Gedanken im Nachgang zu einem Tötungsverfahren beim Landgericht Krefeld – oder warum es schwer ist, ohne Feindbild zu leben.

Der liebe Feind. Wie sehr ihn doch die meisten brauchen, oder jedenfalls das gepflegte Bild von ihm, dem Feind. An ihm kann man sich aufrichten. Er zeigt, wie viel besser man doch selber ist, wie viel schlauer, ehrbarer und menschlicher, und natürlich hat der Feind einen miesen Charakter, jedenfalls vergleichsweise.

Für Richter und Staatsanwälte sind die Verteidiger das ideale Feindbild. Für Strafverteidiger sind es die Richter und Staatsanwälte, wobei ich zugeben muss, nur bezüglich der Strafverteidiger kann ich das mit Bestimmtheit sagen. Nur da bin ich präsent und bei den anderen keine Fliege an der Wand. Aber Richter und Staatsanwälte sind Menschen. So grenzt meine Vermutung, was sie betrifft, an Bestimmtheit. Warum sollte es auch anders sein, wo wir ihn doch alle gleichermaßen schätzen, den belauerten, geschmähten Feind.

Wie herrlich kann man über ihn herziehen und sich dabei selber auf die breiter werdende Brust schlagen. Und wie gerne hören es vielleicht die Mandanten, wenn prahlend von dem Idioten auf der anderen Seite gesprochen wird, dem Schmutzbuckel und Büttel, der einem Böses will.

Aber brauchen wir ihn wirklich, den Feind? Wenn man mit manchen Kollegen spricht, könnte tatsächlich der Eindruck entstehen.

In meinem Beitrag „Herr Vorsitzender, Sie sind der Erste, der mir das verweigert! Zur Zulässigkeit eines „Opening Statements“ durch die Verteidigung“ hatte ich darüber geschrieben, dass wir in unserer Kanzlei – und das gilt für alle meine Kollegen – dem Feindbild grundsätzlich trotzen. Wir haben das Feindbild nie aufgehangen, und sollte es einstmals nach einer frustrierenden Verhandlung mitgebracht worden sein, so steht es vermutlich verstaubt und mit Spinnweben verklebt irgendwo schön golden eingerahmt– vielleicht im Aktenkeller.

Doch aus zwei Gründen fällt es zuweilen schwer, sich nicht doch mit einem Putzlappen bewaffnet nach unten ins Gewölbe zu begeben und es zu suchen. Und ich erinnere mich, so manches Mal die Treppe hinabgestiegen zu sein, den Kellerschlüssel in der Hand und dann doch unverrichteter Dinge wieder hochgestiegen zu sein ans Tageslicht.

Der eine Grund liegt im Gruppendynamischen. Man kann bei den Strafverteidigerkollegen oder dem Mandanten ins Abseits geraten, wenn man sich dem (kulturellen) Erbe verweigert, auf die andere Seite einzuhacken und nur müde gequält lächelt, wenn z.B. in Verhandlungen von den Nachbarn Despektierliches über „den Spinner“ da vorne auf der Richterbank geraunzt, oder abwertende Scherze geflüstert werden. Zuweilen kommt man in den Ruf unsolidarisch zu sein, wenn man nicht jede Pöbelei mitmacht, die auch gerne von der Anklagebank bejubelt wird. Damit kein Missverständnis auftaucht. Es geht nicht um die Vermeidung oder gar Ablehnung einer aktiven Verteidigung, sondern die Abgrenzung vom Destruktiven zum Konstruktiven. Ich jedenfalls bin mit meinen Verfahrensanträgen bisher nur selten auf Unverständnis oder gar Ablehnung gestoßen, und sollte es einmal doch soweit kommen, ist klarer Widerstand gefordert. Es gibt halt auch tatsächlich unverständige Richter und schwierige Staatsanwälte. Die meisten sind jedoch durchaus vernünftigen, sachlichen Argumenten gegenüber aufgeschlossen, und nach meiner Erfahrung kann man hierdurch eine Menge zugunsten des Mandanten bewegen. Es sind die Ergebnisse am Ende eines Instanzenzuges, die rechtskräftigen Urteile, die dann so manches gerade rücken und wettmachen.

