Im ersten Moment verwundert die Überschrift. Was sollte bei der Verteidigung von Ausländern im Strafverfahren – außer vielleicht der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Dolmetschers und der damit verbundene Mehraufwand – besonders sein, unterliegen doch alle dem gleichen materiellen Straf- und strafprozessualen Recht?
Zum einen müssen bei der Verteidigung von Ausländern deren Normenunkenntnis und kulturellen Unterschiede mit in die strafrechtlichen Überlegungen einbezogen werden, die bei der Tatbeurteilung in die materielle Irrtums- und Rechtfertigungslehre hineinspielen und – neben der Sprachbarriere – schon bei der Mandatsanbahnung zu Verständnisschwierigkeiten zwischen Mandant und Verteidiger führen können. Nicht selten begegnen ausländische Mitbürger, die etwa aus undemokratischen, nicht-rechtsstaatlichen Ländern nach Deutschland geflohen sind, auch dem Verteidiger zunächst mit erheblichem Misstrauen. Sie bringen aus ihren Heimatländern die traurige Erfahrung mit, dass staatstragende Anwälte dort eher eine Alibifunktion wahrnehmen und nach unserem Rechtstaatsverständnis eben kein unabhängiges Organ der Rechtspflege sind, das ausschließlich dem Mandanten verpflichtet ist. Zum anderen ist mit nach wie vor bestehenden Vorurteilen und latenter Ausländerfeindlichkeit in allen Bereichen der Justiz zu rechnen. Nicht selten hört man von Staatsanwälten oder Richtern im Gerichtssaal unqualifizierte Unmutsäußerungen über Sprachdefizite und mangelnden Integrationswillen oder dem ausländischen Mandanten wird unterstellt, er täusche Verständigungsschwierigkeiten nur vor, um das Verfahren zu komplizieren. “Wie lange leben sie eigentlich schon in Deutschland, dass sie immer noch kein deutsch können!”, “Wir sind hier nicht in Anatolien!”, oder “Kaum befinden sie (gemeint sind anscheinend alle Ausländer) sich in einem deutschen Gerichtssaal, verstehen sie plötzlich kein Wort deutsch mehr…” sind solche typischen Äußerungen, die an der gebotenen Unvoreingenommenheit zweifeln lassen können und denen der engagierte Verteidiger mit allen zulässigen argumentativen und notfalls auch prozessualen Mitteln – bis hin zum Befangenheitsantrag – entschieden entgegen treten muss. Dass gerade ausländische Mitbürger oft Opfer von polizeilichen Misshandlungen sind, ist längst ein offenes Geheimnis, welches von Teilen der Justiz dennoch gut ge- und behütet wird – so jedenfalls behaupten böse Zungen aus gut informierten Kreisen. Da aber gerade Polizeibeamte die ersten Ermittlungen führen, muss der Verteidiger bei den ersten Anzeichen einseitiger und inkorrekter Ermittlungen genau hinschauen, um Ermittlungsfehler frühzeitig offen legen zu können.
Inhaftierte Ausländer sind zudem faktisch auch im Haftverfahren benachteiligt, da bei ihnen oft vorschnell allein aufgrund von Auslandskontakten Fluchtgefahr angenommen wird und das selbst in Fällen, in denen der Beschuldigte in Deutschland seinen langjährigen sozialen Mittelpunkt hat – etwa weil er hier verheiratet ist, Kinder hat und seine nahezu gesamte Verwandtschaft in Deutschland lebt. Der Verteidiger hat es hier ungleich schwerer mit guten Argumenten und Nachweisen die angenommenen Haftgründe “weg zu diskutieren”.
Untersuchungshaft ist schon wegen der plötzlichen Isolation und des Abbruchs bzw. der Beschränkung sozialer Kontakte schrecklich und wird noch schrecklicher, wenn man sein Leid aufgrund von Sprachschwierigkeiten nicht mit seinen Mitgefangenen teilen kann. Diese Situation wird zudem dadurch erschwert, dass sporadisch zugelassene Telefongespräche und die viel zu seltenen, kurzen Gespräche mit oftmals von weither angereisten Angehörigen im Rahmen der Besuchsüberwachung nur in deutsch geführt werden dürfen. Für jedes noch so banale Gespräch muss daher ein Dolmetscher hinzugezogen werden. Dem Verteidiger obliegt hier eine besondere menschliche Betreuungspflicht, die in den seltensten Fällen angemessen vergütet wird, aber – unserer Auffassung nach – schon aus berufsethischen Gründen zu leisten ist. Besuchserlaubnisse und Dolmetscher müssen organisiert werden. Anträge auf längere Sonderbesuche von Angehörigen, auf Sondertelefonate in der eigenen Sprache, auf Zusammenlegung mit Landsleuten in einer Zelle, auf Lieferung von fremdsprachlichen Zeitungen und anderen Medien, auf religiöse Ausübung und Kontakt zu Geistlichen anderer Religionen sind beim Haftrichter zu stellen und bei der Gefängnisleitung auch gegen Widerstand durch zu setzten.
