund und normal einzuschätzen.“ Er habe einen akzentuierten Charakter und hysterische, dissoziale, zwanghafte Züge. Er neige bei Druck zu Rückzug. „Übersetzt in Paragraphen bedeutet dies: Er ist voll schuldfähig. Er hat keine psychische Erkrankung. Es gibt keine Hinweise auf Persönlichkeitsdefizite, keine körperlichen Beeinträchtigungen, keinen verminderten IQ und keinen Hinweis auf eine fixierte, sexuelle Tendenz dauerhafter Art.“ Eine kurzweilige fixierte, sexuelle Tendenz sei nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich.

Zur Tatzeit und dem Tatzeitverhalten gibt der psychiatrische Gutachter Dr. Martin Albrecht einen kleinen, theoretischen Exkurs. Er verweist auf das von Eberhard Schorsch untersuchte Phänomen der sexuell motivierten Tötungsaspekte und einer sadistischen Entwicklung. Demnach führen Menschen, die Kinder so zu Tode bringen ein völlig unauffällig, soziales Leben. Olaf H. kratzt sich an der Wange, schaut vom Gutachter zum Richter stützt dann den Kopf auf.

„Ein narzisstischer Rückzug ist als Abwehrschritt notwendig.“ Dann würde die Abspaltung und Sexualisierung der Aggressivität erfolgen. Diese Aggression sei dann an die Sexualität der Person gebunden. Sie sei im Alltag neutralisiert, wie eine Art Plombenbildung. „Die Sexualität ist vom ICH abgespalten. Die Person muss dauerhaft beide Bereiche getrennt halten.“ Olaf H. schaut auf seinem Kopf gestützt immer wieder vom Gutachter zum Boden.

Bei Personen ohne fixierte sadistische Komponente, sei eine Impulshandlung anzunehmen. Das benötige situative Druckmomente. „Hier stelle ich es mir so vor: Durch beruflichen Druck gab es eine besondere Belastung, die zu einer abgespaltenen Labilität führte.“ Aus medizinisch-psychologischer Sicht sei davon auszugehen, dass diese Selbstwertbelastung eine labialisierende Situation geschaffen habe.

„Beim Angeklagten müssen sich entsprechende Phantasien eingestellt haben. Der Missbrauch an Kindern mit sadistischer Motivation stellt zwar eine sexuelle Komponente dar, ist aber nicht vordergründig. Es ging um Demütigung und Kontrolle.“ Dies sei die wahrscheinlichste Sichtweise des Tatgeschehens. „Diese Version lässt sich allerdings nicht beweisen.“ Es sei keine psychiatrische Frage, ob es eine sexuell aggressive Tat oder eine Verdeckungstat sei. Dies sei eine Beweiswürdigungsfrage. Wenn es eine Verdeckungstat wäre, sei die rechtliche Frage leichter zu beantworten.

Eine krankheitsbedingte Störung sei auszuschließen. „Eine Begründbarkeit zur Handlungsunfähigkeit gibt es nicht.“ Wenn dann könne allenfalls bei einer sadistischen Entwicklung darüber gestritten werden, ob eine Schuldminderung möglich sei.

Dr. Martin Albrecht erläutert am Schluss seines Gutachtens sein Fazit: „Die Täterpersönlichkeit ist als gesund, normal einzustufen. Die Tat ist als etwas einzustufen, das mit der üblichen Persönlichkeit nicht korrespondiert. Die Schuldfähigkeit besteht voll.“ Olaf H. schaut ins Publikum. Er wirkt dabei sehr traurig.

Das Gutachten ist beendet. Vor der weiteren Befragung des Gutachters ordnet Richter Luczak eine 10-minütige Pause an. Nach der Pause fragt der Vorsitzende Richter Herbert Luczak den psychologischen Gutachter Dr. Martin Albrecht: „Ich habe eine Frage in Anknüpfung an die Aussage der Ehefrau, Herr H. hat mehrfach den Wunsch nach Analsex geäußert, aber keinen Druck ausgeübt. Ist das ein Hinweis auf Pädophilie?“

„Nein. Analsex ist etwas sehr verbreitetes.“ antwortet der Gutachter. Luczak möchte es genauer wissen: „Nochmal zur Pädophilie als Nebenströmung. Wie kommt man bei latentem, beruflichen Stress dazu, ein unterlegenes Opfer zu suchen und an diesem pädophile Handlungen vorzunehmen? Muss da nicht eine pädophile Richtung vorhanden sein?“

Dr. Albrecht beschreibt, dass unter einer Vielzahl von Menschen einer dabei sei, der so reagiere. „Was da vorliegen muss ist zweifellos eine Neigung, unter Stress Phantasien zu haben, die Kinder betreffen.“ Es gebe nur wenige, die in dieser Art und Weise so reagieren. „Aus Stress entsteht nie Pädophilie. Es muss über einen längeren Zeitraum eine phantasiemäßige Beschäftigung mit der Tat da gewesen sein. Diese Umstände sind der Auslöser, nie die Ursache. Eine Disposition muss vorhanden sein.“