Der andere Grund ist deutlich schwerer zu fassen, und auch er hat etwas mit Psychologie zu tun. Der Verteidiger kennt den Delinquenten persönlich und erfährt hautnah dessen Qual, einem rigiden Strafverfahren ausgesetzt zu sein. Der empathische Verteidiger kann oftmals gar nicht anders, als mit ihm zu fühlen. Trotz aller rechtstheoretischen Thesen empfindet sein Mandant sich oftmals nicht als Subjekt des Verfahrens, sondern als ohnmächtiges Objekt.

Das hat verschiedene Gründe, die primär im Rechtspolitischen liegen, und dennoch ist man (auch ich) geneigt, dem Entscheidungsträger, also dem Richter oder Staatsanwalt persönlich krumm zu nehmen, dass er eine negative Entscheidung getroffen hat, wo doch alternativ auch eine andere, positivere auch gesetzlich möglich gewesen wäre, für die der Verteidiger zu Recht gekämpft hatte. Man wirft damit letztlich dem gesetzlich bestimmten Entscheidungsträger vor, dass er der Entscheidungsträger ist, wenn einem im Einzelfall die Entscheidung nicht passt. Der Verteidiger unterliegt psychologisch betrachtet der Gefahr, darüber verletzt zu sein, dass er nicht entscheiden darf. Er projiziert seinen Frust darüber auf den Richter und ist – um im Bild zu bleiben – schon unterwegs in den besagten Keller, um das Feindbild zu polieren.

Bei genauerer Betrachtung wird man dem Richter oder Staatsanwalt aber seine Rolle im Verfahren kaum vorwerfen können und auch nicht, dass er möglicherweise andere Wertmaßstäbe anlegt, denn diese gibt es in einer pluralistischen Gesellschaft, mögen sie einem im Einzelfall gefallen oder nicht. Es gilt sie in einem komplizierten Verfahren über den jeweiligen Einzelfall hinaus auszutarieren und nicht gewissermaßen diktatorisch durch den eigenen, subjektiven Maßstab ersetzen zu wollen. Plakativ gesprochen: Jeder der sich über die Rolle eines Schiedsrichters beim Fußballspiel nachdenkt, wird dem zustimmen müssen. Man mag sich über die Spielregeln Gedanken machen, aber dem Schiedsrichter, der sich gewissenhaft an die Regeln hält, persönlich einen Vorwurf zu machen, kann nicht richtig sein. Und doch hinkt das Beispiel, da Fußballregeln deutlich einfacher zu bewerten sind als die Strafgesetze und die strafprozessualen Regelungen. Beim Spiel wird man eindeutige Fehlentscheidungen etwa durch Kameraaufzeichnungen kurz und bündig feststellen und benennen können, beim Recht ist das schon aufgrund des großen Spielraums, den der Gesetzgeber dem Richter einräumt, eindeutig schwieriger. Dafür gibt es aber hier Rechtsmittelverfahren, die der Kontrolle dienen und die vom Verteidiger eben ausgeschöpft werden müssen. So geht das Spiel hier, und wenn man ein guter „Spieler“ ist, kann man auch hier mit akribischer Überzeugungsarbeit und ohne Feindbild gewinnen.

Aber auch wenn man das alles weiß und theoretisch nachvollziehen kann, ist es angesichts der Dramatik eines Strafprozesses oft schwer, die Spielregeln zu akzeptieren und nicht ins Persönliche abzutriften. Klar ärgert man sich bei manchen Entscheidungen und fragt sich, warum nicht wohlwollender entschieden wurde, wo es doch gegangen wäre, ohne das Recht zu verbiegen. Aber auch in diesen Fällen, hat das Persönliche in einem streng formalisierten Verfahren nichts zu suchen. Es gibt zumeist das Rechtsmitel und kein Richter oder Staatsanwalt nimmt es umgekehrt persönlich, wenn es vom Verteidiger ausgeschöpft wird.

