Die Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren stellt auch für den erfahrenen Strafverteidiger eine besondere Herausforderung dar, geht es doch zumeist um langjährige – wenn nicht sogar um lebenslange – Freiheitsstrafen, Sicherungsverwahrung oder Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Obwohl mit der Einführung des Fachanwalts für Strafrecht im Jahr 1997 die Verteidigung in Schwurgerichtsverfahren nun auch offizieller Bestandteil strafrechtlicher Aus- und Fortbildung ist, belegen unsere eigenen Beobachtungen und die verfügbaren empirischen Untersuchungen zu Anwaltsprofilen in Schwurgerichtsverfahren, dass viele der vom Gericht als Pflichtverteidiger beigezogenen oder vom Beschuldigten gewählten Rechtsanwälte keine spezialisierten Strafverteidiger sind und über wenig Spezialwissen und noch weniger Routine bei der Verteidigung in Kapitalstrafsachen verfügen. Obwohl sie sich im Verfahren sichtlich unwohl und unsicher fühlen, neigen sie dazu, das Mandat bis zum oft bitteren Ende für ihre Mandanten fortzuführen. In Kapitalstrafsachen unerfahrene Anwälte übersehen bei der Mandatsübernahme die besondere Verantwortung und Belastung eines solchen Mandats nämlich
– den überdurchschnittlichen personellen, administrativen und zeitlichen Aufwand, der nicht nur in der Vorbereitung der Hauptverhandlung sondern zunächst vor allem in der Betreuung des inhaftierten und psychisch zumeist angeschlagenen Mandanten liegt
– den zeitlichen Aufwand des Studiums oft riesiger Berge von Ermittlungsakten und Sachverständigengutachten sowie einschlägiger Fachliteratur
– eigene zeitraubende Ermittlungen
– die zunächst unübersehbare Anzahl und Dauer der Hauptverhandlungstermine, die nicht für Großverfahren organisierte Kanzleien schnell an den Rand des Kollaps bringt, da andere Mandate liegen bleiben
– die hohe emotionale Belastung, verursacht durch die Betroffenheit des Mandanten und der Opfer bzw. ihrer Angehöriger, die oft zu persönlichen Anfeindungen auch gegenüber dem Verteidiger führt
den ausgesprochen vorsichtig zu handhabenden Umgang mit den Medien, um Schaden vom Mandanten und der eigenen Person abzuwenden
– die – je nach Sachlage – auszutragenden scharfen Konflikte mit Staatsanwaltschaft und Gericht, die, etwa bei der notwendigen Stellung von prozessualen Anträgen, Standing und Konfliktfähigkeit verlangen
– das trotz dieser besonderen Belastung oft nicht gesicherte Verteidigerhonorar
Unprofessionelle Verteidigung wirkt sich bereits im Ermittlungsverfahren verheerend aus und beginnt schon mit der strafrechtlichen Todsünde, den Mandanten ohne Akteneinsicht von der Polizei vernehmen zu lassen oder sich der von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Sachverständigenexploration zu unterziehen. Verhörspezialisten der Mordkommission neigen unter öffentlichem Erfolgsdruck dazu, Mordmerkmale gewissermaßen in den Beschuldigten “hinein zu fragen” und von der Staatsanwaltschaft bevorzugte Sachverständige handeln zuweilen nach dem Motto: Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing.”
Dennoch übernehmen wir nicht selten im laufenden Verfahren die Verteidigung von einem Kollegen und stellen anhand der Ermittlungsakte fest, dass der Mandant im Beisein des Erstverteidigers ohne Akteneinsicht eine umfassende Einlassung zur Sache abgegeben hat, was eine schockierende Fehlleistung darstellt, die eigentlich nach berufsrechtlichen Konsequenzen schreit. Der Erstverteidiger hat damit seinen angesichts der sog. Asymmetrie der Vernehmungssituation völlig überforderten und in seiner Handlungskompetenz stark eingeschränkten Mandanten schutzlos gestellt und Tür und Tor für eine unnötige Selbstbelastung geöffnet.
Obwohl der Beschuldigte über sein Aussageverweigerungsrecht und sein Recht jederzeit einen Verteidiger hinzuziehen zu können, zu belehren ist, versuchen Vernehmungsbeamte häufig den frühen Erstkontakt zum “störenden” Verteidiger zu verhindern und den Beschuldigten zu einer schnellen Aussage zu drängen. Übliche Taktiken hierzu sind beispielsweise:
– der Beschuldigte wird zunächst lediglich als angeblicher Zeuge gehört und rutscht erst nach der Aussage in den Beschuldigtenstatus
– der (falsche) Hinweis, man habe erst nach ersten polizeilichen Maßnahmen oder nach der noch nicht erfolgten Rücksprache mit dem Staatsanwalt Anspruch auf ein Gespräch mit dem Verteidiger
– der Beschuldigte solle doch vor der den Verdacht verstärkenden Einschaltung eines Rechtsanwalts erst einmal aussagen. Wenn er unschuldig sei, könne der Verdacht vielleicht schnell ausgeräumt werden
– der Beschuldigte wird darauf hingewiesen, dass ihm angesichts der angeblich sicheren Beweislage und der Vorteile eines frühen Geständnisses auch kein teurer Anwalt mehr helfe
– der gewünschte Anwalt genieße bei Gericht einen ausgesprochen schlechten Ruf und seine Einschaltung schade letztlich dem Beschuldigten
– ein Anwalt sei um diese Zeit nicht zu erreichen
Gelingt es dem Beschuldigten selbst oder über Angehörige sofort einen Verteidiger zu erreichen, muss dieser die oben geschilderte Problematik und damit verbundene Eilbedürftigkeit erkennen und sofort den unmittelbaren Kontakt zum Beschuldigten aufnehmen, d.h. er muss alles stehen und liegen lassen!