Richter Luczak fragt: „Und das ist nicht als Pädophilie zu bezeichnen?“ Der Gutachter antwortet: „Das kann ich noch nicht als Pädophilie bezeichnen. Es ist kein stabiles pädophiles Gebilde vorhanden. Luczak: „Ich habe Ihre Ausführungen zu einem sadistischen Täter so verstanden, dass Sexualität und Realität von der Persönlichkeit getrennt gehalten werden. Ist das auch bei Herrn H. der nicht als ein sadistischer Täter einzuordnen ist der Fall?“ Dr. Albrecht: „Nein. Das ist die aus Theorien gewonnene Erkenntnis bei der Untersuchung solcher Täter. Das ist nicht die absolute Wahrheit und es ist nicht unanfechtbar, aber es ist das beste derzeit bestehende Modell. Da müssen Dinge ablaufen, die nicht dem Gewöhnlichen entsprechen.“

Der Richter fragt weiter: „Die Verhaltensdisposition für eine Tat muss vorhanden sein. Herr H. hat nicht die sadistische oder pädophile Neigung?“ Es sei nicht nachweisbar, jedoch wahrscheinlich, antwortet der Gutachter. „Es gibt Erkenntnisquellen die mehr oder weniger gut sind.“ Ob die belastenden Punkte nicht für eine pädophile Richtung geeignet seien, möchte Luczak vom Gutachter wissen. Eine Pädophilie sei unwahrscheinlich. Es sei vielmehr der Triumph, den er aus der Tathandlung ziehe.

Eine hauptamtliche Richterin fragt nach dem manipulativen Geschick von Olaf H., auf das der Gutachter in seiner Biographie hingewiesen habe. Der Angeklagte sei ein Mensch, der es geschickt verstehe, sein Gegenüber zu manipulieren. „Er hat es bei mir verstanden, Tests auszuweichen.“ Bei diesen Äußerungen schüttelt Olaf H. leicht den Kopf.

Die Anwältin der Nebenkläger, Gabriele Reinartz fragt, ob die „Kokonbildung“ ihre Ursache in der Kindheit habe. „Ich bekomme das nicht mit der Lebenssituation der Person in Einklang.“ Albrecht: „Wenn Sie fünf Leute zu einem Autounfall befragen, bekommen Sie fünf Schilderungen. Was zu einem Trauma wird, hängt nicht von der objektiven Tatsache ab, sondern vom subjektiven Empfinden.“

Der Strafverteidiger Gerd Meister möchte wissen, ob es Täter gebe, die sich die Tät äußerlich nicht erklären können. „Kann es so sein oder ist das vorgeschoben?“ Der Gutachter äußert, dass es viele Täter gebe, die das nicht können. „Ich habe eine Vermutung, aber keinen Beweis, dass Herr H. das kann, aber sicher bin ich mir nicht. Ich kann das so nicht beantworten.“ Ob es nicht so gewesen sein könne, dass der Täter nach der Tat einen Teil seiner Persönlichkeit abgespalten habe, fragt Gerd Meister weiter.

„Da spielen Sie auf etwas Wichtiges an.“ antwortet Dr. Albrecht. So eine Tat könne von verschiedenen Tätern in der Persönlichkeit unterschiedlich aufgenommen werden. Die ICH-Syntonie würde so ein Tatverhalten als zur eigenen Person gehörig empfinden. Eine ICH-Dystone Haltung würde die Tat als Ich-fremd wahrnehmen wie „Das war ich nicht.“ Ein Ich-syntoner Täter könne zu seiner Tat stehen. Ein Ich-dystoner Täter könne seine Tat nicht erklären. „Beides gibt es.“ so der Gutachter.

„Gibt es Täter, die dann irgendwann zu ihrer Tat stehen? Wie lange dauert so etwas?“ fragt der Strafverteidiger weiter. „Dafür gibt es keine individuelle Prognose. Das ist statistisch nicht zu fassen beziehungsweise generalisierbar. Darüber gibt es viel zu wenig Kenntnisse.“ Weiter möchte Gerd Meister wissen: „Nach neueren Erkenntnissen gibt es hirnorganische Veränderungen die zu solchen Taten führen. Hätte man diese Untersuchungen nicht machen müssen, um dies auszuschließen?“

Der Gutachter habe Tests gemacht, die hirnorganische Auswirkungen erkennbar hätte werden lassen. Die konkreten Ergebnisse hatten keinen Einfluss auf die Schuldfähigkeit. Gerd Meister bedankt sich für das ausführliche Gutachten.

Um 11:35 Uhr ist die Befragung des psychologischen Gutachters beendet. Richter Luczak spricht noch sehr leise davon „ergänzende Karten einzufügen.“ Die Beweisaufnahme ist vorerst beendet. Der Strafverteidiger kündigt an, sein Mandant wolle in der Fortsetzung der Hauptverhandlung noch ein Schlusswort seines Mandanten einfügen, welches sich an die Eltern des ermordeten Mirco und an die Öffentlichkeit richte. Die Hauptverhandlung wird planmäßig am 26.09.2011 mit den Plädoyers fortgesetzt. Das Urteil wird für kommenden Donnerstag um 13:00 Uhr erwartet.