Vor Kurzem endete vor dem Landgericht in Krefeld ein Tötungsverfahren. Der Angeklagte hatte nach einem Familienstreit seine Frau erwürgt. Der psychiatrische Sachverständige war in seinem Gutachten zu einer Affekttat gelangt und alle Prozessbeteiligten waren sich darin einig, dass ein minderschwerer Fall des Totschlages nach § 213 StGB anzunehmen sei. Das Verfahren wurde vom Vorsitzenden Richter, der die Gefühlslage sowohl der Nebenklägerin als auch des Täters feinfühlig berücksichtigte, fair geführt. In der Beweisaufnahme wurde offen mit der Verteidigung über die Frage einer möglichen Doppelmilderung wegen einer vorangegangenen schweren Beleidigung (§ 213 1.Alt.) und der möglicherweise dazukommenden verminderten Schuldfähigkeit (§§ 21, 49) diskutiert. In der Urteilsbegründung vertrat die Kammer die Auffassung, dass eine solche Doppelmilderung nicht in Betracht komme, da die Beleidigung eng mit der Affekttat verknüpft sei. Der Vorsitzende begründete seine rechtliche Auffassung präzise und nachvollziehbar. Damit stand der Kammer der Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren zur Verfügung. Innerhalb dieses Rahmens wurde  der Angeklagte zu 6 Jahren verurteilt. Der Vorsitzende erläuterte, dass der Fall im Grunde fast als Unglücksfall zu bewerten sei und es der Angeklagte mit seiner psychisch erkrankten, getöteten Ehefrau, seinem behinderten Kind und der finanziellen Not nicht einfach gehabt hätte. Es gäbe aber auch Fälle des § 213 StGB, die zu einer noch milderen Beurteilung führen müssten. Die Kammer habe sich schwer damit getan, das richtige Strafmaß zu finden. Aber für noch milder zu beurteilende Fälle, müsste innerhalb des Strafrahmens ein deutlicher Spielraum nach unten offen gehalten werden.

Ich muss zugeben, dass ich mir eine deutlich geringere Strafe von zwischen 3 und 5 Jahren,  die ebenfalls gut vertretbar gewesen wäre, für meinen Mandanten gewünscht hätte, aber ich hatte die Entscheidung – wie gesagt – nicht zu treffen, und es gab nicht den geringsten Anlass für eine Richterschelte. Das Gericht hatte seiner Aufgabe entsprechend eine Wertung getroffen und diese mit guten Argumenten begründet.

Mein Mandant, der während des Prozesses überwiegend mit gesenktem Kopf dagesessen hatte, schüttelt während der Urteilsbegründung – wie mir später zugetragen wurde – immer wieder missbilligend den Kopf und vermittelte damit Unverständnis und das Nichtakzeptieren der richterlichen Entscheidung. Die Kammer war hierüber, wie man den Gesichtern der Richter deutlich entnehmen konnte, pikiert. In einem nachfolgenden Gespräch erklärte ich dem Mandanten, der von mir auf das mögliche Urteil vorbeteitet worden war, die rechtliche Situation und zeigte ihm auf, dass es keinen Grund für sein als persönlicher Affront gewertetes Verhalten gäbe. Die Kammer habe das Recht gehabt, nach ihrer Auffassung zu verurteilen, und wir nun das Recht, gegen die Entscheidung mit der Revision vorzugehen. Jedwede persönliche Abwertung der „anderen Seite“ sei hingegen unangebracht. Er sah das ein und entschuldigte sich für sein Verhalten während der Urteilsverkündung.

Mag das Verhalten des Mandanten in seiner psychologischen Ausnahmesituation verständlich und entschuldbar sein, so wenig ist man selbst als Profi gegen den Impuls gefeit, dem anderen seine legitime Rolle persönlich anzukreiden. In den vergangenen Jahren ist mir das zweimal auch tatsächlich passiert, und ich ärgere mich darüber.