In abgeschwächter Form setzt sich diese besondere Betreuung auch im anschließenden Vollstreckungsverfahren fort, da rechtskräftig verurteilten Ausländer – wiederum wegen angeblicher Fluchtgefahr – vielfach der jedem Deutschen in gleicher Situation gewährte offene Vollzug nebst Vollzugslockerungen verwehrt wird.
Nimmt man die drohenden ausländerrechtlichen Konsequenzen einer strafrechtlichen Verurteilung ins Visier, erfährt die eingangs gestellte Frage nach gleichem Recht für alle eine makabere Durchbrechung. Natürlich gilt das Ausländerrecht nur für Ausländer. Es fällt aber schwer zu akzeptieren, dass hier aufgewachsene und seit Jahren integrierte Menschen im untechnischen Sinne doppelt bestraft werden, nur weil sie bzw. ihre Eltern es versäumt haben die deutsche Staatsbürgerschaft rechtzeitig beantragt zu haben. Ein Beispiel aus dem Strafverteidigeralltag mag dies illustrieren: Drei in der gleichen Siedlung aufgewachsene Freunde, werden wegen der Einfuhr von Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt und müssen ihre Strafe in einer Jugendstrafanstalt absitzen. Der einzige Nichtdeutsche unter ihnen muss nach Verbüßung von mindestens der Hälfte seiner Strafe mit seiner Abschiebung in sein “Heimatland” unmittelbar aus der Haftanstalt rechnen. Neben der zu verbüßenden Strafe droht ihm gewissermaßen eine Verbannung aus seiner tatsächlichen Heimat Deutschland in ein Land, dessen Sprache er nicht oder nur rudimentär beherrscht. Ihm droht die Abschiebung in ein Land, in dem er unter Zurücklassung seiner Familie bei viel Glück allenfalls entfernte Verwandte aber nicht die geringste Perspektive hat. Nach Artikel 3 des Grundgesetzes muss Gleiches gleich und darf Ungleiches ungleich behandelt werden. Die drei verurteilten Jugendlichen sind gemeinsam aufgewachsen, haben gemeinsam die gleiche Schule besucht, haben die gleichen nicht von ihnen alleine verursachten Probleme und Zukunftsängste, haben die gleiche Straftat begangen und sind gleich bestraft worden. Die beiden Deutschen werden nach Verbüßung ihrer Strafe hoffentlich resozialisiert zu ihren Familien zurückkehren. Der ausländische Jugendliche wird nach dem Willen des Ausländergesetzes für immer aus “seiner” Gesellschaft ausgestoßen und von seiner Familie getrennt. Verteidiger haben die Pflicht den oft im Ausländerrecht wenig bewanderten Strafrichter auf diese ungleichen Folgen seines Strafurteils hinzuweisen und auf ein Regulativ bei der Strafzumessung hinzuwirken, welches eine Abschiebung durch die Ausländerbehörde zumindest dadurch erschwert, dass die im Ausländerrecht fixierten Strafgrenzen für eine Abschiebung nicht überschritten werden. Strafrichter quittieren diesen Hinweis gelegentlich mit der nur als zynisch zu bezeichnenden Bemerkung, der Angeklagte hätte sich die Konsequenzen vor seiner Straftat überlegen müssen. Die Bemerkung ist deshalb zynisch, weil gleiches auch für die beiden deutschen Mitangeklagten gilt. Richtig ist, dass der Strafrichter tatsächlich keinen unmittelbaren Einfluss auf Entscheidungen der Ausländerbehörde hat. Im Rahmen des § 46 StGB sind bei der Strafzumessung aber auch die Folgen der Strafe für den zu verurteilenden zu berücksichtigen, wodurch dem Richter jedenfalls ein begrenzter Spielraum zur Vermeidung von Abschiebung eröffnet wird.
Das eigentliche Problem der Ungleichbehandlung ist aber ein gesellschaftspolitisches, das im Ausländerrecht als einer Spezialmaterie des besonderen Verwaltungsrechts seinen Ausdruck findet und hier nicht weiter vertieft werden kann. Das Ausländerrecht und die hierzu gehörenden Erlasse und Verwaltungsvorschriften sind einem ständigen Wechsel unterworfen und werden nur von Spezialisten beherrscht, die sich in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)und im Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwfG) zu Hause fühlen. Als reine Strafverteidiger fehlt uns die Routine und Erfahrung auch diese Rechtsgebiete tief gehend zu durchdringen und stets auf dem Laufenden zu bleiben. Werden trotzt einer engagierten Verteidigung die Strafobergrenzen des Ausländerrechts überschritten und droht damit konkret die Abschiebung, arbeiten wir daher mit einer Spezialistin für Ausländerrecht zusammen, die unter “Kooperationspartner” in der linken Menüleiste zu finden ist.
Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach
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