10. Prozesstag: Plädoyers enden mit Schlusswort des Angeklagten

Krefeld, 26.09.2011 Der letzte Tag vor der Urteilsverkündung lockt wieder viele Zuschauer in des Sitzungssaal 167 des Krefelder Landgerichts. Neben den planmäßigen Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Strafverteidigung kündigte der Strafverteidiger Gerd Meister am letzten Prozesstag ein Schlusswort seines Mandanten an. Richter Herbert Luczak setzt die Hauptverhandlung fort.

Nach Feststellung der Anwesenheit der Prozessbeteiligten fragte der Vorsitzende des Gerichts, Richter Herbert Luczak, ob vor der endgültigen Beendigung der Beweisaufnahme noch weitere Erklärungen gewünscht seien. Alle Beteiligten verneinen dies. Die Beweisaufnahme ist beendet. Staatsanwältin Silke Naumann beginnt ihr Plädoyer mit ihrer Darstellung des Sachverhaltes:

„Am 03. September 2010 spätestens kurz vor 22 Uhr lauerte der Angeklagte Olaf H. an einer Traktoreinfahrt kurz vor Grefrath dem damals 10-jährigen Mirco auf seinem Fahrrad auf, versperrte ihm den Weg und nötigte ihn in sein Fahrzeug.“ Dass Mirco anstandslos in den Wagen des Angeklagten gestiegen sei, wäre verhaltensfremd. Das habe die Befragung der Mutter ergeben.

„Anschließend schob der Angeklagte das Fahrrad die Böschung hinunter und fuhr mit Mirco eine halbe Stunde zu einem zuvor sorgfältig ausgewählten Grundstück bei Kerken.“ Es sei nicht ein Parkplatz wie vom Angeklagten angegeben, sondern eine Lichtung im Wald gewesen. Der Angeklagte habe sexuelle Handlungen an dem Kind durchgeführt und seinen Penis an dessen Po gerieben. Es liege nahe, dass mehr geschehen sei. Die sexuelle Motivation sei aber nicht vordergründig.

Es ginge vielmehr um ein Allmachtsgefühl. Er habe dann Mirco mit einer mitgeführten Kunststoffschnur erdrosselt und das nackte Kind dort zurückgelassen. „Die Kleidung wurde zur Verdeckung kilometerweit verteilt.“ Der Angeklagte sei danach zur Leiche zurück gekehrt, und habe dort mit dem Messer auf die Kinderleiche eingestochen. Der Angeklagte habe zwar bei einer Vernehmung mit dem Polizeibeamten Koch behauptet, das Messer habe es nicht gegeben, konnte aber das Messer beim in Augenschein nehmen von Bildern identifizieren. „Am Nachmittag hat der Angeklagte nach einem Anruf kurzfristig seine Schwiegereltern besucht und ist dort eine halbe bis dreiviertel Stunde geblieben.“

„Der Angeklagte gab an, wegen besonderer Berufsbelastung herumgefahren zu sein. Die Beweisaufnahme ergab, dass der Anruf von Herrn G. und die Übersendung eines Statusberichtes nicht stattgefunden haben.“ Die Angabe, Olaf H. habe am Abgreifort austreten müssen, sei ein Vorwand.„Er will nicht gewusst haben wo er war, als sein Navi ihm den Weg gezeigt habe.“ Silke Naumann beschreibt, dass es eine deutliche Beschilderung gegeben habe und diese Aussage unglaubwürdig sei. „Der einzige Grund für das Rumfahren war ein Kind zu suchen und es zu missbrauchen. Der Angeklagte schilderte eine subjektive, besondere Berufsbelastung. Diese Drucksituation war am Tattag nicht vorhanden.“

Es spricht vieles dafür, dass der Angeklagte vor 19 Uhr an der Skateranlage war.“ Er habe Mirco „Mike“ genannt. Seine Angabe, dies sei der Kindsname, den er mit seiner Frau für einen Jungen ausgewählt habe, stimme nicht. Mike sei mit Mirco zusammen am 03.09.2010 an der Skateranlage gewesen. Im Rahmen der Fahrten habe der Angeklagte angegeben, in Oedt austreten zu wollen, sei dabei immer wieder in Stichstraßen hineingefahren. „Er hat Mirco vorfahren lassen, um nicht aufzufallen. Hätte er auf Mirco gewartet, hätte Mirco und gegebenenfalls auch Dritte auf ihn aufmerksam werden können.“

Der Angeklagte habe dann an der Traktoreinfahrt auf Mirco gewartet und diesen wie geplant entführt, missbraucht und getötet. Für die geplante Tat spräche die Schnur, die Fahrt in den Wald und das Messer, mit dem Olaf H. zugestochen habe. Eine Tötung aufgrund der Wut über eine ausgebliebene Erektion habe sich nicht eindeutig feststellen können. „Ich beantrage eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.“

Die Schuld sei besonders schwer, da die Tat geplant gewesen sei und ein sexueller Missbrauch an einem hilflosen Kind stattgefunden habe, welches anschließend getötet wurde. „Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen hat der Angeklagte angegeben, dass er Mircos Eltern Gewissheit verschaffen will. Dann kamen weitere Lügen. Das lässt Rückschlüsse auf einen unredlichen, perfiden Charakter zu.“