Vor einiger Zeit verteidigte ich vor der Berufungskammer des Landgerichts Krefeld. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen ein Urteil des Amtsgerichts, bei dem ich trotz eines enormen Betrugsschadens eine Bewährungsstrafe erzielt hatte, Berufung eingelegt. Meine Argumente, der Angeklagte habe schon mehrere zehntausend Euro an Wiedergutmachung geleistet und eine Inhaftierung schade letztlich den Geschädigten, wischte die Vorsitzende mit dem (falschen) Argument beiseite, der Angeklagte könne aus dem offenen Vollzug heraus ebenfalls Wiedergutmachung erarbeiten. Der Prozess zog sich aus Gründen, die ich nicht verstand, über Stunden hinweg, weil die Vorsitzende trotz der Berufungsbeschränkung alle geschädigten Zeugen hören wollte. Ich selbst stand unter großem Zeitdruck, weil ich dringend zu einer Schwurgerichtsverhandlung bei einem anderen Landgericht geladen war und mit dieser ausufernden, zunehmend in Richtung auf ein negatives Ergebnis hinauslaufende Beweisaufnahme nicht gerechnet hatte. Hinzu kam ein akuter Bandscheibenvorfall, der mich quälte. Als ich im Verlauf der Verhandlung immer deutlicher merkte, dass das Gericht zu einer negativen Entscheidung gelangen würde und die Schmerzen und der Zeitdruck immer größer wurden, ließ ich mich in echter Empörung zu der Äußerung herab, ich hielte das Gericht für subjektiv voreingenommen und spiele mit dem Gedanken das Verfahren für den heutigen Tag dadurch zu beenden, dass ich auf meine Bandscheibe poche oder plötzlich einen zusätzlichen Migräneanfall bekäme, weil die Verfahrensführung der Vorsitzenden einem wirklich Kopfschmerzen bereiten könne. In diesem Moment hatte ich eine so große persönliche Wut auf die Richterin, dass ich schlichtweg pöbelte, was ansonsten überhaupt nicht meine Art ist. Das Verfahren ging schließlich wie vermutet zum Nachteil meines Mandanten aus. Ich habe es in dem Artikel „Manchmal ist das letzte Wort des Gerichts kaum zu ertragen“ näher beschrieben. Im Nachhinein muss ich selbstkritisch feststellen, dass ich in genau die Falle getappt war, die ich oben beschrieben habe. Ich habe ein legitimes Verfahren des Gerichts persönlich genommen und mich damit unprofessionell verhalten. Aber selbst Profis, zu denen ich mich zähle, machen zuweilen Fehler, über die man nachdenken sollte.

In einem anderen Verfahren wurde meinem aus dem Gefängnis in Österreich ausgelieferten bulgarischen Mandanten vorgeworfen in zwei Fällen sog. Skimming, also die Manipulation von Geldautomaten als Mitglied einer bulgarischen Bande begangen zu haben. Es war ein Schaden von ca. 22.000 € entstanden. Der überaus sympathische Mandant litt unter der bereits 7-Monate währenden Haft wie ein Hund. Ich schaffte es die Bandenmitgliedschaft und die Mittäterschaft wegzubekommen und eines der Verfahren eingestellt zu bekommen. Mit seiner Beihilfehandlung eröffnete ich die Möglichkeit zu eine bewährungsfähigen Strafe zu kommen. Alles lief bestens. In der Urteilsverkündung folgte die sehr nette Richterin vollständig meinen Ausführungen und trug letztlich nur positive Argumente vor. Dennoch verhängte sie 2 Jahre und vier Monate – natürlich ohne Bewährung. Nicht nur mein Mandant war darüber am Boden zerstört. Auch ich kochte innerlich vor Wut und zeigte das auch im Gerichtssaal sehr deutlich. Die Richterin war sichtlich verunsichert, da sich mich so noch nicht kennengelernt hatte. Im Grunde machte ich ihr persönlich den Vorwurf, nicht nach meinen Wünschen entschieden zu haben. Ich nahm ihr Urteil persönlich, obwohl an ihrer Verfahrensführung nun wirklich nichts auszusetzen war.

Das Persönlichwerden hätte ich mir sparen müssen. Die Berufung habe ich selbstverständlich eingelegt.

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach

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