Heinrich der Löwe – der Prozess

Einer der umstrittensten deutschen Herrscher im Mittelalter war Heinrich der Löwe, der ca. 1129 geboren und zunächst ein Vierteljahrhundert von seinem Vetter, Kaiser Friedrich I (wegen seines roten Barts auch Barbarossa genannt), als treuer Verbündeter gefördert wurde.

Beide hatten zuvor den Machtkampf der Staufer, denen Barbarossa angehörte, und der Welfen, zu denen Heinrich der Löwe gehörte, beigelegt und Heinrich diente seinem Kaiser als treuer Vasalle im Kampf gegen den Papst und die ihn unterstützenden norditalienischen Städte.

Wenige Jahre nachdem Barbarossa 1156 zum König gewählt und zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gekrönt worden war, überließ er Heinrich, der bereits den Titel des Herzogs von Sachsen trug, auch das allerdings um die Mark Österreich verkleinerte Herzogtum Bayern. Wahrscheinlich vor dem Hintergrund der Annäherung zwischen Staufern und Welfen, gewährte ihm Barbarossa das königliche Privileg der Investitur zur Einsetzung der Bischöfe von Oldenburg, Mecklenburg und Ratzeburg sowie aller Bistümer, die Heinrich noch im Heidenland jenseits der Elbe zu errichten gedachte. Damit überließ Barbarossa seinem Schützling den Nordosten des Reiches als Betätigungsfeld.

Heinrich nutzte die ihm gewährten Freiräume und erwies sich zumal in Sachsen als skrupelloser Territorialpolitiker, mit nicht eben wenigen Feinden unter den anderen deutschen Fürsten. So sehr er einerseits auf der Seite des Kaisers stand und ihn bei seinen Kriegen gegen Norditalien unterstützte, so sehr suchte er seinen Einfluss im Reich auszudehnen. Er gründete München und Lübeck und dehnte seinen Herrschaftsbereich geschickt mehr und mehr aus. Noch ignorierte der Kaiser die sich häufenden Klagen der ins Abseits gestellten anderen deutschen Fürsten.

Durch die aus politischem Kalkül von Barbarossa geförderte Heirat mit der Schwester von Richard Löwenherz und Tochter des englischen Königs Heinrich II, steigerte sich Heinrichs ohnehin ausgeprägter Hochmut ins Unerträgliche. Er begann sich wie ein König zu fühlen und handelte dementsprechend rücksichtslos. Als Barbarossa 1169 sich von dem angestrebten Bündnis mit England abwandte und eine Annäherung an Frankreich suchte, stieß er bei dem Löwen erstmals auf Widerstand.

1176 berief Barbarossa den Löwen nach Chiavenna. Er benötigte dringend die Unterstützung seines Vasallen für seinem 5. Feldzug gegen die widerspenstigen Norditaliener, da er im Vertrauen auf den gescheiterten Vorfrieden von Montebello (1175) voreilig große Teile seines Heeres nach Deutschland entlassen hatte und nun dringend neue Soldaten für einen neuen Waffengang benötigte.

Heinrich folgte zwar dem Ruf seines Kaisers, forderte aber für die Bereitstellung neuer Truppen die mit großen Silbervorkommen ausgestattete Reichsvogtei Goslar und damit einen der wirtschaftlich wichtigsten Stützpunkte im Norden des Reiches.

Indirekt verlangte er damit nahezu eine Gleichstellung mit dem Kaiser. Damit hatte er den Bogen überspannt, denn Barbarossa riskierte lieber eine militärische Niederlage in Norditalien als diesem Erpressungsversuch Heinrichs nachzukommen. Die Verweigerung Heinrichs wog um so schlimmer, als der Kaiser seiner Bitte um Unterstützung durch einen Kniefall vor Heinrich bekräftigte.

Die hierin liegende Fehleinschätzung Heinrichs markiert den Anfang vom Ende des persönlichen Verhältnisses zwischen dem Kaiser und seinem Vasallen.

Der Zeitgenosse Arnold von Lübeck formulierte es so: „Der Kaiser verbiss für den Augenblick den Ingrimm, der durch die gewaltige Beschämung, die er empfand, in ihm erzeugt war … Da nun der Kaiser sah, dass die Fürsten dem Herzog übel wollten, so begann er mit großer Klugheit auf seinen völligen Sturz hinzuzielen. Weil er aber wohl erkannte, dass er ihn mit Leichtigkeit nicht vernichten konnte, so setzte er mit außerordentlicher Verschlagenheit jedes Mittel in Bewegung in der Hoffnung, ihn, den er mit Gewalt zu überwinden sich nicht getraute, allmählich durch List besiegen zu können.“

Und aus Sicht der zuvor ebenfalls von Heinrich gedemütigten Landesfürsten las sich das nach einem sächsischen Zeitgenossen so ähnlich, aber aus einer anderen Perspektive:

Es war „die Missgunst der Fürsten gegen den Ruhm des Herzogs. Weil aber Ruhm den Neid erzeugt und im Menschenleben nichts von Dauer ist, so sahen alle Fürsten Sachsens scheel auf den Ruhm eines solchen Mannes. Denn Heinrich stand bei seinem ungeheuren Reichtum und seinen glänzenden Siegen so hoch in seinem Ansehen, dass es allen Fürsten und Edlen in Sachsen unerträglich erschien. Doch die Furcht vor dem Kaiser band den Fürsten die Hände, dass sie ihre geplanten Umtriebe nicht ins Werk setzten. Als aber der Kaiser den vierten Zug nach Italien vorbereitete und die Zeit eine günstige Gelegenheit brachte, trat die alte Verschwörung sofort offen hervor und es entstand ein mächtiges Bündnis aller gegen einen.“

Fest steht, dass Barbarossa – auch wenn ihm Arnold von Lübeck List unterstellte – sich in der folgenden Auseinandersetzung mit Heinrich streng an die Normen des damaligen Rechts hielt, ohne den Löwen weiterhin zu begünstigen.

Nachdem sich der Kaiser nach einer militärischen Niederlage gegen die Lombardenstädte bei Legano mit dem Papst 1177 im Frieden von Venedig versöhnt hatte, griff er erstmals in innersächsische Angelegenheiten ein und verfügte, dass Heinrich bischöfliches Eigentum zurück zugewähren habe. Die Kirche machte ihre somit vom Kaiser unterstützten Ansprüche geltend und Heinrich antwortete mit Waffengewalt.

Doch diesmal konnte er nicht mehr auf die kaiserliche Unterstützung hoffen. Barbarossa nahm die Klagen der mit Heinrich verfeindeten Gegenspieler an und lud beide Parteien zum Hoftag zu Worms auf den 13. Januar 1179.

Da Heinrich nicht erschien, wurde wahrscheinlich schon an diesem Tage ein Feststellungsurteil gegen ihn zumindest formuliert, wonach Heinrich bei einer weiteren Rechtsverweigerung der Acht verfallen sollte.

Der nächste Gerichtstag wurde für den 24. Juni des gleichen Jahres in Magdeburg bestimmt. Da Heinrich auch diesen Termin nicht wahrnahm, wurde das Feststellungsurteil verkündet und damit wirksam. Die hiermit gegen Heinrich beschlossene Acht war als Rechtloserklärung kein abschließendes Urteil, sondern ein prozessuales Zwangsmittel, um den Verurteilten dazu zu zwingen, sich dem Gerichtsverfahren zu stellen.

Der Achtspruch konnte zudem durch Zahlung einer Geldbuße innerhalb von 1 Jahr, sechs Wochen und drei Tagen abgewendet werden.

Heinrich erkannte den Ernst der Lage und bat Barbarossa um Vermittlung. In Erinnerung an Chiavenna, muss es für Barbarossa eine besondere Genugtuung gewesen sein, die fällige Geldbuße auf die enorme Summe von 5.000 Mark Silber festzusetzen und dabei seinen Gegner richtig einzuschätzen. Heinrich verweigerte erwartungsgemäß die Zahlung, und Barbarossa eröffnete ein sog. Kontumazialverfahren gegen den Löwen nach Lehnsrecht, weil der Herzog weiterhin das Recht nicht befolge, seine Lehnspflichten missachte und durch mehrfaches Nichterscheinen vor Gericht die kaiserliche Majestät missachtet habe.

Als Heinrich auch weiteren Ladung nicht folgte wurde er schließlich auf dem Hoftag in Würzburg im Januar 1180 wegen fortgesetzten gerichtlichen Ungehorsams und Majestätsverletzung verurteilt. Seine beiden Herzogtümer wurden ihm aberkannt. Sachsen wurde dem größten Widersacher des Löwen, dem Kölner Erzbischof, zugesprochen und Bayern ging an den Fürsten Otto von Wittelsbach.

Heinrich zog daraufhin in den Kampf mit den kaiserlichen Truppen und legte dabei u.a. Halberstadt samt Bischofskirche in Schutt und Asche, konnte aber letztlich den kaiserlichen Truppen nichts mehr entgegensetzen. Er musste sich dem Kaiser am Hoftag in Erfurt Ende 1181 bedingungslos unterwerfen und vor ihm niederknien. Sodann wurde er nach England verbannt. Spätere erneute militärische Versuche von Heinrich, im Norden des Reiches wieder Fuß zu fassen scheiterten und führten zu einer neuen Verbannung.

Erst ein Jahr vor seinem Tod im Jahre 1195 versöhnte er sich mit dem Nachfolger des wenige Jahre zuvor bei seinem letzten Kreuzzug ertrunkenen Barbarossa – dem neuen Kaiser Heinrich IV.

Heinrich der Löwe starb im August 1195 in Braunschweig.

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach


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