Er wolle seine Schuld dadurch mildern, indem er andere mitverantwortlich macht führt die Staatsanwältin weiter aus: „Er hat Herrn G. mitverantwortlich für seine Tat gemacht. Sein Geständnis war oberflächlich.“ Weiterhin beantragt Silke Naumann die Aufrechterhaltung des Haftbefehls, bevor Richter Luczak das Wort an die Nebenklage gibt. Gabriele Reinartz, Rechtsanwältin der Nebekläger Eheleute S. eröffnet ihr Plädoyer mit den Worten: „Mirco war verabredet, um ins Kino zu gehen. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass man ihn nicht wiedersehen würde. Er wurde durch einen brutalen Mord aus dem Leben gerissen.“ Das Leben der Eltern und Geschwister habe sich abrupt geändert.

„Der Schmerz und das Leid was über die Familie kam, ist kaum nachvollziehbar.“ Rechtsanwältin Reinartz schaut zum Angeklagten, der schaut sie kurz an und senkt dann den Blick. Die Frage nach dem Motiv habe der Angeklagte zu keiner Zeit beantwortet. Auch gegenüber dem Sachverständigen haben er die wahren Gründe, die zu diesem Verbrechen führten, verschleiert.

„Der Vorsitzende hat mehrfach gefragt, ob der Angeklagte auf die Motivlage eingehen möchte. Er hat ihm die Möglichkeit gegeben einzuschätzen, ob er noch gefährlich ist oder nicht. Er hat zu allem geschwiegen! Der Sachverhalt ist nebulös, unklar geblieben.“ Wieder senkt Olaf H. den Blick. Folgendes sei bewiesen, daher werde die Anwältin der Nebenkläger nur einzelne Punkte aus Sicht der Nebenklage vorbringen. Mirco habe Freunde getroffen, sei im Kino in Kempen gewesen und dann an der Niers und der Skateranlage „abgehangen“. „Der Versuch der Mutter, über Handy Kontakt aufzunehmen, schlug fehl.“ Über Mikes Eltern und eine Freundin habe Mirco dann erfahren, dass er gesucht würde und sich auf den Nachhauseweg gemacht.

„Da wusste Mirco noch nicht, dass er niemals nach Hause kommen würde.“ Es sei ein sinnloses Gewaltverbrechen gewesen. Der Angeklagte habe sich völlig normal bei den Schwiegereltern verhalten. „Er hat glauben machen wollen, um vom Stress runter zu kommen, durch die Gegend gefahren zu sein. Das ist eine reine Schutzbehauptung. Das Telefonat mit Herrn G. hat es nicht gegeben

Es gebe überhaupt keinen Grund für die Einlassung, er habe „einen Weg zum Pinkeln“ gesucht. Auch das sei eine reine Schutzbehauptung. „Es spricht alles dafür und so war es, dass das einzige Ziel und der Zweck des Angeklagten zum „cruisen“ – wie Herr Dr. Albrecht das erklärt hat – war, ganz gezielt nach einem Opfer zu suchen. Wie ein Jäger seine Beute.“

Alles spräche dafür, dass der Angeklagte zum Abfischen unterwegs gewesen sei. „Dann hält der Angeklagte an der Traktoreinfahrt, löscht alle Lichter und wartet auf sein Opfer. Er verbringt das Opfer in sein Auto. Wie wissen wir nicht. Freiwillig wäre Mirco nicht von seinem Fahrrad gestiegen.“ Er sei mit Gewalt in den PKW verbracht worden, dann sei eine ganz schreckliche Zeit für Mirco gekommen. Bei diesen Worten weint Sandra S. Auch Gabriele Reinartz versucht, nicht die Fassung zu verlieren. In einer Zeitspanne von einer halben Stunde habe das Opfer ohnmächtig neben dem Angeklagten gesessen.

„Dann kamen Sie zu dem Ort, an dem ein fürchterliches Verbrechen geschah.“

Der Angeklagte sei zu einem Ort gefahren, an dem nicht einmal ein Radfahrer vorbei kam. „Dass sich das Kind in die Hose gemacht hat, störte ihn überhaupt nicht.“ Er habe die „Klamotten“ weit verstreut. „Er lässt ein nacktes Kind in freier Natur zurück und überlässt es den Tieren. Dann geht er auch noch hin und versetzt Mirco mit voller Wucht mit dem Messer einen Stich in den Hals.“

Es sei dem Umstand zu verdanken, dass zwei Zeugen beim Fahrrad kurz den Dynamo haben angehen sehen und sich den PKW-Typ gemerkt haben, so dass der Täter ermittelt werden konnte. „Durch die perfekte Auffassungsgabe der Zeugen ist es der SoKo Mirco gelungen, den Angeklagten zu überführen.“ Der Angeklagte habe sich hier auf ein postmortales Zustechen nicht eingelassen, sei aber überführt worden, weil die Schnüre und das Messer von dem Angeklagten auf freier Einlassung beruhen.