Erfahrene Strafverteidiger fallen dabei auch nicht auf die gerne von der Mordkommission geübten Hinhaltetaktiken herein, mit denen der Kontakt zum Beschuldigten jedenfalls bis zum Abschluss der möglicherweise bereits begonnenen Vernehmung verhindert werden soll.
Der Kollege Steffen Stern hat diese rechtswidrigen Praktiken in seinem Standardwerk zur “Verteidigung in Mord- und Totschlagsfällen” exemplarisch zusammengefasst:
So wird dem anrufenden oder hinzueilenden Anwalt etwa mitgeteilt:
– der Beschuldigte sei noch auf einer andern Dienststelle oder im Polizeigewahrsam und man müsse erst beim gerade nicht erreichbaren Sachbearbeiter nach dem Aufenthaltsort forschen. Man bemühe sich aber um Klärung und rufe dann zurück
– man solle sich bis zum Abschluss der Arbeiten des Erkennungsdienstes und der Spurensicherung gedulden
– der Sachbearbeiter sei gerade nicht greifbar, man werde in Kürze zurückrufen
– der Beschuldigte habe unter Verzicht auf den ihm angebotenen Rechtsanwalt freiwillig bereits vollständig ausgesagt
– man müsse erst nachprüfen von wem der Verteidiger beauftragt worden sei
– der Beschuldigte habe nach ordnungsgemäßer Belehrung auf die Hinzuziehung eines Verteidigers verzichtet oder bereits einen anderen Anwalt beauftragt
– der Verteidiger solle erst einmal eine wirksame schriftliche Vollmacht vorlegen bzw. die Besuchsgenehmigung des zuständigen Staatsanwalts oder Haftrichters
Setzt sich der Rechtsanwalt hier nicht durch, disqualifiziert er sich als Strafverteidiger. Er muss mit Nachdruck auf sein und vor allem das Recht des Beschuldigten auf jederzeitige Verteidigerkonsultation und die Rechtswidrigkeit der Kontaktsperre zum Mandanten hinweisen. Zur Dokumentation der Vorgänge empfiehlt sich ein sofortiges Fax mit der Aufforderung die Vernehmung des Beschuldigten sofort zu unterbrechen und dem Beschuldigten zumindest ein sofortiges Telefonat mit dem Verteidiger zu ermöglichen. Dabei ist auf die Unverwertbarkeit aller Aussagen des Beschuldigten nach verwehrtem Verteidigerkontakt hinzuweisen. Oft genügt auch schon die Androhung sich beim zuständigen Staatsanwaltschaft telefonisch zu beschweren. Natürlich sind diese aufgezeigten Tricks der Ermittler auch in anderen Deliktsbereichen an der Tagesordnung. In Kapitalstrafsachen aber wirken sie sich schon aufgrund der erheblichen Strafandrohung besonders krass auf das Ergebnis aus. Gerade hier ist also ein energisches und strafprozessual sicheres Auftreten nötig.
Wird der Verteidiger erst nach der Vernehmung des Mandanten eingeschaltet, ist die Vernehmung auf Vernehmungsfehler, die bereits im Haftverfahren nutzbar gemacht werden können, genau zu analysieren – ehe überhaupt mit der Erarbeitung einer Verteidigungsstrategie begonnen werden kann. Es ist immer wieder erschreckend zu sehen, dass offensichtliche Beweisverwertungsverbote – etwa bei Belehrungsfehlern – von Verteidigern nicht gerügt werden und im weiteren Fortgang des Verfahrens – etwa durch anschließende richterliche Vernehmung – präkludieren. Die oftmals gute Chance, Fehler, die bei der Erstvernehmung ohne anwaltlichen Beistand gemacht wurden, zu korrigieren, wird dadurch unwiederbringlich vertan.
Die hier nur für den Beginn eines Kapitalstrafverfahrens angeschnittenen Problemfelder lassen erahnen wie sich Verteidigerfehler im weiteren Verfahren potenzieren können und sich beispielsweise im Haftprüfungsverfahren, bei Form und Zeitpunkt einer Einlassung oder Verteidigererklärung, der Stellung von prozessualen Anträgen, Prüfung von forensischen Gutachten und in der Taktik und Psychologie der Zeugen- und Sachverständigenbefragung fortsetzen.
Eine kurze einleitende Beschreibung des Rechtsbereichs bietet keinen Raum zur vertieften Darstellung aller denkbaren und in der Praxis leider allzu oft beobachteten Fehlerquellen bei der Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren, lässt aber die Frage ins Auge springen, warum “Schuster nicht bei ihren Leisten” bleiben. Was hindert vielleicht auf ihrem Gebiet des Zivil-, Familien- oder Arbeitsrechts gute Rechtsanwälte daran, Schwurgerichtsmandate von vorne herein abzulehnen oder wenigsten einen erfahrenen Fachkollegen hinzu zu ziehen? Liegt es an Selbstüberschätzung oder schlicht an einer Profilierungssucht, sich in den Medien mit einem spektakulären Verfahren darstellen zu wollen? Hierzu gibt es keine empirischen oder psychologischen Untersuchungen und sie dürften den von einem Kapitalstrafverfahren Betroffenen auch herzlich egal sein. Gerade in Mord- und Totschlagsverfahren muss es ausschließlich um den Mandanten, seine Interessen, Rechte und Zukunft und seinen Anspruch auf eine kompetente Verteidigung gehen.
RA Gerd Meister
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