Die strafrechtlichen Aspekte der Produktverantwortung sind in der Rechtsprechung und Literatur zunächst eher stiefmütterlich behandelt worden und fanden auch in der öffentlichen Wahrnehmung bis in die 90iger Jahre hinein nur wenig Beachtung. Das hat sich spätestens seit der “Lederspray-Entscheidung”, mit der der BGH tragende Grundsätze zur strafrechtlichen Produktverantwortung – insbesondere auch der Geschäftsleitung – aufgestellt hat, geändert.
Medienwirksame Unglücksfälle wie das Zugunglück von Eschede oder das österreichische Bergbahnunglück von Kaprun, der Lebensmittelskandal um angeblich tödlich wirkende Babynahrung (Humana) oder die strafrechtliche Aufarbeitung im Zusammenhang mit angeblichen Todesfällen nach der Einnahme des Cholesterin-Senkers Lipobay, haben das öffentliche Bewusstsein geschärft und eine intensivere Strafverfolgung ausgelöst. Die strafrechtliche Produktverantwortung hat sich dadurch in der Rechtspraxis etabliert und man kann heute sagen, dass hinter jedem Produktzwischenfall die latente Gefahr eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens “lauert”.
Dies gilt umso mehr, als sich bei Geschädigten eine zunehmende Tendenz abzeichnet, durch eine Strafanzeige die Staatsanwaltschaft für den zivilrechtlichen Schadensersatzprozess zu instrumentalisieren. Während nämlich im Zivilverfahren den Anspruchsteller bei einem erheblichen Kostenrisiko (Prozesskosten, Sachverständigengutachten) eine wesentliche Beweislast trifft, ermittelt die Staatsanwaltschaft von Amts wegen und liefert somit gewissermaßen gratis die für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen notwendigen Beweismittel.
Die auch hieraus folgende intensivere staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit zwingt operative Unternehmen aus allen Bereichen, Produktrisiken nicht mehr nur unter dem Gesichtspunkt der zivilrechtlichen Haftung wegen des Verstoßes gegen Konstruktions-, Beobachtungs- und Instruktionspflichten, sondern zunehmend auch nach der persönlichen strafrechtlichen Verantwortung der Unternehmensleitung und führender Mitarbeiter zu beurteilen.
Angesichts der raschen Entwicklung und zunehmenden Komplexität bei der arbeitsteiligen Herstellung und dem Vertrieb von immer komplizierteren Produkten, werden sich Produktfehler selbst bei strikter Unternehmensorganisation niemals ganz ausschließen lassen. Um so wichtiger sind präventive Maßnahmen zur Vermeidung von strafrechtlichen Risiken im Vorfeld und für den Fall, dass sich das dann immer noch bestehende Restrisiko verwirklicht – Polizei und Staatsanwaltschaft also doch einmal plötzlich vor der Türe stehen.
Das strafrechtliche Produkthaftungsrecht ist ein „Steckenpferd“ von Rechtsanwalt Gerd Meister, der hierzu in Kooperation mit Professor Tobias Lenz – einem ausgewiesenen Experten für das zivilrechtliche Produkthaftungsrecht – auch ein umfassendes Skript für die Fortbildung von Führungskräften des mittleren und Topmanagements veröffentlicht hat.
RA Gerd Meister
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