„Die Tötung erfolgte zur Verdeckung einer Straftat.“ Die Voraussetzungen des Mordes seien erfüllt, der Sachverständige habe den Täter als völlig gesunde Persönlichkeit mit Hochbegabung und hohem Verstand dargestellt. „Der Sachverständige hat eine gewisse dissoziale, nur persönlichkeitsakzentuierte Komponente und keine hirnorganische oder psychologische Beeinträchtigung festgestellt.“

„Es handelt sich um eine geistig völlig normale Persönlichkeit, auch zum Tatzeitpunkt.“ Es habe keine Hinweise auf Pädophilie weder als Haupt- noch als Nebenströmung gegeben. Ebenso habe es keinen Hinweis auf Gewalt gegeben. Dr. Albrecht habe noch ausführlichere Schilderungen dargelegt, warum der sadistische Tätertyp gefährlicher sei. Phantasien würden sich hochschaukeln.

Schnüre und Messer können auf einen geplanten Tötungsdelikt hinweisen. „Die Schwierigkeit ist, dass aufgrund des Verwesungszustandes der Leiche eine Aussage nicht möglich ist. Es liegt an uns, das juristisch zu bewerten.“ Dann führt die Rechtsanwältin fort: „Die besondere Schwere der Schuld sieht die Nebenklage aufgrund der Tat, der Tatausführung und der Täterpersönlichkeit.“

„Der Angeklagte hat zielgerichtet ein Kind abgefischt, verschleppt und missbraucht, auch als das Kind schon eingenässt war. Er hat sich ein hilfloses Opfer, ein Kind, gesucht und es anschließend den Tieren überlassen. Er zeigt keinerlei Einsicht der Reue wegen der Freiheitsberaubung, des sexuellen Missbrauchs und des Mordes.“ Zum Abschluss sagt Gabriele Reinartz: „Er hat das Leben eines Kindes zerstört. Die besondere Schwere der Schuld ist festgestellt.“

Richter Luczak gibt das Wort an den Strafverteidiger Gerd Meister, der erst eine Unterbrechung in Erwägung zieht, dann aber doch beginnt: „Mein tiefes Mitgefühl gilt den Eltern von Mirco. Das war mir immer wichtig. Ich spreche nicht als Sprachrohr meines Mandanten, sondern als Verfahrensbeteiligter.“ Er habe Olaf H. als sympathischen, intelligenten Menschen kennen gelernt. Juristisch sei die Sache für ihn einfach, es ginge um Mord.

Psychologisch sei es eine schwierige Geschichte. „Der Fall hat mich persönlich sehr mitgenommen. Ich bin froh, wenn es vorbei ist.“ Wie ein Mann der ein liebevoller Familienvater sei zu so einer Tat gekommen sein könnte, fragt sich der Strafverteidiger. „Es ist mir ein Rätsel. Herr H. wäre der einzige, der etwas dazu sagen könnte. Man kann sagen er würde leugnen, manipulativ sein. Ich glaube, Herr H. kann seine Tat nicht zulassen. Als ich Dr. Albrecht fragte, ob das möglich sei, bestätigte er dies. Ich nehme es Herrn H. persönlich nicht übel, dass er hier nicht zu seiner Tat stehen kann. Er ist schwer traumatisiert.“

Der Angeklagte sehe eine Dritte Person, die diese Tat begangen haben könne. Er habe sich eine Geschichte aufgebaut. „Hier von einer geplanten Tat auszugehen, sehe ich nicht. Als Hochbegabter hätte er eine geplante Tat ganz anders durchführen können.“ Olaf H. schaut wieder auf den Boden. „Er fährt nach der Tat zurück, um Fingerabdrücke zu hinterlassen. Er verteilt die Kleidung, fasst das Handy selbst an und hinterlässt dort auch Fingerabdrücke.“ Dass das Fahrrad von einem Zeugen geputzt würde, hätte der Angeklagte nicht wissen können. „Herr H. ist Telekommitarbeiter. Er weiß, dass es funktionelle Möglichkeiten zur Auswertung gibt.“

Dr. Albrecht habe von zwei Tätertypen gesprochen. Der psychiatrische Gutachter habe bestätigt, dass hier keine sadistische Entwicklung nachweisbar sei. „Bei einem Trauma können sich persönlichkeitsfremde Handlungen einstellen. Das hat Dr. Albrecht bescheinigt.“ Stress könne der Auslöser, aber nicht der Grund für die Tat gewesen sein. „Es hatte keine sadistischen Anzeichen gegeben. Herr H. hat keine Tiere gequält und auch seine Frauen und Kinder nicht. Wir haben nur sein Geständnis. Man kann von den Geständnisversionen – und das soll keine Kritik an der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage sein – die schlimmste Variante von allen nehmen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob all das so gewesen ist.“

Er habe auch immer ein Messer bei sich und auch eine Schnur im Auto, deshalb sei er aber kein Mensch, der straffällig geworden wäre, sagt der Strafverteidiger. Das Gericht müsse nicht die Tat ergründen, sondern zu einer juristischen Beurteilung kommen. „Das hat der Vorsitzende Richter Luczak gut gesagt: „Wir müssen uns annähern.““ „Ruhe da hinten!“ richtet sich der Vorsitzende mit scharfem Ton an die sich etwas lauter unterhaltenden Zuschauer der letzten Reihen. „Was noch eine Rolle spielt, ist die besondere Schwere der Schuld.“ führt Gerd Meister fort. „Einen Mord zu begehen ist das Schlimmste, was in unserer Gesellschaft geschehen kann. Es ist durch nichts zu entschuldigen.“

Dann verweist der Strafverteidiger auf den § 57 a (1) Satz 2 StGB und die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH). „Um die besondere Schwere der Schuld zu begründen, muss es besondere Gründe geben, die noch schlimmer als ein Mord und noch schlimmer als ein Mörder sind.“ Er habe viele Urteile gelesen und hierfür vorbereitet. „Dass jemand eine Schnur mit sich führt ist keine Begründung, ein Kind umzubringen.

Das allein reicht nicht. Es müssen besondere Gründe vorliegen. Die sehe ich hier nicht.“ Auch mit einem einfachen „lebenslang“ könne ein Täter für immer hinter Gittern bleiben, äußert Gerd Meister. Olaf H. könne im Vollzug etwas tun, um die Angst, dass noch mal etwas passiert, abzubauen. Er könne eine Therapie machen. Die besondere Schwere der Schuld hier juristisch zu begründen, sei schwierig. „Es gibt auch eine Familie von Herrn H., die in eine Krise gestürzt wurde, Kinder, die mit der Tat leben müssen, die Verlassensängste haben. Ich habe selbst etwas Mitleid mit Herrn H. Steinigen Sie mich dafür. Ich finde es unter dem Strich tragisch für alle Beteiligten, was da passiert ist.“

Er bittet das Gericht, seinen Mandanten des Mordes zu verurteilen und zu bedenken, ob eine juristisch begründbare besondere Schwere der Schuld tatsächlich vorliegt. Dann folgt das am letzten Prozesstag angekündigte Schlusswort seines Mandanten. „Herr H. hat mir die folgenden Worte in langen Gesprächen mit ihm mitgeteilt. Nach Rücksprache mit ihm kann er sein Schlusswort jetzt nicht selbst vortragen. Ich lese es Ihnen vor.“

„Ich möchte zum Schluss der Beweisaufnahme Folgendes erklären: Mein Verteidiger hat mich darauf hingewiesen, dass es für manche so wirke, als hätte ich während des Verfahrens gelächelt. Glauben Sie mir, dass dem nicht so ist, dass ich vielmehr verkrampft versuche, meine Gesichtszüge angesichts dessen, was ich getan habe, in der Öffentlichkeit nicht entgleisen zu lassen.

Seit dem 3.9.2010 war mir innerlich nicht mehr zum Lächeln zumute. Mir ist bewusst, was für eine schreckliche Tat ich begangen habe. Ich habe das Leben eines Kindes ausgelöscht. Ich habe unendliches Leid über Mircos Eltern gebracht. Ich habe meiner eigenen Familie den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich habe etwas getan, das ich niemals für möglich gehalten hätte. Es ist ein Alptraum, dem ich nie mehr entrinnen kann, und ich sage das nicht mit Selbstmitleid. Ich verstehe die Verachtung, die mir entgegenschlägt und dass auch diese Worte nichts daran ändern werden.

Ich war viele Jahre stolz auf mich und in diesen Jahren habe ich – so meine Hoffnung – auch einiges gut gemacht. Jetzt ist mein Bild von Olaf H. in tausend Teile zersplittert. Nichts ist mehr übrig, auf das man stolz sein könnte. Nichts. In langen Gesprächen haben mich meine Familie und mein Anwalt bestärkt, im Interesse von Mircos Eltern den Prozess würdig zu führen, die schreckliche Wahrheit offen zu legen und zur Tataufklärung beizutragen, indem ich das Motiv für dieses schreckliche Geschehen benenne. Das ist mir nicht gelungen.

Auch wenn ein Versprechen eines Mörders in Ihren Augen nichts gelten mag: Ich verspreche, dass ich während meiner Haft nach Erklärungen suchen werde, dass ich mich mir stellen werde – auch wenn damit nichts wiedergutgemacht werden kann. Ich habe hier erklären lassen, dass ich mich nicht für meine Tat entschuldigen werde, da sie nicht zu entschuldigen ist. Aber dennoch tut mir unendlich leid, was ich getan habe. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, irgendwann in irgendeiner Form ein Stück Wiedergutmachung zu leisten.

Derzeit bleibt mir nur die Hoffnung, dass die Menschen, denen ich solch einen Schmerz zugefügt habe, daran nicht zerbrechen. Ich erwarte keine Vergebung. Olaf H.“

Richter Luczak bekommt auf Nachfrage die Kopie des Schlusswortes für seine Akten. Die heutige Hauptverhandlung ist beendet. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Das Urteil wird am 29. September 2011 um 13:00 Uhr verkündet.

11. Prozesstag: Urteil: Lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld

Krefeld, 29.09.2011 Es ist kurz nach 13:00 Uhr als Herbert Luczak, Vorsitzender Richter im Mirco-Prozess das Urteil verkündet: „Der Angeklagte Olaf H. wird wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Die besondere Schwere der Schuld ist festgestellt.“

Ein paar Zuschauer applaudieren spontan. Richter Herbert Luczak unterbindet das sofort mit den folgenden Worten: „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass hier eine öffentliche Erwartungshaltung erfüllt wurde. Helfen Sie uns. Es darf nicht der falsche Eindruck entstehen.“ Die anschließende mündliche Begründung des Urteils dauert eine knappe Stunde. Der Richter erklärt, dass sich die genauen Umstände des Tatmotives nicht verlässlich aufklären ließen, der Auslöser sei aber eingrenzbar. Auch die Beweisaufnahme habe nicht eindeutigen klären können, was im Einzelnen zu der Tat geführt habe.

„Feststellbar ist, dass Herr H. bis zu einem Alter von fast 45 Jahren ein völlig normales Leben geführt hat.“ Er sei früher Auftrags- und Projektmanager gewesen, sei kriminell nie auffällig geworden und galt als liebevoller Vater und Familienmensch. „Er ist nie pädophil in Erscheinung getreten.“ Er sei dann Workforce Manager geworden. Sein Chef, Herr G. sei ein fairer, sachlicher Vorgesetzter.

Der persönlichen Kontaktaufnahme des Angeklagten auf Facebook sei Herr G. nicht gefolgt. Es habe berufliche Differenzen gegeben. Bei einem persönlichen Gespräch am 02.07.2010 habe der Vorgesetzte Olaf H. darauf hingewiesen, es könne so nicht weitergehen. Der Vorsitzende fasst weiter die Ergebnisse der Beweisaufnahme zusammen, die ausführlich in den Vorberichten nachzulesen sind.

Richter Luczak führt weiter aus, Herr H. habe am Tattag zu seiner Frau gesagt, er würde sich nach der Reparatur bei den Schwiegereltern am Abend mit Kollegen treffen. Der tatsächliche Grund sei die Absicht, ein Kind zu missbrauchen. Herr H. wolle damit sein Selbstwertgefühl steigern. Es ginge um Allmachts- und Omnipotenzgefühle. „Sadistische Handlungen sind nicht nachweisbar.“ führt der Vorsitzende an. Sie seien aber wahrscheinlich, da nach dem psychiatrischen Gutachten zwei Tätertypen in Betracht kommen, der pädophile und der sadistisch motivierte.

Der Gutachter habe keine Pädophilie festgestellt und gehe in Anlehnung an empirische Untersuchungen von einem sadistisch motivierten Tätertypen aus. Diese sadistische Motivation sei aber noch nicht als krankhaft einzustufen und könne sich daher nicht schuldmindernd auswirken. Das „cruisen“ am Tattag spräche ebenfalls dafür. „Herr H. fuhr in der niederrheinischen Gegend umher, bis er in Grefrath landete.“

Richter Luczak beschreibt, wie Olaf H. in Oedt hinter Mirco herfuhr und dabei in verschiedene Stichstraßen einbog, um sich dann an der Traktoreinfahrt vor Grefrath ihm Rahmen seiner geplanten Tat des Jungen zu bemächtigen. „Er fuhr in die Traktoreinfahrt, schaltete Motor und Licht aus. Der Angeklagte verbarg sich hinter einem Baum und trat kurz vor Mirco aus seinem Versteck.“

Der Richter beschreibt weiter, wie Mirco schrie, Olaf H. das Fahrrad des Jungen die Böschung hinunter schob und das Kind zwang, sich auf den Beifahrersitz zu setzen. Zeugen hätten einen Lichtschein, jedoch keine Person wahrgenommen. „Er fuhr mit dem Kind nach Wankum, bog in Wachtendonk nach Norden Richtung Geldern ab.“ Olaf H. sei dann 40 Meter in einen Feldweg eingebogen. Die Strecke führe ca. 28 Minuten durch unbewohnte Gegend, in denen Mirco Höllenqualen durchlitten haben müsse. Dann habe entweder er den Jungen ausgezogen oder dieser habe sich selbst ausziehen müssen.

Olaf H. habe die Rückbank umgeklappt, eine Decke ausgebreitet und den Jungen aufgefordert, sich dort hin zu legen. Dann habe er den Rücken des Kindes gestreichelt, seine eigene Hose und Unterhose runter gezogen und sein Glied an Mirco gerieben. Anschließend habe er Mirco mit einer Schnur erdrosselt und auf ihn eingestochen. Herbert Luczak beschreibt, wie Olaf H. das Kind getötet und die Schnur dabei so wie im Katastrophenschutz gelernt eingesetzt haben soll.

Danach wollte Olaf H. Spuren am Fahrrad beseitigen, fuhr aber noch einmal aus Angst zum Tatort zurück, Mirco könne noch leben. Er habe der Leiche die Messerklinge in den Hals gestochen und danach an der Kleidung abgewischt. Ein Tatmesser sei nicht mehr gefunden worden. Die Kunststoffschnur sei vom Angeklagte zu Hause weggeworfen worden. Am nächsten Tag habe er sein Auto gewaschen und die Decke entsorgt.

Die Spurensuche habe ergeben, dass Mirco sich im ehemaligen Firmenfahrzeug von Olaf H. aufhielt. Bei den polizeilichen Vernehmungen habe er verschiedene Geständnisse abgeliefert und Stück für Stück das Tatgeschehen eingestanden. Der Vernehmungsbeamte Koch äußerte, er habe den Eindruck, dass noch nicht alles gesagt sei. „Was Herr H. detailliert eingeräumt hat, ist das Minimum dessen, was angenommen wird. Mehr ist nicht beweisbar.“ wertet der Richter.

Der Angeklagte sei vier Stunden durch die Gegend gefahren, das Gespräch mit dem Vorgesetzten G., welches Auslöser der Tat gewesen sein soll, habe es nicht gegeben. Zu dem vermeintlichen Gespräch habe der Angeklagte verschiedene Aussagen gemacht. Die Entwicklung dieser Aussagen würden beweisen, dass diese Behauptung unwahr sei. An ein nebensächliches Gespräch bei einer Fast-Food-Kette, bei welcher der Angeklagte zu viel bezahlt habe, könne er sich noch genau erinnern.

Wenn es ein Gespräch mit G. gegeben hätte, müsse der Angeklagte sich auch daran erinnern können. Auch sei kein Statusbericht gefunden worden. „Der Angeklagte äußerte das Bedürfnis, „pinkeln“ zu müssen als Grund, warum er an der Traktoreinfahrt gehalten habe.“ Dies sei unglaubwürdig, da Olaf H. mehrfach in Seitenstraßen eingebogen sei, zahlreiche Gelegenheiten nicht nutzte, seinem Bedürfnis nachzukommen und in allen Fällen aussagte, nicht mehr zu wissen, ob er uriniert habe.

„Mirco in sein Fahrzeug zu zwingen, um ihn nicht zu missbrauchen, ist wirklichkeitsfremd.“ argumentiert Luczak weiter. „Die Gesamtschau der Beweisergebnisse brachte die Kammer zu der Überzeugung, die Aussage Herr H. sei vier Stunden durch die Gegend gefahren, um Stress abzubauen, ist nicht glaubwürdig. Er missbrauchte und tötete ein Kind in der von ihm beschriebenen Weise. Es gibt keinen Grund, warum das nicht stimmen sollte.“

Der Richter führt noch einmal die Beweislage auf, erklärt dann erneut, dass die Frage nach dem „Warum?“ nicht eindeutig geklärt sei. Eine pädophile Erscheinung sei nicht in Erwägung gezogen worden. Der Angeklagte sei voll schuldfähig. Die sadistische Entwicklung sei nicht so weit, dass sie sich schuldmindernd auswirken könne. Auch eine reine Verdeckungstat sei möglich. Dies sei allerdings nicht beweisbar. Der Angeklagte wird wegen Mordes nach § 211 (1) StGB zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach § 46 (1) StGB ist die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Tat und die Täterpersönlichkeit seien bei der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld entsprechend gewichtet worden.

Herbert Luczak erklärt, die Kammer habe bei ihrem Urteil auch folgende Minderungsgründe berücksichtigt: Der Angeklagte sei bis zum Alter von 45 Jahren nicht straffällig geworden, habe gut für seine Familie gesorgt und die Tat im Wesentlichen gestanden. Zudem hätte ohne das Mitwirken des Angeklagten nicht die Leiche des Kindes gefunden werden können. Schließlich bereue er auch seine Tat. Dem gegenüber stünden gewichtige Strafverstärkungspunkte.

Vor dem Gesetz werden zwar alle Menschen gleich behandelt, die Bewertung ein Kind als Opfer sei weit unterlegen, wäre aber zulässig. Des Weiteren habe es die Freiheitsberaubung mit Todesfolge gegeben, es sei dunkel gewesen, das Kind habe sich geängstigt und eingenässt. Die Tat sei zwar nicht nach allem was vorstellbar sei am oberen Ende anzusiedeln, aber das Kind sei in eine einsame Gegend verbracht worden und habe erdulden müssen, dass ein nackter Mann sein Glied an ihm gerieben habe. „Die Ohnmacht des Kindes war dem Angeklagten bewusst. Gerade dies wollte er erreichen. Was Mirco in der letzten Stunde seines Lebens durchlitten hat, dieses Leiden gebietet die Feststellung der Schwere der Schuld.“

Zum Schluss weist Richter Luczak noch einmal darauf hin, die Kammer habe sorgfältig geprüft, ob in die Bewertung bewusste oder unbewusste Teile eingeflossen seien, um die Öffentlichkeit zu befriedigen. Dies sei nicht der Fall. Er verweist dann auf ein BGH-Urteil, in dem in einem ähnlich gelagerten Fall dieser Kammer die Revision abgelehnt wurde. Strafverteidiger Gerd Meister kann gegen diese Entscheidung innerhalb einer Woche Revision beim zuständigen Gericht einlegen. Die schriftliche Begründung muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils erfolgen.

Anmerkung: Der letzte Satz ist sachlich nicht ganz korrekt, wurde aber so vom Pressesprecher LG Krefeld bestätigt.

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